Martha Marcy May Marlene

Originaltitel
Martha Marcy May Marlene
Land
Jahr
2011
Laufzeit
102 min
Regie
Release Date
Bewertung
9
9/10
von Patrick Wellinski / 11. April 2012

Martha (Elizabeth Olsen) ist geflohen. Bei ihrer großen Schwester Lucy (Sarah Paulson) und deren Lebensgefährten Ted (Hugh Dancy) findet das verstörte Mädchen Unterschlupf. Martha Marcy May MarleneLucy hat Martha seit Jahren nicht mehr gesehen, doch Martha lässt sie im Unklaren, wo sie die ganze Zeit gewesen war. Nur den Zuschauer lässt US-Regisseur Sean Durkin in seinem exquisiten Debütfilm "Martha Marcy May Marlene" wissen, dass Martha lange Zeit im amerikanischen Hinterland in einer sektenähnlichen Kommune wohnte, die sich um den charismatischen Anführer Patrick (still und furchteinflößend: John Hawkes) gruppierte.

Durkins Film ist in seiner ruhigen Brutalität und in seiner stets angedeuteten - aber nie wirklich gezeigten - Gewalttätigkeit ein hochgradig beunruhigender Indie-Horror-Film geworden, der nicht umsonst im letzten Jahr auf allen großen Festivals nahezu frenetisch von Publikum und Kritik gefeiert wurde. Auch der in vielen Fällen berechtigten Skepsis einem solchen Hype gegenüber hält dieser intelligente Film ohne weiteres Stand. Denn in der Tat handelt es sich bei "Martha Marcy May Marlene" um ein gelungenes Debüt, das nicht nur den Regisseur schnell über weite Kreise bekannt machen sollte, sondern auch seine Hauptdarstellerin.

Martha Marcy May MarleneElizabeth Olsen (ja ganz recht: die jüngere Schwester der berühmt-berüchtigten Showbiz-Zwillinge Ashley und Mary-Kate) spielt die Martha wunderbar zurückgenommen, verschreckt, mit einer eleganten Furcht in den Augen. Sie trägt den Film ohne ihn divenhaft an sich reißen zu wollen, was - wenn man sich an die gruseligen Kinoausflüge ihrer Schwestern erinnert - nicht unbedingt zu erwarten war. Durkin, dessen bisheriges Werk zwei ebenfalls von Frauenfiguren geprägte Kurzfilme beinhaltet, erlaubt Elizabeth Olsen allerdings keine improvisatorische Freiheiten. Der Film ist kein kalkuliertes Vehikel, um ein junges Starlet berühmt zu machen. Alles ordnet sich seinem strengen Drehbuchkonzept unter. Das weist Durkin als talentierten Filmemacher aus. Denn "Martha Marcy May Marlene" ist sowohl auf erzählerischer als auch auf visueller Ebene bestechend komplex komponiert, ohne diese innere Komplexität je allzu billig zu offenbaren.

Das beginnt schon damit, dass der Film Marthas Flucht gar nicht zeigt. Ist sie überhaupt geflohen? Bei ihrer Schwester wird der Alltag für das Mädchen zur Qual. Alle möglichen Ablenkungen lösen in ihr Erinnerungen an die Zeit in der Sekte aus. Durkin zeigt das in wunderbar intelligent eingesetzten Rückblenden. Martha Marcy May MarleneMit jeder Rückblende werden mehr Informationen über das Klima jener Gruppe und ihren Anführer ausgeschüttet. Genau aus dieser stückchenhaften Offenlegung der Informationen bezieht die Handlung ihre nervenaufreibende Spannung. Wieso nennt Patrick Martha eigentlich Marcy May? Wie sehen die Verhältnisse zwischen den Jungen und Mädchen in der Gruppe aus? Warum werden regelmäßig neue Mitglieder rekrutiert? Fragen, deren suggerierte Antworten alles andere als erlösende Klarheiten bringen. Dies ist halt kein Film, der uns bequem in eine Position setzt, in der wir über die Figuren und ihre Ängste lachen und uns über sie amüsieren. Wir sehen nicht von Außen in den Käfig, wir sitzen seit der ersten Einstellung mitten drin.

Martha Marcy May MarleneEs ist eine riskante Form, die der Regisseur für seinen Inhalt findet, aber am Ende muss man ihm recht geben. Anders hätte man die Geschichte gar nicht filmen können. "Martha Marcy May Marlene" ist feines, implizites Horrorkino, das sich den Horror sogar in das Filmmaterial gebrannt hat. Gedreht wurde nicht digital, sondern auf klassischem 35mm. Das verleiht dem Film einen flirrend grobkörnigen Look, der die drohende Gefahr und Marthas paranoide Wahnvorstellungen zum Grundklima der Erzählung macht. Und wie schon bei Hitchcocks "Vertigo" sind die Bilder auch hier in jenes leichenblasse Grün getaucht, das nichts Gutes verheißt.

Den Schrecken, den "Martha Marcy May Marlene" verströmt, lässt der Regisseur erst in der allerletzten Einstellung zur getriebenen Gewissheit werden. Man ist gewillt, den jungen Regisseur dadurch auch mit einem Meister wie Stanley Kubrick zu vergleichen (wohl wissend, dass solche Vergleiche dem jungen Talent und seinem Werk eher hinderlich sind), da sein Film das angedeutete Grauen gegen den Splatter-Blut-Exzess des aktuellen Horrorkinos stellt und damit auf ganzer Linie gewinnt.

 

 

Bilder: Copyright

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