City of God

Originaltitel
City of God
Land
Jahr
2002
Laufzeit
128 min
Genre
Release Date
Bewertung
10
10/10
von Frank-Michael Helmke / 29. Juni 2010

Wenn sich die internationale Filmfachpresse in seltener Einigkeit überschlägt vor Begeisterung für einen Debütfilm und selbst Vergleiche mit den Meisterwerken eines Martin Scorsese nicht zu hoch gegriffen sind, dann gilt es, aufzuhorchen, und das vollkommen zurecht: Denn "City of God" ist nicht nur der mehr als vielversprechende Anfang einer großen internationalen Regiekarriere, sondern auch einer der besten und frischesten Filme, die man in den letzten Jahren im Kino erleben konnte.
Übrigens, "City of God" kommt aus Brasilien. Wer an dieser Stelle die Nase rümpft angesichts einer brav indoktrinierten Abneigung gegenüber allem, was nicht aus Hollywood kommt und ergo nach zuviel Anspruch und Intellekt riecht, wird hier allerdings sehr schnell eines besseren belehrt werden: "City of God" inkorporiert alle Tugenden eines schnellen amerikanischen Gangsterfilms, addiert darüber hinaus aber all die Dinge, die sich in den USA nur die wenigsten trauen, außer eben wahre Größen wie Martin Scorsese. Eine unglaublich kraftvolle Mixtur aus wunderschön komponierten Bildern, rasenden Schnittsequenzen, grandiosen Charakterzeichnungen, brutal-direktem Realismus und einem feinen Hauch lebensnaher Komik erwartet hier die erstaunten Zuschauer. Der direkte Vergleich, bei "City of God" handele es sich um den "Good Fellas" Brasiliens, ist also mehr als angebracht.
Bei der "City of God" (bzw. Cidade de Deus, wie sie in der Realität auf portugiesisch heißt) handelt es sich um einen der Vorortslums von Rio de Janeiro. Weg gedrängt aus der schönen Copacabana-Welt der Reichen leben hier die Ärmsten der Armen in notdürftigen Häusern und einem eigenen Universum, in dem andere Gesetze gelten, und diese Gesetze werden von den Straßengangstern gemacht. Über gut zwanzig Jahre erstreckt sich die Handlung von "City of God" und erzählt dabei zentral die Geschichte von Locke, der schon als kleiner Junge in den 60ern eine Bandenkarriere beginnt und binnen kürzester Zeit zum mächtigsten, aber auch skrupellosesten und brutalsten Gangster des Ghettos aufwächst. Sein bester Freund und ewiger Kompagnon ist Bene, ein entspannterer Typ der nicht gleich unkontrolliert zur Waffe greift und den ruhigen Gegenpol zum wilden Locke bildet. Erzählt wird ihre Geschichte - ebenso wie die ungefähr drei Dutzend anderen kleinen Episoden, die sich in diesem brillant verschachtelten Opus verflechten wie ein handgeknüpfter Perserteppich - von Buscapé (in der deutschen Version synchronisiert von Xavier Naidoo), der von einer Karriere als Fotograf träumt und so stellvertretend für das Kinopublikum die Rolle des stillen Beobachters einnimmt: obwohl ständig präsent, nimmt Buscapé selten aktiven Einfluss auf die Ereignisse, sondern bleibt unauffälliger Fremdenführer in diese ebenso gewalttätige wie faszinierende Welt der "City of God".

