Melancholia

Originaltitel
Melancholia
Land
Jahr
2011
Laufzeit
136 min
Genre
Release Date
Bewertung
9
9/10
von Patrick Wellinski / 18. September 2011

 

Es ist das Ende. Das Ende allen Lebens auf Erden. Der Planet Melancholia sollte an der Erde nur ganz knapp vorbeifliegen. Doch die Berechnungen der Astronomen werden sich als falsch erweisen und Melancholia kollidiert mit der Erde. Es ist aus.

MelancholiaLars von Trier beginnt seinen neuen Film „Melancholia“ mit einer atemberaubenden Sequenz des Weltuntergangs. In Zeitlupe, bunter Coca-Cola-Ästhetik und untermalt mit den wuchtigen Klängen von Wagners Ouvertüre zu „Tristan und Isolde“ sehen wir die letzten Sekunden von Justine (Kirsten Dunst) und Claire (Charlotte Gainsbourg). Es sind Szenen, die später noch einmal wiederkehren werden. In seiner opernhaften Eröffnung will Lars von Trier aber unmissverständlich klarmachen, dass es in diesem Film kein zurück geben wird.

Nach diesem furiosen Einstieg beginnt der eigentliche Film. Er besteht aus zwei Hälften. Die erste heißt „Justine“ und spielt während der Hochzeitsfeier von Justine und ihrem Ehemann Michael (Alexander Skarsgard). Es entspinnt sich ein herrlich absurdes Panoptikum aus Familienkrach und Feierlaune. Wenn Justines Schwester Claire als penible Organisatorin alles unter Kontrolle haben will, aber schon bei der halbstündigen Verspätung des Brautpaares ihre ganze Planung über Bord werfen muss. Der geschiedene Vater benimmt sich daneben, die Mutter der Braut (biestig und hinreißend: MelancholiaCharlotte Rampling) macht aus ihrer Einstellung gegenüber der Ehe keinen Hehl und Justines Chef (der Besitzer einer Werbefirma) versucht aus seiner besten Mitarbeiterin noch während der Nacht einen Werbeslogan für eine neue Kampagne zu entlocken. Und durch all den Trubel wandelt die tief depressive Justine, den Blick gen Himmel gerichtet, denn Melancholia ist zwar noch ein kleiner Punkt am Firmament, aber trotzdem kündigt sich schon das Unheil an.

Der zweite Teil des Films heißt „Claire“ und spielt ein paar Tage nach der Hochzeit. Stand zuvor noch Justine im Mittelpunkt, so ist er nun ihre Schwester. Ihre panische Angst vor einem möglichen Weltuntergang stellt Lars von Trier spiegelbildlich gegen die Gelassenheit der depressiven Justine. Aus dieser Konstruktion erwächst in „Melancholia“ die größte Spannung. Von Trier zeigt wie die Depression Justine immer dann am stärksten trifft, wenn das normale Leben um sie herum tobt. Obwohl die Hochzeit der glücklichste Tag ihres Lebens sein sollte, kann sie nichts mit der Freude und dem Glück anfangen. Sie funktioniert in diesem Kontext nicht. Anders im zweiten Teil, wo Justine das Ende der Welt gar nicht schnell genug herbeisehnen kann. Hier wirkt sie wie ausgewechselt. Sie sieht dem Ende der Welt gelassen entgegen, weil sie die Hölle auf Erden bereits erlebt hat. Ganz anders ihre Schwester Claire, die im Tod keine Erlösung sieht, sondern eine Bedrohung.

MelancholiaKirsten Dunst reiht sich mit ihrer überraschend feinfühligen Performance in die Reihe jener weiblichen Darstellerinnen ein, die unter Lars von Triers Regie an die Grenzen ihrer bisherigen Möglichkeiten stießen. Mit ganz wenigen Gesichtsausdrücken entlarvt sie die anfängliche Fröhlichkeit ihrer Justine als Fassade und plötzlich spiegelt sich in ihren wissenden Augen das ganze Verderben und der Schmerz ihrer Seelenkrankheit. Eine derart erwachsene und kontrollierte darstellerische Leistung hätte man von Kirsten Dunst nicht unbedingt erwarten können.

