Zugegeben: Wenn man diesen Filmtitel das erste Mal liest, dann hat man das Gefühl, man wäre aus Versehen bei einer RTL-Weltpremiere gelandet. Der Verantwortliche für diesen Verleihtitel gehört gefoltert und gevierteilt. Allein für den Zusatz „eine wahre Geschichte“. Aber was die drei Wörter „Julia Roberts ist“ betrifft, so hatten sie wohl nie eine größere Daseinsberechtigung als in diesem Falle. Nicht nur, weil der Film sich sonst schwer tun würde, einigermaßen viele Zuschauer zu ziehen, es war auch selten so sehr angebracht, einen Film an einer einzigen Person aufzuhängen.
Die Geschichte ist übrigens wirklich wahr: Erin Brockovich war bis in ihre Dreißiger hinein hauptsächlich mit Kinder kriegen und versorgen beschäftigt. Aus zwei gescheiterten Ehen brachte sie drei Sprößlinge hervor, die sie dann alleine weiter erzog. Als der Film beginnt, ist Erin gerade etwas sauer auf ihren Anwalt, der ihr nach einem Autounfall keinen Cent Entschädigung verschafft hat. Und dabei hat sie Bares bitter nötig. Etwas unkonventionell geht sie ihrem Anwalt Ed Masry dann so lange auf die Nerven, bis er sie in seiner Kanzlei anstellt, zum Akten ablegen. Dort stolpert Erin dann zufällig über einen Stapel Unterlagen, dessen Zusammensetzung ihr nicht ganz klar ist. Da mischen sich Arztrechnungen mit Wasserprüfungsgutachten und Kaufangeboten für ein Haus. Um Ordnung in das Chaos zu bringen, fährt Erin zu der Mandantin und stellt fest, daß ein benachbarter Energie-Konzern der Familie Jensen ihr Grundstück abkaufen wollte. Daß dieser Konzern seit langem für die Jensens alle aufkommenden Arztkosten bezahlt und die ganze Familie auffällig viele Krankheiten mit sich herumschleppt macht Erin stutzig. Nach einigen weiteren Nachforschungen steigt sie urplötzlich zur Schlüsselfigur in einem der größten Zivilprozesse der US-Geschichte auf, an dem eine ganze Kleinstadt beteiligt war.
Damit wenigstens ein kleines bißchen Spannung erhalten bleibt, wollen wir den Inhalt nun nicht weiter vertiefen und auch nichts über den Ausgang sagen, auch wenn dieser nicht schwer zu erraten ist (warum würde man schon einen Film daraus machen, wenn nicht ...). Auf den ersten Blick gibt es an diesem Film eigentlich gar nichts, was ihn auch nur ansatzweise interessant macht. Komischerweise ist er aber trotzdem über zwei Stunden durchaus nett anzusehen, und das hat seinen Grund in der Titelheldin. Nein, nicht Erin Brockovich (die übrigens einen kurzen Cameo-Auftritt als Kellnerin hat), sondern Julia Roberts. Sie dominiert diesen Film in einer Weise, der „Pretty Woman“ oder „Notting Hill“ vergessen macht. Hier gibt es keinen störenden männlichen Co-Star. Hier ist alles vollkommen und komplett auf sie zugeschnitten, Julia ist der Film, der Film ist Julia. So ist es auch nicht weiter verwunderlich, daß sie im Prinzip in jeder Szene ist. Über zwei Stunden permanente Leinwandpräsenz, das ist nicht von schlechten Eltern (allerdings sollte sie für die 20 Mille, die sie für dieses Ding einstrich, natürlich auch ein wenig arbeiten).
Und Frau Roberts genießt das eindeutig. Die ungeteilte Aufmerksamkeit von allem um sie herum lässt sie sichtlich aufblühen, und damit auch die Blicke nirgendwo anders hingehen, trägt sie eine ziemlich undezente Garderobe: Die Art Outfit, bei der das Oberteil aus so wenig Stoff besteht, daß man den BH nicht mehr vollständig darunter verstecken kann. Roberts-Fans und Freunde eines ordentlich zur Schau gestellten Frauenkörpers werden ihre helle Freude haben. Das fortlaufende Ausschnitt-in-die-Kamera-halten hat sogar noch einen dramaturgischen Wert, denn Erin gehört zu den Leuten, die ihre Reize ganz gezielt als Waffe einsetzen („Hey, wozu habe ich Titten!“). An dieser Stelle sollte man dann auch erwähnen, daß die echte Erin Brockovich tatsächlich so herumlief, fehlende Realitätsnähe kann man dem Film, und somit auch Roberts' Darstellung, nicht vorwerfen. Fehlende Roberts-Realität aber schon, denn allen, die sich wundern sollten, wie die schöne Julia obenrum so viel zulegen konnte, sei gesagt: Alles Fake! Was da aus ihrer Bluse hervorlugt, ist ein ansehnlich präparierter Kunstbusen.
