“Man ist noch lange
nicht am Ende, wenn man eine gute Geschichte hat und jemanden, der
einem zuhört (...).“
Diese Filmaussage wollen wir uns doch mal näher betrachten. Wer
glaubt, dieser Film sei die Poesie schlechthin, der sei schon vorweg
gewarnt.
Poetisch an der Geschichte ist auf jeden Fall der italienische Originaltitel.
Ansonsten beschränkt sich die Poesie leider alleine auf die atemberaubende
Bildsprache und wird während 2 Stunden Laufzeit kontinuierlich
durch nervendes Geschwafel zerfetzt. Das liegt noch nicht mal unbedingt
an den Textaussagen – vielmehr ist die Art, in der die Poesie versinnbildlicht
werden soll, schlichtweg dilletantisch und plump, sodaß auch
der Empfindsamste unter den Empfindsamen irgendwann mal gelangweilt
gähnen muß.
Aber doch vielleicht erst einmal die Handlung:
Im Jahre 1900 wird auf der ’Virginian’, einem Dampfer, der immer zwischen
Genua und New York pendelt, ein Findelkind ausgesetzt. Von dem Heizer
Danny (Bill Nunn) entdeckt, wird es auf den Namen seines Geburtsjahres
getauft: Neunzehnhundert. Der kleine Junge wächst nun – im Bauch
des Schiffes versteckt – unter Dannys liebevoller Fürsorge auf,
ohne jemals ’die schwimmende Stadt’ zu verlassen. Das hat er auch
nicht nötig, denn 1900 (Tim Roth) ist ein Genie, das sich autodidaktisch
zu einem Meisterpianisten entwickelt. Sein Leben verbringt er damit,
die Passagiere der 1. und 3. Klasse (Anm.: ich vermute auch die der
2.!) mit seiner Klavierkunst zu begeistern. Dabei überquert er
hunderte Male den Atlantik, ohne je einen Fuß an Land zu setzen.
Wozu auch?! Denn dieses Schiff stellt für ihn einen Mikrokosmos
dar, welchen er wenigstens überblicken kann. Die Endlosigkeit
der Schluchten der Stadt und die Ungewissheit darüber, was ihn
dort erwartet, fürchtet er dagegen unheimlich.
Der Aufbau der Geschichte ist eigentlich ganz geschickt. Denn als
Rahmenhandlung dient der Trompeter Max (Pruitt Taylor Vince), der
einige Jahre zusammen mit 1900 auf der Virginian gearbeitet hat und
sein Freund war. Durch kuriose Umstände ergibt es sich, dass
Max nach Kriegsende an den Besitzer (Peter Vaughan) der einzigen Plattenaufnahme
unseres Genies gerät, und erfährt, dass die Virginian in
der Jetztzeit (1946!) in die Luft gesprengt werden soll. Da jedoch
keiner 1900 kennt – außer er hat jemals eine Reise mit diesem
Schiff unternommen – erhält Max seinen Part als Ge-schichten-
(bzw. Legenden-)erzähler. In einem Hin und Her zwischen Vergangenheit
und Jetztzeit erzählt uns Max alles, was er von 1900 weiß
...
Und da haben wir schon das Hauptproblem des Films. Verkörpert
durch die Person Max. Nicht, dass es schon ausgereicht hätte,
ihm so schrecklich platte und überflüssige Dialoge zu verpassen.
Mit Pruitt Taylor Vince ist er einfach komplett falsch besetzt. Und
diese beiden Aspekte bringen einen fast an den Rand des Wahnsinns.
Man wird ihn ja die ganze Zeit über nie los, da er uns diesen
Film schließlich erzählen soll. Dicklich und dümmlich,
scheitert leider sogar der einzige Slapstickversuch des Films. Seine
Unterwürfigkeit, ernsthaft begründet durch die Hochachtung
vor 1900, macht Max zu einer so schwachen Persönlichkeit, dass
man Tornatore (“Cinema Paradiso”) nicht abnimmt, 1900 hätte ihn
überhaupt zum Freund gewollt. Man fürchtet geradezu jeden
seiner Sätze. Und wenn ich mich mal direkt einschalten darf:
Was soll dieses Pupillengezittere? Ich habs nicht verstanden.
Eine ganz andere Leistung vollbringt dafür Tim Roth, welcher
1900 überzeugender nicht darstellen könnte. Ein Blick in
seine Augen ersetzt all das unnötige Gerede von Max. Daher gibt
es immer wieder lange Sequenzen, in denen die Kamera einfach auf Roths
Gesicht ruht. Und dieser wehmütige Blick.....das ist dann doch
Poesie. Ebenso wie die Musik von Ennio Morricone. Und nur diese beiden
Elemente zusammen hätten wahrscheinlich ausgereicht, um das richtige
Gefühl hervorzurufen. So etwas wie leichte Wellenbewegungen,
die den Zuschauer loslösen, um ihn in einen fantastischen Zustand
versetzen.
Doch leider fordert Tornatore den Zuschauern zu viel Verständnis
für Banalitäten ab. Immer wieder wird man - kurz bevor man
diesen Fantasiezustand erreicht hat - von irgendwas davor abgehalten,
zu träumen. Gute Ansätze bleiben regelrecht in der Luft
hängen, wurden nicht zuende geführt. Vielleicht ist dies
jedoch ein saublödes Missgeschick. Denn für die deutschen
Kinos wurde die italienische
O-Fassung um fast 40 Minuten gekürzt. Aber eigentlich hilft das
erst recht nicht darüber hinweg, dass Tornatore den Faden irgendwo
auf dem Meeresboden verloren hat. War vielleicht auch nicht so einfach,
aus Alessandro Bariccos Theatervorlage mit 80-seitigem Monolog einen
Höhenflug zu machen.
Trotz allem hat der Film auch gute Höhepunkte, die meist in Zusammenhang
mit dem Klavierspiel stehen. Man hätte sich z.B. mehr von den
musikalischen Charakterbeschreibungen gewünscht, wenn 1900 davondriftet
und die Töne sprechen läßt. Oder die Begegnung mit
Jelly Roll Morton (Clarence Williams), dem ’Erfinder des Jazz’. Denn
eigentlich sollte der Film noch stärker durch die Person des
1900 bestimmt sein. Ein Mann, der die Endlichkeit zum Überleben
braucht - bis zum Ende.
Um also auf das Anfangszitat zurückzukommen: Was nützt es
einem, wenn man eine gute Geschichte hat, sie aber nicht gut erzählen
kann, und somit keiner zuhört?!
Übrigens: Wer den overkill in Sachen Kitsch nötig hat, sollte
den ganzen Abspann abwarten.
Originaltitel
La leggenda del pianista oceano
Land
Jahr
1998
Laufzeit
121 min
Genre
Regie
Bewertung
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