Julian (Ryan Gosling) leitet in Bangkok einen Kickboxclub, der allerdings vornehmlich dem Drogenhandel dient. Als sein Bruder Billy eine minderjährige Prostituierte tötet, lässt der hochrangige Polizist Chang (Vithatya Pansringarm) Billy sein eigenes Verständnis von Recht und Ordnung spüren: Er sperrt des Mädchens Vater zu ihm, der Billy prompt totprügelt. Als Familienmatriarchin Crystal (Kristin Scott Thomas) vom Schicksal ihres Erstgeborenen hört, fliegt sie nach Bangkok, um vor Ort die Dinge selbst in die Hand zu nehmen und den Tod ihres Sohnes zu rächen. So beginnt eine blutige Fehde zwischen der kriminellen Familie auf der einen und den Polizisten auf der anderen Seite...
Alter Schwede! Oder besser: alter Däne! Die Warnzeichen waren da: die Buhrufe und vernichtenden Kritiken aus Cannes etwa, wo „Only God Forgives“ seine Premiere feierte. Aber, so sagte man sich, Filmfestivalpublikum hat doch schon oft daneben gelegen mit ihren manchmal bizarren Standing Ovations/Buhkonzert-Entscheidungen. Und vielleicht hat das ja auf die Kritikerzunft abgefärbt, die dementsprechend die Eindrücke des neuen Films von Nicolas Winding Refn negativ eingetrübt haben. Hat es nicht und hat es nicht: „Only God Forgives“ ist wirklich so mies, wie es aus Cannes so herschallte. Dies ist absoluter Dreck. Wunderbar gefilmter und beeindruckend anzusehender Dreck, aber nichtsdestotrotz Dreck. Mit gewohnt toller Musik von Cliff Martinez unterlegter Dreck, aber nichtsdestotrotz Dreck. Und dazu noch sinnloser, eindimensionaler, dummer, gewaltgeiler Dreck.
Letztes Jahr gab es den Meta-Film „Seven Psychopaths“, und dieser Titel trifft eigentlich auch hier ziemlich gut. Jede Figur hier ist ein Soziopath mit nicht vorhandenem Gewissen oder moralischen Bedenken, einer ziemlichen Blutlust und – von Kristin Scott Thomas mal abgesehen – einer Maulfaulheit, die diese eindimensionalen, einsilbigen, traurigen, kleinen Metzler noch flacher und unsympathischer macht. Refn hat ja schon immer Filme gemacht, in denen Identifikation mit oder Verständnis für seine Protagonisten nicht zwangsläufig waren – bizzare Figuren wie „Bronson“ im selbigen Film oder One-Eye in „Walhalla Rising“ kommen hier sofort in den Sinn. Ob man so etwas braucht, darüber darf unter Filmfans weiter gestritten werden. Für mich ist die Sache dagegen klar: Ich nehme meinen Refn lieber mit zumindest ein bisschen Empathie und Innenleben für seine kriminellen Protagonisten, wie in der „Pusher“-Trilogie oder eben seinem Meisterwerk „Drive“.
Der Polizist Chang mag ja theoretisch als eine Art noble Samurai-Figur mit eigenem Ehrenkodex gedacht sein, ist aber im Grunde ein fast eben so korrupter und moralisch verwerflicher Charakter wie eigentlich alle hier. Den Vogel schießt allerdings Kristin Scott Thomas ab als Crystal, die Mutter aus der Hölle. Rassistisch, vulgär und mordgeil bis zum geht nicht mehr – klar kann man sehen, was Scott Thomas, die ja seit Jahren in britischen und französischen Filmen die distinguierte Dame mittleren Alters gibt, an der Rolle der blondierten Drachenlady hier findet. Aber diese Figur ist natürlich purer Tabubruch um des Tabubruch willen, einer von vielen hier. Als Julian seiner Mutter erklärt, Billy habe eine 16-Jährige vergewaltigt und getötet, erwidert sie nur lapidar: „Er hatte sicherlich einen guten Grund“.
