Der atmende Gott - Reise zum Ursprung des modernen Yoga

Jahr
2012
Laufzeit
105 min
Release Date
Bewertung
7
7/10
von Margarete Prowe / 10. Januar 2012

Nach indischer Überlieferung beherrscht die Gottheit Shiva Abermillionen von Asanas (Yoga-Posen). Regisseur Jan Schmidt-Garre beherrscht am Anfang von „Der atmende Gott“ nicht einmal den Lotussitz. Dafür gelingt es ihm, eine atmosphärisch gelungene Dokumentation über einen der Begründer des modernen Yoga, Tirumalai Krishnamacharya, zu schaffen, die sich jedoch eher an Yoginis als an ein unbedarftes Publikum richtet, da ein gewisses Grundwissen des Zuschauers vorausgesetzt wird. 

Ohne das Hatha-Yoga Krishnamacharyas gäbe es heute kein Iyengar-Yoga, kein Ashtanga und kein Viniyoga, trotzdem sind seine Schüler bekannter als ihr Lehrer. Regisseur Schmidt-Garre kam über seine Frau zum Yoga, die Stunden bei Krishnamacharyas berühmten Meisterschüler K. Patthabi Jois nahm, der auch schon Madonna und Sting unterrichtet hatte. Es gibt eine wunderbare Szene in „Der atmende Gott“, in der der Regisseur eher ungelenk den Sonnengruß in einer Einzelstunde vor Patthabi Jois ausführt, der sich diesen genau anschaut und dann einzig und allein den Atem des Schülers korrigiert, damit die Übung wirkungsvoller wird. Hier zeigt sich die Tradition seines Lehrers Krishnamacharyas, der das wahre Yoga in der Verbindung aus Atem, Bewegung und Konzentration/Meditation sah. Zwar vereinfacht Regisseur Schmidt-Garre ein wenig, wenn er über Krishnamacharya von DEM Begründer des modernen Yoga spricht, denn es gibt Stile, die unabhängig von ihm entstanden wie Bikram oder Kundalini, doch ist Krishnamacharya eine der wichtigsten Figuren gerade für die in den Westen geschwappte Yogabegeisterung, obwohl er selbst Indien innerhalb seiner langen Lebenszeit nie verließ.

Als Krishnamacharya zu unterrichten begann, war Yoga, wie einer seiner berühmten Schüler im Film es formuliert, nur etwas für „Scharlatane und Halbdebile“. Die Tochter des Gurus verschwieg in ihren Anfangsjahren am College sogar, dass ihr Vater Yogalehrer war, da sie sich dafür schämte. Doch über die Yoga-Schule des Maharadscha von Mysore, die dieser für ihren Vater gegründet hatte, wurden nicht nur die Angehörigen des Maharadscha von Krishnamacharya durch Yoga körperlich ertüchtigt, sondern auch hunderte anderer Schüler in Bewegung, Atem und Konzentration unterrichtet, wodurch es wieder mehr geschätzt wurde. Das Yoga, welches der Guru lehrte, forderte den Schülern alles ab: Krishnamacharya züchtigte körperlich, gern auch mit seinen berüchtigten Ohrfeigen. Einmal zwang er seinen Schüler und Schwager Iyengar sogar, ungeübt ins Spagat zu gehen – eine Übung, die diesen, wie er heute sagt, zwei Jahre lang an einer Muskelzerrung leiden ließ. Iyengar ist mittlerweile weltberühmt, seit sein Schüler Yehudi Menuhin ihn im Westen überall vorstellte. An Iyengar zeigt sich, dass die Schüler Krishnamacharyas ganz unterschiedliche Stile ausbildeten, denn bei ihm werden einzelne Posen bis zu 30 Minuten lang gehalten, während Patthabi Jois zügig durch die Abfolgen geht und sich stärker auf den Atem konzentriert.

Schmidt-Garre weist filmisch immer wieder darauf hin, dass seine Sicht die eines Westlers ist, der von außen auf die Yoga-Tradition schaut. Er hinterlegt den Film mit westlichen Klassik-Klängen wie Rimsky-Korsakows wunderbarem Hindu-Lied aus der Oper „Sadko“. „Der atmende Gott“ wird so zu einer unverklärten und doch atmosphärisch stimmigen Dokumentation, die weder klischeehaft verkitscht ist noch vorgibt, einen Blick von innen heraus auf Yoga werfen zu können. So hört der Zuschauer zum Beispiel in einer Yogaschule, in der der Regisseur die „lebensverlängernden“ Übungen des Gurus vor geöffneten Fenstern ausführt, durchgängig penetrantes Autohupen draußen, was die Szene mitten in der indischen Realität verankert.

Es gibt jedoch auch Szenen, die wenig elegant erscheinen und dem Zuschauer kaum Mehrwert liefern. So lässt sich Schmidt-Garre auf einer Papier-Tischunterlage im Restaurant die verschiedenen Personen um Krishnamacharya herum aufzeichnen. Da alle jedoch nur mit Abkürzungen eingetragen werden, ist die Zeichnung für den Zuschauer eher sinnlos. Eine Grafik der verschiedenen Personen und Yogaarten, die sich um Krishnamacharya befanden oder aus seiner Schule entstanden, wäre geeigneter gewesen, dem Publikum die komplizierten Zusammenhänge zu erklären. 

Schmidt-Garre verwendet wunderbares und unbekanntes Archivmaterial in „Der atmende Gott“, schneidet aber auch immer wieder Nachstellungen der Yogaszenen aus den 1930ern dazwischen und bewegt sich dabei mehr oder weniger stringent durch das Leben Krishnamacharyas. Der rote Faden verliert sich dabei jedoch immer mal wieder und so erwartet der Zuschauer zum Ende hin mehrfach einen Schluss, wo sich noch keiner befindet.

Krishnamacharya war schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts der Überzeugung, dass Yoga für jeden da sein sollte – ob für Kinder, Greise, Frauen oder Andersgläubige. Zu den schönsten Szenen in „Der atmende Gott“ gehören die Stellungen, die sein Sohn Sribhashyam mit seinem Enkel vorführt, den er in der Luft üben lässt. Auch Krishnamacharyas Tochter praktiziert bis heute täglich Yoga – trotz betagtem Alter. Sein Schüler Patthabi Jois starb während der Dreharbeiten mit 93 Jahren. Sein Lehrer selbst bewies, dass seine lebensverlängernden Übungen wohl tatsächlich ihren Namen verdienten: Krishnamacharya lebte von Ende 1888 bis Anfang 1989 und feierte geistig klar noch seinen 100. Geburtstag.

Bilder: Copyright

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