"Sie nahmen ihm seine Tochter. Er wird sie jagen. Er wird sie finden. Und er wird sie töten." Der knappe Text auf der deutschen Film-Homepage ist ausreichende Inhaltsangabe und Versprechen zugleich. Denn ebenso wie sich der Plot mit wenigen Sätzen zusammenfassen lässt, ist auch Liam Neesons Charakter kein Mann der vielen Worte. Wer nicht kooperiert, muss leiden. Doch wer dahinter weich gespültes Hollywood-Kino vermutet, ist zum Glück auf dem Holzweg. Das Produktionsland heißt Frankreich und zuweilen kommt "96 Hours" dermaßen kompromisslos daher, dass es eine wahre Freude ist.
Der ehemalige Top-Agent Bryan Mills (Liam Neeson) hat sich aus seinem Beruf zurückgezogen, um wieder näher an seine Familie heranzurücken. Seine Frau Lenore (Famke Janssen, "X-Men") hat sich bereits von ihm scheiden lassen; das Verhältnis zur 17jährigen Tochter Kim (Maggie Grace, "Lost") ist auch nicht das beste. Damit es nicht komplett den Bach heruntergeht, stimmt er einer Europareise zu, wenn auch mit strikten "Auflagen". Doch kaum sind Kim und eine Freundin in Paris angekommen, werden sie von Menschenhändlern verschleppt. Bryan muss die Entführung am Telefon live mit anhören und macht sich umgehend auf den Weg nach Frankreich. Dort schlägt, schießt und foltert er sich durch die Stadt der Liebe, nur mit dem einen Ziel, seine Tochter wieder zu finden. Viel Zeit bleibt ihm dabei nicht, denn erfahrungsgemäß verschwinden Personen in solchen Fällen nach etwa vier Tagen, also 96 Stunden, für immer.
Eine große Fernseh-Zeitschrift resümiert ihren Verriss über "96 Hours" mit den Worten: "Das ist Kino ohne Sinn und Verstand". Auch wenn das vielleicht ein wenig drastisch formuliert sein mag, so lässt sich das grundlegend unterschreiben. Der Vater trägt seinen Beruf mit in seine Beziehung zu seiner Tochter hinein, verhält sich wie ein Bodyguard und gibt dem zu schützenden Objekt exakte Anweisungen, wie es sich (auf der Reise ins gefährliche Europa) zu verhalten hat. Und das natürlich zu Recht! Denn kaum treffen Tochter und Freundin in Paris ein, geraten sie in die Fänge einer skrupellosen Menschenhändler-Organisation. Der Vater ist außer sich vor Wut, hat glücklicherweise die nötigen Skills, reist nach und räumt alles aus dem Weg, was nicht bei Drei den Namen seiner Tochter ausspuckt. Viel platter geht es in handelsüblichen Rache-B-Movies auch nicht zu.
Dieser Beobachtung gegenüber steht allerdings ein Hauptdarsteller, der den gesamten Film quasi im Alleingang rockt und nicht nur im übertragenen Sinn Amok läuft. Vor gut 15 Jahren war der Nordire Liam Neeson als Oskar Schindler der begehrten namensverwandten Auszeichnung nahe, vor zehn Jahren zückte er als Qui-Gon Jinn das Laser-Schwert, und nun poliert er Fressen im Minuten-Takt. Auf den ersten Blick sicher nicht die exakte Definition von "auf den Leib geschrieben", doch in der Tat so etwas wie eine Idealbesetzung. Neeson ist ein grimmiger, kompromissloser, humorloser Familien-Vater, der rot sieht, und dabei über stapelweise Leichen geht. Das ist nicht nur in der Mimik überzeugend, sondern auch im physischen Aspekt. Einen guten Teil der "Arbeit" hat Neeson selbst übernommen - für einen knapp 60-Jährigen durchaus beachtlich.
Dass er sich hier so hemmungslos austoben darf, ist natürlich auch den Kreativen im Hintergrund zu verdanken, darunter - logisch, es ist ja eine französische Produktion - Luc Besson als Co-Autor und Produzent sowie der hierzulande unbekannte Regisseur Pierre Morel, der eine feine kleine Genre-Arbeit abliefert, und in Anbetracht des großartigen Erfolgs von "96 Hours" in den USA sicher schon auf dem Zettel des einen oder anderen Studio-Bosses stehen dürfte.
Nahezu alles wird der temporeichen One-Man-Show des Liam Neeson geopfert: Logik, Glaubwürdigkeit, und Moral. Um an Informationen zu gelangen, die ihm dabei helfen, seine Tochter zu finden, versenkt Bryan schon mal kurzerhand eine Kugel im Körper einer unschuldigen Frau. Die ist zwar nicht lebensgefährlich verletzt, doch trotzdem genügt diese eine Szene, um zu verdeutlichen, dass "96 Hours" weiter geht als vergleichbare Mainstream-Kost. Und zwar nicht nur einen Schritt, sondern eher einen Sprung. Es ist ein Film, in dem man förmlich dazu gezwungen wird, (ungläubig) über gewalttätige Aktionen des Protagonisten zu lachen, so überraschend und unmittelbar brechen sie manchmal über seine Gegner herein. Dass manche Szenen dabei fast grotesk brutal geraten, gehört dazu.
Jedermanns Sache ist das mit Sicherheit nicht. Soll es ganz sicher auch nicht. "96 Hours" ist Kost für ein recht spezielles, aber gar nicht mal so kleines Publikum. Jenes Publikum, das sich nach Actionern sehnt, die nicht schon in der Vorproduktion hinlänglich auf Fragen überprüft werden wie: Ist das moralisch vertretbar? Treten wir damit jemandem auf den Schlips? Darf man das zeigen? Dass "96 Hours" in Großbritannien und den USA nur gekürzt erscheint (wir hingegen bekommen die volle Dröhnung als FSK 16), darf als Zeichen dafür gewertet werden, dass man sich Fragen dieser Art hier im Vorfeld vermutlich nicht gestellt hat. Teil 2 wird mit ziemlicher Sicherheit kommen - immer her damit!
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