Das Brandneue Testament

Originaltitel
Le Tout Nouveau Testament
Jahr
2015
Laufzeit
113 min
Release Date
Bewertung
7
7/10
von Simon Staake / 1. Dezember 2015

Gott existiert. Er lebt in Brüssel. So steht es geschrieben, und zwar auf dem Filmplakat zu „Das Brandneue Testament“. Und Publikum und Filmkritik sahen dies und schmunzelten, und hofften, dass es gut war. Und siehe, aus den Weiten der cineastischen Einöde kam ein einsamer Wanderer, und sein Name war Jaco Van Dormael. Er war ein Ausgestoßener, dessen letzte Proklamation „Mr. Nobody“ von Niemandem in diesen Ländereien gesehen wurde. „Der Herr Niemand, das bist du selbst“ spotteten die Ungläubigen. Doch nach vielen Entbehrungen war es Dormael gelungen, neue Weisen zu einer Proklamation zusammenzubringen, und zu Ehren unseres Herren nannte er diese Weisen „Das Brandneue Testament“. Und statt Geißeln übergoss er die Wartenden, die Ungeduldigen und die Ungläubigen mit Einfallsreichtum, Absurditäten und pechschwarzem Witz. Und er sah, dass es gut war.

Gebieten wir nun der testamentarischen Lyrik Einhalt, um uns dem Ernst des Lebens zu widmen. Mit seinem neuen Film hat Jaco Van Dormael ("Toto der Held") ein Comeback geliefert, mit dem nicht wenige nach dem megateuren und kolossalen Totalflop „Mr. Nobody“ mit Jared Leto, der bei uns nicht einmal in die Kinos kam, nicht mehr gerechnet hatten. Wenn ihm einige französische Verleiher damals gehässig entgegenwarfen, seine Karriere sei vorüber und er würde nie wieder einen Film in die Kinosäle bringen, so war das sicherlich sowohl unnötig als auch verfrüht. Zuletzt lacht Van Dormael, denn in Frankreich, wo „Das brandneue Testament“ in Cannes Premiere feierte, gab es hohe Zuschauerzahlen und größtenteils Kritikerlob für die Geschichte um Ea (Pili Groyne), die junge Tochter von Gott (Benoit Poelvoorde) und seiner Frau (Yolande Moreau), die die Nase voll hat von ihrem so kleingeistigen wie gehässigen Vater, der seine Frau rüde beschimpft und seine Tochter auch schon mal eine runterhaut, den ganzen Tag im Bademantel rumschlurft und Bier trinkt. Beraten von ihrem Bruder JC (David Murgia) reißt Ea von Zuhause aus, um sich in unserer Welt ein paar neue Apostel zu suchen und ein brandneues Testament zu schreiben. Aber vorher hat sie, um ihrem miesepetrigen Vater noch eins auszuwischen, seinen alles regelnden Computer manipuliert, mit gravierenden Folgen für die Menschheit. Allen Menschen mit Handy wird eine SMS mit ihrem exakten Todesdatum geschickt. Unter den so nun um ihr Schicksal wissenden Menschen sucht sich Ea nun sechs neue Apostel, während ihr Vater sie verfolgt, um sie zurückzubringen, dabei aber so seine eigenen Probleme hat...

Was Van Dormael hier besonders zu Beginn abliefert ist wirklich sehr schön, glänzt mit humorigen Details wie den Verpackungen der Nahrungsmittel in Gottes Wohnung oder dessen immer neuen gemeinen universellen Regeln, die er sich zur Schikane der Menschheit ausdenkt (etwa: dass der Toast immer auf der Marmeladenseite landet oder die Nachbarschlange im Supermarkt immer die schnellere ist) und gerade die versponnene erste halbe Stunde ist ein echtes Highlight. Da wird Gott als gnadenloser Prolet im „Big Lebowski“-Gedächtnisoutfit überzeichnet, und einige der Elemente wie etwa der Weg von Gottes Wohnung in die Außenwelt oder die bis ins Unendliche reichenden Aktenschränke in seinem Büro haben in ihrer Mischung aus banalen Alltagsszenen und einer Fantasiewelt, die sie verbergen, eine fast Gaiman'sche Komponente.