Was bei dieser zweistündigen Roberts-Anbetung ein bißchen verwundert, ist die Tatsache, daß jemand wie Steven Soderbergh seine Zeit für etwas so, naja, simples opfert. Von seinem ersten Film nach „Out of sight“ hat man eigentlich etwas komplett anderes erwartet als eine hemmungslose Liebeserklärung an die Hauptdarstellerin. Die Inszenierung hebt sich nur in wenigen Sequenzen selbst hervor, außer ein paar netten Jump-cuts erinnert wenig an Soderbergh’s wahres Können.
Irgendwo hier scheitert dann wohl auch die emotionale Bindung des Zuschauers. Dies ist nicht die Art Film, wo man mit den Charakteren mitfühlt und –zittert. Erstens, weil man die ganze Zeit weiß, wie es ausgehen wird, und zweitens, weil sie einfach zu distanziert wirken. Erin selbst gewinnt natürlich enorm an Substanz, aber alle anderen bleiben schablonenhaft bis stereotyp. Der sympathische Masry, der eigentlich längst in den Ruhestand wollte, Erin’s Nachbar George, der gleichzeitig Harley fährt und sich um ihre Kinder kümmert (und ja, natürlich gibt’s eine Beziehung), der hinzukommende Star-Anwalt Kurt Potter, sie alle stapfen ins Bild, wenn ihr Text dran ist, sagen ihre Zeilen und überlassen dann alles wieder Ms. Roberts. Auch wenn sich „Erin Brockovich“ alle Mühe gibt, den privaten Hintergrund des Hauptcharakters zu verdeutlichen und die Konflikte, die durch ihr immer stärkeres Engagement für den Fall auftreten, so sind es doch gerade diese Szenen, die dem Film seine Längen verschaffen. Auch wenn die stärkste Szene mit Erin’s Gefühlen als Mutter zusammenhängt.
Richtig amüsant wird’s dagegen, wenn Erin mit ihrer „Ich habe zwar kein Jura studiert, aber dafür habe ich eine große Klappe“-Tour alle Pseudo-Besserwisser in Grund und Boden argumentiert. Auch wenn die Geschichte kaum überraschen kann, die Dialoge bewegen sich auf hohem Niveau mit einem ordentlichen Schuß Humor.
Eine kleine Besonderheit hat sich Soderbergh dann aber doch noch einfallen lassen: „Erin Brockovich“ ist so ziemlich das erste Justiz-Drama der Filmgeschichte, das eigentlich gar nicht im Gerichtssaal spielt. Bis auf eine kurze Szene in einer Vorverhandlung bleibt die Kamera konsequent der Richterbank fern, es gibt keine Geschworenen, keine feurigen Plädoyers, keine Kreuzverhöre und keine gewieften Anwaltstricks. Das hat den interessanten Effekt, daß man die ganze Zeit auf das Courtroom-Finale wartet und dann relativ verdutzt ist, als der Film plötzlich vorbei ist.
„Erin Brockovich“ gehört zu den Filmen, wo es einem nicht leid tut, daß man sie gesehen hat, obwohl eigentlich so gut wie nichts dabei rumkam. Der Streifen ist wirklich nichts mehr als ein Pin-up von Julia Roberts, aus dem versehentlich eine Filmrolle gemacht wurde. Wenn man die Frau nicht ausstehen kann, ist das sicherlich ein verheerendes Foltermittel. Für hoffnungslose Verehrer des schönsten Lächelns der Welt (wie manch einer behauptet) ist „Erin Brockovich“ allerdings die Erfüllung aller Träume. Der ultimative Roberts-Huldigungs-Showdown, der dem Satz „Die Kamera liebt sie“ eine völlig neue Bedeutung gibt.
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