Das Schlimme an „Only God Forgives“: Weiter als diese delusionale Rechtfertigung geht auch der Film nicht im Hinterfragen – oder überhaupt im Fragen stellen irgendeiner Art – seiner Figuren. Das Einzige, was den Film zu interessieren scheint, sind stattdessen seine langgezogenen Gewaltszenen, die er ausführlich zelebriert, etwa Changs (ähem) „Verhör“ des Gangsters Byron. Und weil „Only God Forgives“ außer seinen schön gefilmten Metzelszenen eigentlich nichts weiteres zu bieten hat, kann man sich immerhin mit ein paar ungewöhnlichen Hobbys die Zeit vertreiben. So etwa, Julians gesamten Dialog zu zählen. 102 Worte (+/- ein oder zwei gemurmelte/genuschelte Worte) habe ich zählen können, womit Ryan Gosling seine Figur des Fahrers in „Drive“ nachträglich zu einer unerträglichen Quasselstrippe macht. Julian ist sowieso eine ganz merkwürdige Figur, ein quasi komplett passiver Protagonist, der sich selbst zum Showdown kaum aus seinem Phlegma reißen kann. Obwohl alle Poster Gosling in den Vordergrund rücken, ist er eher eine Nebenfigur in seiner eigenen Geschichte, Chang hat mindestens genau so viel Leinwandzeit und sicherlich genau so viel Charisma. Was immer noch heißt: so gut wie keines. Wer sich so desinteressiert an seinen Figuren zeigt wie Refn hier, der darf sich nicht wundern, dass das Publikum auch komplett desinteressiert ist. Selbst Changs einzig erwähnenswerte Eigenschaft – seine Vorliebe, für seine Kollegen in Karaokebars sentimentale Balladen zu singen – ist nur für einen müden Schmunzler gut.
All das, was hier „Only God Forgives“ zum Nachteil gereicht, hat Refn ja auch schon vorher gemacht: Die so gut wie nicht vorhandene Storyline, der schweigsame Protagonist, das ausgiebige Gemetzel, jede Menge rote Farbfilter – „Only God Forgives“ schließt sich relativ nathlos an Atmosphäre und Ästhetik von „Walhalla Rising“ an, sofern man denn die zerklüfteten vormodernen skandinavischen Hügel für das neonumflutete heutige Bangkok eintauscht. Aber auch „Walhalla Rising“ war ja für manchen – mich eingeschlossen – eine ziemliche Tortur und Geduldsprobe. Tja, und Geduld muss man für diesen trotz nicht einmal anderthalb Stunden langsamen Film, in dem im Grunde außer ein paar stylishen Tötungsszenen und Bordellbesuchen nichts passiert, auch haben. Da Refn hier nichts zu erzählen hat, nimmt er sich ausgiebig Zeit, mit der Kamera langsam Rotlicht-umflutete Korridore entlang zu fahren oder Ryan Goslings schweigende Miene und geballte Fäuste abzufilmen. Für manchen mag das abendfüllendes Entertainment sein, aber selten war Stil anstatt Substanz so sinnentleert wie hier.
Und hier hat man dann auch den großen Unterschied zu „Drive“, einem Film, der all das nicht falsch machte, was „Only God Forgives“ falsch macht. Wo „Drive“ unter seinem atemberaubenden Stil Innenleben und einen Puls hatte, wo dort eine Geschichte erzählt wurde – egal, ob man die Art, wie diese Geschichte erzählt wurde, mochte – so bleiben in „Only God Forgives“ nur die oberflächlichsten und am ehesten zu vernachlässigenden Elemente von Refns Ästhetik zurück: stilisiertes Posieren und stilisierte Gewalt. Wo in „Drive“ die Gewalt in kurze, explosive Ausbrüche konzentriert wurde und gerade dadurch intensiv und effektiv war, so ermüdet das hier einfach sehr.
Nichts ist so schwierig wie der nächste Film nach dem Meisterwerk, eine Lektion, die Refn und seine durch „Drive“ neugewonnenen Fans in den Programmkinos harsch lernen müssen. Nach dem Griff zu den Sternen nun der Griff ins Klo – angesichts von Refns bisherigen Filmen war dies sicherlich ein erwartbares Risiko, aber brutal ernüchternd ist dieser Film in seiner myopischen Scheußlichkeit denn doch. „Only God Forgives“? Was diesen Filmkritiker betrifft, kann man das sicher unterschreiben.
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