Besessen

Originaltitel
Possession
Land
Jahr
2002
Laufzeit
103 min
Regie
Release Date
Bewertung
8
8/10
von Frank-Michael Helmke / 13. Januar 2011

Der Vermarktungsgrundsatz "Jeder Zielgruppe ihr eigener Film" erreicht einen neuen exotischen Höhepunkt, denn "Besessen" ist eine Lovestory über und damit für Literaturwissenschaftler. Als Abschreckung oder gar Warnung sollte man das allerdings nicht verstehen, denn gerade weil Regisseur Neil LaBute ("Nurse Betty") in seinem neuen Film in die Welt des schönen Wortes und dessen leidenschaftlicher Erkundung eintaucht, ist "Besessen" eine Romanze von seltener Genauigkeit und Gefühlsstärke, amüsanter Wortgewandtheit und erfreulich einfallsreicher Struktur.
Basierend auf dem 1990 erschienen und mehrfach preisgekrönten Roman der Engländerin A.S. Byatt beginnt "Besessen" mit dem aufstrebenden, aber auf einer ziemlich unbefriedigenden Assistenz-Stelle dahindarbenden Literaturwissenschaftler Roland Michell (Aaron Eckhart), ein Amerikaner spezialisiert auf das Werk von Randolph Henry Ash, dem Lieblingspoeten von Königin Victoria. In einem alten Buch, dass dem Versmeister gehörte, findet Roland eine unvollendete Notiz, die sich wie ein zaghafter Liebesbrief an eine neue Bekannte anhört - ein potentiell spektakulärer Fund, nahm die Fachwelt doch bis dato an, dass Ash seiner Ehefrau ein Leben lang treu ergeben war und sie als einzige Muse für seine romantische Lyrik diente. Einem Hinweis nachgehend, dass die adressierte Dame vielleicht die emanzipierte (und angeblich lesbische) Dichterin Christabel LaMotte gewesen sein könnte, schmiedet Roland ein Zweckbündnis mit der unterkühlten und biederenLaMotte-Expertin Maud Bailey (Gwyneth Paltrow). Gemeinsam macht sich das wissenschaftliche Pärchen nun an die Zusammensetzung eines 150 Jahre alten romantischen Puzzles, und mit der steigenden Zahl an Beweisen für eine tatsächliche Liebesaffäre zwischen Ash und LaMotte beginnt auch die romantische Spannung zwischen den beiden Forschern zu entflammen.

Manch einer mag sich fragen, warum das mögliche Techtelmechtel zwischen zwei lange verstorbenen Engländern so eine große Nummer sein soll, und zumindest für das Verständnis dieses Steins des Anstoßes ist eine gewisse Kenntnis der Literaturwissenschaft hilfreich. Denn für die emsig jedes Detail aus dem Leben der literarischen Großmeister zusammensuchenden Analysten ist eine bis dato unbekannte Liaison (zumindest im Falle anständiger viktorianischer Dichterfürsten) in der Tat reines Dynamit - geht es doch darum, das Werk des betreffenden Autors und seine Inspiration besser zu verstehen. Dass es sich beim geschilderten Fall in der Tat um ein (natürlich fiktives) wissenschaftliches Großereignis handelt, ist auch die Inspiration für einen leider etwas arg konventionell geratenen und eher unnötigen Subplot um einen konkurrierenden bedeutungsgeilen Professor und einen intriganten Assistenten, die den beiden Protagonisten ihre Entdeckung abspenstig machen wollen. 
Ohne diese oft ablenkende Nebenhandlung wäre "Besessen" eine vollkommen runde und beanstandungsfreie Romanze, die jedoch auch so ihre außergewöhnlichen Stärken zu entfalten weiß. Mit spielerischer Leichtigkeit wechselt der Film zwischen seinen zwei Zeitebenen hin und her, einerseits den beiden immer neue Erkenntnisse hervorbringenden Wissenschaftlern, andererseits den 150 Jahre zuvor stattfindenden tatsächlichen Ereignissen zwischen Ash (Jeremy Northam) und Christabel LaMotte (Jennifer Ehle). Die eleganten, fließenden Übergänge von einer Ära in die andere machen effektvoll die Parallelen zwischen den Liebesgeschichten der beiden Paare heute und damals deutlich, mehr noch: Die verschiedenen Etappen in der Beziehung zwischen Ash und LaMotte spiegeln sich konsequent in der knospenden Zuneigung zwischen Roland und Maud. Die vorsichtige Annäherung ebenso wie die ängstliche Distanzierung, Glück und Unglück scheint sich an denselben Orten trotz eineinhalb Jahrhunderten Zeitunterschied zu wiederholen. Ebenso geschickt wie beeindruckend lässt Regisseur Neil LaBute hier das Bild von wirklich Zeit transzendierender Liebe entstehen, als würden Maud und Roland vom romantischen Geist der Dichter von anno dazumal gefangen. Wahrhaft poetisch.
Doch auch über die Umsetzung dieses deutlich literarischen Motivs hinaus erweist sich "Besessen" als ein intelligent unterhaltender Film, der sich vor allem LaButes besonderes Talent zur Schaffung treffender Mann/Frau-Dialoge zu Nutze macht. Süffisant legt er seinen Figuren trockene Spitzen in den Mund, die ebenso verdiente Lacher ernten wie einige ehrliche Momente typischer geschlechtsbezogener Unzulänglichkeiten. Wenn sich die emanzipierte Maud gegen ihre eigenen Emotionen wehrt, weil sie diese als Hereinfallen auf männliche Verführungskünste sieht, oder Roland beim Äußern seiner inneren Gefühle nur unbrauchbares Gestammel hervorbringt, trifft das zielgenau ins Schwarze typischer Beziehungsunsicherheiten unserer Tage. 
Auch jenseits seines detailverliebten Literaten-Settings funktioniert "Besessen" so blendend als tagesaktuelle Beziehungskiste, die mit einem ordentlichen Schuss klassischer Romantik gehörig aufgewertet wird. Eine fabelhaft gelungene Romanadaption, welche das extrem seltene Kunststück schafft, die große Liebe zum geschriebenen Wort auf die Kinoleinwand zu transportieren, und schon deshalb die Mini-Zielgruppe der Literaturwissenschaftler besonders erfreuen wird. Und das restliche Publikum sicherlich auch.

 

Bilder: Copyright

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