Der Film basiert auf einer Romanvorlage des brasilianischen Autors Paulo Lins, der darin eine größtenteils auf wahren Begebenheiten beruhende Chronik einer beispiellos brutalen Gangsterkarriere und eines legendären Bandenkrieges mit einem packenden Portrait der Lebensumstände in den Armenslums von Rio verband. Auf 600 Seiten tummeln sich 300 verschiedene Figuren, und beizeiten hat man das Gefühl, die meisten von ihnen hätten es auch in die Filmversion geschafft, dermaßen atemlos bewegt sich "City of God" gerade zu Anfang von einem vermeintlichen Protagonisten zum nächsten, und kaum hat man sich an ein Gesicht gewöhnt, liegt es auch schon tot in der Gosse. Eines lernt auch der Zuschauer hier sehr schnell: Ein Menschenleben zählt nicht viel in der "City of God", und lebendig raus kommt hier (fast) niemand.
Trotz der Masse an Figuren, den zahlreichen Querverweisen und sich ständig überschneidenden Handlungssträngen bleibt "City of God" jederzeit mühelos verständlich - allein für diese Koordinationsleistung gebührt Regisseur Fernando Meirelles höchster Respekt. Zu seiner wahren, enormen Größe schwingt sich der Film jedoch in der Art seiner Inszenierung auf: Es ist lange her, dass es ein Regisseur mit derart sicherer Hand verstand, die Mittel und Finessen der Kinokunst so elegant und wirksam zu gebrauchen, einen inhaltlich ohnehin schon faszinierenden Film zu einem noch größeren visuellen Abenteuer zu machen, und dabei auch noch einen ganz eigenen, experimentierfreudigen Stil zu entwickeln. Meirelles' Inszenierung allein ist aufregend genug, um "City of God" zu einer Pflichtveranstaltung zu machen. Wie es ihm z.B. gelingt, die über mehrere Jahre andauernde Geschichte eines als Drogenumschlagplatz genutzten Apartments in einer einzigen Einstellung zu erzählen, das ist in seiner genialen Einfachheit schlichtweg beeindruckend.

Fraglos eines der stärksten Debüts der Filmgeschichte, bei dem man sich in der Tat die Frage stellen muss, was länger im Gedächtnis bleibt: die meisterhafte Inszenierung, oder die epochale Geschichte. Denn ein Epos großer Natur ist es wirklich, das Meirelles, seine Co-Regisseurin Katia Lund und Autor Bráulio Mantovani hier erzählen. Eine Geschichte über Aufstieg und Fall einer Gangsterbande, wie sie in ihrer Allgemeingültigkeit auch Vergleichen mit "Der Pate" standhält, und so wie jener eine unschätzbare Einführung in die Welt der Mafia war, ist "City of God" eine enorm lehrreiche Exkursion in den Mikrokosmos seiner brasilianischen Vorortslums. Die Karrieren ganzer Gangster-Generationen werden hier nachgezeichnet, von den Laufburschen und amateurhaften Straßenganoven über die Drogendealer bis hin zu den großen Kriegsherren - Locke selbst ist am Höhepunkt seiner Macht tatsächlich so etwas wie der Pate der Cidade de Deus. Man lernt die Funktion ihrer Welt kennen, ihren Alltag, ihre Regeln (bzw. deren Nichtexistenz: ein später Hauptcharakter, der sich bei einem Rachefeldzug eine gewisse Moral erhalten will, lernt schnell, dass es keine Regel ohne Ausnahme gibt - und somit letztlich keine Regeln), aber auch die Erkenntnis, dass es eben nur ihre kleine Welt ist: Schlussendlich ist es der Kontakt zur Außenwelt, zu den größeren Fischen im großen Teich, der den Anfang vom Ende darstellt.
Ebenso kompromisslos hart, wie das Leben in der Cidade de Deus nun mal ist, geht "City of God" dabei mit seinen Figuren um: Hoffnung gibt es fast keine; was du dir nicht einfach nimmst, wirst du nie kriegen; und wenn du nicht bereit bist, zu töten, liegst du garantiert als nächstes im Matsch. Ein Überleben ohne schmutzige Hände scheint hier unmöglich, und wer in solcher Umgebung aufwächst, der fängt schon ganz früh an: Bilder von kleinen Knirpsen mit Joints in der Fresse und scharfen Waffen in ihren kurzen Shorts können anfangs noch irritierend wirken, doch schnell lernt man, dass dies eben der Alltag in der Cidade de Deus ist. Und so schöpfen die verstörendsten Szenen von "City of God" ihre unheimliche Kraft auch aus eben diesem Verlust einer kaum gewonnenen kindlichen Unschuld: Wie eine Horde Straßenkinder auf einmal so bedrohlich wirkt wie ein Rudel Raubkatzen; wie ein Knabe dazu gezwungen wird, einen seiner besten Freunde zu erschießen; oder wie ein neunjähriger Knirps mit geradezu teuflischer Freude in den Augen seine Lust am Töten entdeckt; das ist knallharter Tobak, der weiter geht als alles, was man aus ähnlich gelagerter amerikanischer Ware kennt, und der durch diesen Mut zum brutalen Realismus ebenso furchteinflößend wie beeindruckend wirkt.
Hautnah an der Realität bewegt sich "City of God", und das ist auch der Verdienst der Horden talentierter Jungdarsteller, die in einem mehrere Monate andauernden Prozess mühsam quasi von der Straße gecastet wurden: die meisten Figuren werden von tatsächlichen Ghettokindern aus Rio gespielt, die ihre eigenen Erfahrungen in die Szenen und Dialoge mit einbrachten und so dafür sorgten, dass die Cidade de Deus so gezeigt wird, wie sie wirklich ist.

