Barneys Version

Originaltitel
Barney's Version
Land
Jahr
2010
Laufzeit
134 min
Release Date
Bewertung
8
8/10
von Frank-Michael Helmke / 2. Juli 2011

In der ersten Szene dieses Films sitzt ein ergrauter älterer Mann mit einer Zigarre im Mund und einem Whiskeyglas in der Hand daheim und ruft zu später Stunde den neuen Ehemann seiner Ex-Frau an - einzig mit dem Ziel, diesen auf die Palme zu bringen, indem er fragt, was er mit seiner Sammlung von alten Nacktfotos der Dame seines Herzens machen soll. Willkommen in der Welt des Barney Panofsky, ein Mann der zuviel trinkt, zuviel raucht und zuviel Zeit damit verbringt, andere Leute vor den Kopf zu stoßen. Ein Mann voller Fehler, die er seinen Lebtag lang nicht abschütteln kann, und der doch (zumindest für einige Zeit) eine beinahe engelsgleiche Frau für sich gewinnen kann.

"Barney's Version" basiert auf dem letzten Roman des 2001 verstorbenen kanadischen Schriftstellers Mordecai Richler, und woanders als aus einem Roman kann eine Filmfigur wie dieser Barney auch gar nicht herkommen. Die Film-Dramaturgie, wie sie in jedem Handbuch und jedem Ratgeber für Autoren gepredigt wird, basiert auf dem Prinzip der Charakterentwicklung - der Protagonist eines Films ist am Ende niemals derselbe Mensch wie am Anfang. Er hat etwas gelernt, sich verändert, zum Guten oder zum Schlechten. Die Realität jedoch sieht oft genug so aus, dass Menschen sich nicht ändern - ob sie es nun nicht wollen, oder schlichtweg nicht können. Das Kino bringt darum oft die dramatischeren Helden zustande. Aber die Literatur die lebensechteren.
Einer von diesen ist Barney Panofsky, einmal mehr grandios porträtiert von Paul Giamatti. Barney ist genau genommen überhaupt kein Held, aber er ist ein echter Charakter. Ein Mann voller Fehler und Fehlbarkeit, aber auch von einem unerschütterlichen Stolz und Willen, dank dem er sich letztlich nicht verbiegen lässt. Und ein Mann, der (vielleicht, vielleicht aber auch nicht) ein dunkles Geheimnis mit sich herumträgt: Jener ergraute ältere Mann, den wir zu Beginn des Films treffen, wird mit der Veröffentlichung eines neuen Buchs konfrontiert, in dem ihn ein ehemaliger Polizist bezichtigt, vor über 20 Jahren seinen besten Freund ermordet zu haben.

Von hieraus nimmt der Film sein Publikum mit zurück in Barneys Vergangenheit und erzählt die großen Wendepunkte in seinem Leben. Wir begegnen ihm als junger Mann im Rom, wo er als sorgloser Idealist im Kreise seiner Künstlerfreunde lebt und sich der Verantwortung des Vaterseins stellen möchte, als er die freigeistige Clara (Rachelle Lefevre) schwängert und heiratet. Doch das Schicksal kommt dazwischen, und so wandelt sich Barney zu einem von der Liebe und dem Leben desillusionierten Zyniker, der daheim in Kanada als Lobbyist zu arbeiten beginnt und sich bereitwillig von seinem Chef dazu überreden lässt, die extrem heiratswillige Tochter (Minnie Driver) eines reichen Unternehmers zu ehelichen, weil es geschäftlich opportun ist. Eine Ehe, die sich für Barney bereits auf der Hochzeitsfeier wie ein schlimmer Fehler anzufühlen beginnt - nicht zuletzt, weil er sich eben dort so unerwartet wie Hals über Kopf in eine andere Frau verliebt, die bezaubernde Miriam (Rosamunde Pike).