„Das brandneue Tastament“ zeigt allerdings sehr schön ein Problem auf, dass die whimsical fantasy, also versponnene Fantasiefilme (im Wortsinne, nicht die Fantasy mit Barbaren, mythischen Ringen und Drachen) so mit sich bringt: Die Einführung dieser alternativen Welt mit ihren schrägen und unerwarteten Einfällen ist oftmals ein Genuss, weil man als Zuschauer tatsächlich das Gefühl hat überrascht zu werden, was ja ein Effekt ist, der nach Betrachtung von Hunderten oder gar Tausenden von Filmen ja nicht mehr so ganz leicht eintritt. Sobald aber ein solcher Film die Darstellung der Tragweite und Mechanismen seiner Welt und die Eigenarten ihrer Figuren – das sogenannte „world building“ im Drehbuchjargon – abgeschlossen hat, fangen desöfteren die Probleme an, denn dann will ja auch noch eine Geschichte irgendwie zu Ende erzählt werden.

Und hier stolpert auch „Das brandneue Testament“ nach wirklich sehr feinem Anfang. Während man zu Beginn die Darstellung von Gott und seinem Handeln aus einer tristen, in hässlichsten Grau- und Grüntönen gehaltenen Plattenbauwohnung in Brüssel wie gebannt verfolgt und auch Eas Sammeln von neuen Aposteln anfänglich interessant ist, da man die Lebensgeschichten der einzelnen Aposteln zu sehen bekommt, so nutzt sich das Ganze dann etwas ab, als man das Prinzip verstanden hat. Die einzelnen Geschichten der neuen Apostel sind mal mehr, mal weniger interessant: So ist die Geschichte des Killers und seines Opfers und ihre sich entwickelnde Liebesgeschichte ein Highlight, während etwa die Geschichte des Sexbesessenen und seiner deutschen Freundin aus Kindertagen am Strand eher doof daherkommt. Von dem Gorilla, mit dem sich Catherine Deneuves Charakter einlässt, mal ganz abgesehen.

Aber das größere Problem dahinter bleibt ein strukturelles: Da kann Van Dormael seine einzelnen Vignetten noch so sehr mit netten oder abstrusen Ideen füllen, spätestens nach dem zweiten oder dritten Apostel beginnt der Film sich durch gefühlte strukturelle Wiederholungen in die Länge zu ziehen. Und auch die ursprüngliche Plotmotivation wird so aufgelöst, wie man das nach dem Beginn im Brüsseler Plattenbau eigentlich erwartet.

„Das Brandneue Tastament“ fängt sehr gut an und schleppt sich dann etwas mühsam über die Ziellinie. Was den Film aber trotz ein paar Längen durchgehend sehenswert macht, sind die verspielten und oftmals auch lustigen Details, wie die Ratschläge gebende Miniaturfigur von Eas Bruder „JC“ („wie Van Damme?“ murmelt der Penner Victor, der als Eas Schreiber des Testaments mit dabei ist, in einem amüsanten Halbgag) – da gibt es hier Einiges zu entdecken. Und auch der schwarze Humor, mit dem Van Dormael das Thema Sterblichkeit angeht, weiß zu gefallen, etwa wenn der depperte Teenager Kevin, dem in seiner SMS ein langes Leben versprochen wurde, immer mal wieder per Youtube-Video auftaucht, um immer groteskere Quasi-Selbstmordversuche zu unternehmen, mit denen er den versprochenen Todeszeitpunkt austestet und dabei versehentlich auch mal dem ein oder anderen Passanten deren versprochenen Todeszeitpunkt verschafft. Und auch die Tatsache, dass der von Benoit Poelvoorde typisch grölend-eklig dargestellte Gott ein so unausstehliches Arschloch ist, dass er im Verlaufe des Films immer wieder ein paar aufs Maul bekommt, ist auch ziemlich amüsant.

„Das Brandneue Testament“ hat viele für sich schöne und gelungene Momente zu verbuchen, auch wenn diese letztlich keinen wirklich runden Film abliefern. Aber angesichts der hier gezeigten Kreativität ist das ziemlich gut zu verschmerzen. Es wird also nicht jeder zu bekehren sein, aber ein paar neue Jünger sollten Van Dormael mit diesem Film schon sicher sein.

Bilder: Copyright

7
7/10

Die filmszene Kritik bringt es mal wieder treffend auf den Punkt. Exakt den Film habe ich auch gesehen. Erfrischend und toll unterhaltend im ersten Teil, dann im zweiten deutlich schwächer und beliebiger. Hier wurden alle möglichen Restideen auch noch verwertet, die man so rum liegen hatte und technisch wollte man dann auch noch alles ausprobiert haben, was denn nun heutzutage so möglich ist. Ein kurzer Langfilm oder langer Kurzfilm wäre dann vielleicht passender gewesen. Alleine von der Erzählart fühlt man sich auch deutlich an „Die fabelhafte Welt der Amelie“ erinnert. Wenn dieser Film natürlich auch weniger süßlich, eben etwas derber daher kommt. Trotz aller Schwächen im hinteren Teil: irgendwie war es ein vergnüglicher Kinoabend.

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