Wenn nach zwei der beeindruckendsten Kinostunden seit langer Zeit für die eine Gangster-Generation endgültig alles vorbei ist und die nächste schon bereit steht, schließt sich mit diesem Zyklus ein in der Tat meisterhaftes Filmepos, das alle seine Vorschusslorbeeren und noch ein paar mehr verdient hat. Es sind Filme wie "City of God", die einen immer wieder daran erinnern, zu was für fantastischen Dingen das Kino in der Lage sein kann, und die man dann umso mehr vermisst, wenn man eine Woche später wieder in irgendeinem konventionalisierten Stück Hollywood-Schmock sitzt.
Der nächste Scorsese kommt in der Tat aus Brasilien. Es ist wahrlich an der Zeit, dass auch die breiten Zuschauermassen registrieren, dass die besten Filme sehr häufig nicht in den USA gemacht werden. "City of God" hat das Zeug dazu, diese Erkenntnis unters Volk zu bringen. Sehet, und staunet.


8
8/10

Von einem Klassiker ist dieser Film ein Stück weit entfernt.
Mir hat der Handlungsstrang, mehr die Chronolgie, sehr zugesagt.
Zu der Kameraführung braucht man nichts mehr hinzufügen, denn die ist einfach fantastisch.Das geschehen immer klar im Blick und stets die richtige Position um kraftvolle Bilder zu kreieren.
Die Wahl der Schauspieler halte ich zudem als sehr gelungen und unterstreichen die Authenzität.Wen hättet ihr Hasser denn lieber gesehen? Gary Coleman!?

Der Film weist ein paar kleine Mängel auf, die abe rnicht zuschwer ins Gewicht fallen.Die Szene im Hotel wo Locke kaltblütig die Bordellgäste erschiesst, hätte man ausführlicher gestalten können um das gestörte Bild von Recht und Unrecht in diesem Ghetto zu zeigen.Dafür hätte man die Szene mit dem "Bananenspiel" ruhig rausnehmen können.

Alles in Allem seh ich diesen Film als einen großen Schritt nach Vorn' für Filme die nicht aus Hollywood kommen.

8/10 Guter Film.Schau ich mir gern auch noch weitere Male an.

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10
10/10

Nicht allzu Filme schaffen es, dass man gleich mehrere Tage nach dem Ansehen noch in ihrem Bann steht und darüber nachgrübelt. Dieser hier hat mich bis heute nicht mehr losgelassen. Ein schrecklich realistischer, grausam grossartiger Film.

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