Dies ist die Frau von Barneys Leben, und das Durchhaltevermögen, mit der er sie für sich zu gewinnen versucht (damit anfangend, dass er seine eigene Hochzeit verlässt, um Miriam zum Bahnhof zu folgen und ihr anzubieten, mit ihr durchzubrennen), ist die bewundernswerteste Eigenschaft an diesem Mann, der über seine Streitlust und Trinkfreudigkeit alles Gute, was in sein Leben gelangt, wieder zu verspielen droht. Es ist großartig, wie Regisseur Richard J. Lewis und Rosamunde Pike diese Miriam zeichnen, wie man gar nicht anders kann, als sich mit Barney zusammen auf der Stelle in dieses entzückende, sanftmütige und betörend reine Wesen zu verlieben. Und so ist "Barney's Version" auch und vor allem eine Geschichte über jene Frage, die einem ständig durch den Kopf geht, wenn man einer nahezu perfekten Frau begegnet, die mit einem augenscheinlichen Trottel zusammen ist: "Was findet sie nur an dem?".
Es zeichnet "Barney's Version" aus, dass er diese Frage nicht befriedigend zu beantworten sucht, dass er sich ganz der Perspektive seiner Hauptfigur verschreibt und die Frage letztlich umdreht, zum nagenden Selbstzweifel seines Protagonisten macht: "Was findet sie nur an mir?". Denn sobald Barney die Frau seines Lebens endlich erobert hat, so wird er zum Totengräber seines eigenen Glücks, da er tief in sich drin nicht daran glauben kann, solch eine Frau wirklich verdient zu haben und ergo solch eine Frau nicht wirklich halten zu können.
Es sind solche feinen psychologischen Untertöne, um die sich "Barney's Version" dreht, ohne jemals plakativ zu werden und sie selbstreflektierend-analytisch auszusprechen - echte Menschen tun so etwas nicht, nur Filmfiguren auf der Suche nach ihrem dramaturgischen Bogen, der ihr Leben verändernden Erkenntnis, die sie zu einem anderen (besseren) Menschen machen wird. Wenn Erkenntnis hier kommt, dann kommt sie zu spät - wie die geschickt bis in die letzten Filmminuten hinaus gezögerte Auflösung, was damals eigentlich wirklich geschah, als Barneys bester Freund Boogie (Scott Speedman) nach einem Streit der beiden, in dem viel Alkohol und eine Pistole im Spiel waren, spurlos verschwand.

"Barney's Version" ist ein Film von subtiler, hintersinniger Komik, von der Exaltiertheit Minnie Drivers als Barneys namenlos bleibende zweite Ehefrau, über die beißende Ironie, mit der Barney eine TV-Produktionsfirma mit dem gnadenlos ehrlichen Namen "Completely Unnecessary Productions" führt, bis hin zu den herrlich komischen und umwerfend charmanten Auftritten von Dustin Hoffman als Barneys Vater Israel Panofsky, ein ehemaliger Streifenpolizist, der sein Herz auf der Zunge trägt.
Doch auch wenn man Paul Giamatti den Golden Globe, den er für diesen Film als bester Darsteller in einer Komödie gewonnen hat, von Herzen gönnt - eine Komödie ist "Barney's Version", dieser auf leise Weise sehr weise Film definitiv nicht, allenfalls eine Tragikomödie, mit der Betonung auf Tragik. Es ist der jüdische Humor, der hier regiert, der selbst im größten Unglück noch einen Witz findet und das Leben feiert, indem er in seinen dunkelsten Stunden noch aus vollem Herzen lachen kann. So wie es Barney und sein Vater tun. Betrunken, mit einer Zigarre in der Hand. 

Bilder: Copyright

10
10/10

EIn wirklich fantastischer Film. Paul Giamatti toppt nochmal seine überragende Leistung aus "Sideways".
Der Film ist über weite Strecken sehr lustig, besonders wenn man auf etwas schwarzen Humor steht.
Aber gerade die dramatischen Szenen sind beeindruckend gespielt und gegen ende sehr intensiv. Selten hat mich ein Film so bewegt und blieb noch so lange in meinem Kopf!

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8
8/10

Im Grunde eine einfache Liebesgeschichte. Das Tolle: Man kann sie als Mann gut ansehen und ertragen. Und den Frauen gefällt es eh: Also ein nahezu perfekter Film für einen gelungenen Pärchenabend. ;O)
Ansonsten gelingt das nur einem: Woody Allen und der ganze Film könnte problemlos auch von ihm sein. Wer also den Erzählstil von W.Allen mag, dem sei dieser hier ans Herz gelegt. Und genau es schon in der Rezension steht, handelt es sich wie bei den meisten Allen-Filmen auch hier nicht um eine Komödie.

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9
9/10

Dem ist nichts hinzuzfügen. Ein wirklich rührender Film mit einem fantastischen Ensemble.

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9
9/10

Grandios gespielt, zum Schreien komisch und tragisch zugleich. Paul Giamatti in der Rolle seines Lebens. Die extrem lange Laufzeit des Films verging wie im Flug, SUPER !

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