Doch der wahre Erfolg dieses Films ist die Tatsache, dass Lars von Trier sein interessantestes Werk seit Dogma-Zeiten und seinen besten Film seit „Idioten“ gedreht hat. Es ist schlicht und einfach beeindruckend mit welcher Freiheit der Däne hier seinen Film inszeniert. Besonders die Hochzeitsfeier ist mit derart vielen kleinen und großen Konflikten bestückt, dass er ohne weiteres ein ganz eigenes Werk hätte sein können. Und natürlich erinnert die Szenerie, die bewegte Kamera und der Hass unter den Familienmitgliedern an Thomas Vinterbergs ersten Dogma-Film „Das Fest“, den von Trier hier unmittelbar aber dafür sehr stilvoll zitiert.

MelancholiaMit „Melancholia“ bekämpft von Trier weiterhin auch seine eigenen Depressionen. Doch der Film wirkt wesentlich reifer und durchdachter als sein letzter filmischer Selbstheilungsversuch. Der kaum erträgliche Arthaus-Horror „Antichrist“ war eine mit allerlei Mystizismen vollgepackte grafomanische Abartigkeit, die dem Zuschauer jedwede Dialogbereitschaft absprach. In seinem Weltuntergangsfilm verwandelt von Trier seine eigene Seelenqual in etwas Universelles. Er zitiert Gemälde von Breugel, John Everett Millais‘ „Ophelia“ und andere Werke der romantischen Malerei. Selbstverständlich ist das Ende der Welt hier eine erbarmungslose Erlösungsfantasie. Aber von Trier lässt die Welt still und leise untergehen. Er verzichtet auf die Inszenierung von Massenpanik und heroische Rettungsversuche, die man aus Katastrophenfilmen wie „Armageddon“ kennt.

Der große Knall wird kommen, das ist unausweichlich. Und die letzten Minuten dieses Films zählen ohne Frage zum Intensivsten, was man in diesem emotionsarmen Kinojahr zu sehen bekommen kann. Denn in seinem Kern hat der depressive Dogma-Däne Lars von Trier eine wuchtige Auseinandersetzung über die äußersten Dinge des Lebens auf die Leinwand gebannt. Und in seiner visionären Kunstfertigkeit ist er dabei viel konsequenter und eindrücklicher als der ätherische Welterschaffungsgestus eines Terrence Malick.

Bilder: Copyright

9
9/10

Bin immer noch relativ sprachlos, habe Melancholia am Montag gesehen und denke noch täglich über den Film nach.

Mann muss diesen Film einfach sehen und sich ein eigenes Bild machen, daher will ich gar keine ellenlangen selbstverliebten Abhandlungen darüber schreiben, nur soviel:
Darstellerische Leistung als auch Umsetzung finde ich gelungen, der Rest liegt mal wieder im Auge des Betrachters.

Anders ausgedrückt: Man liebt oder verabscheut Melancholia.

Warum es das Pferd oder später auch das Golf Car nicht über die Brücke schafft erinnert mich ein wenig an die Bildsprache von Antichrist, ein wiederkehrendes Motiv.

Antichrist steht darüber hinaus für sich, ich mag nicht darauf eindreschen.

Allerdings bin auch ich der Meinung das Melancholia der beste von Trier seit langem ist.

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Also ehrlichgesagt ist mir Lars von Trier in erster Linie stets als einer der selbstverliebtesten und prätentiösesten Filmemacher aller Zeiten aufgefallen - seine Filme sind eigentlich alle ausgezeichnet durch einen Gestus von "Bestrafung des Publikums": So als ob die ganze Welt dafür verantwortlich wäre dass der Herr heute einen schlechten Tag hat, und sich deswegen zur Strafe anschauen muss wie Frauen mit Scheren in ihrer Vagina rumpopeln (Antichrist), oder eine blinde Mutter aufgrund von Kommunikationsschwierigkeiten grausam hingerichtet wird (Dancer in the Dark). Immer scheinen es die Frauenfiguren zu sein die es abkriegen.
Unter anderen Umständen wäre aus von Trier bestimmt ein Internet Freak geworden wie z.B. Anders Breivik (den Nazi vergleich hat er ja in Venedig dieses Jahr selbst vom Stapel gelassen).

Ich habe Melancholia nicht gesehen, aber Lars von Trier hat meiner Meinung nach seine Glaubwürdigkeit bereits verspielt. Wer es sich ankuckt und auf diesen prätentiösen Quatsch hereinfällt ist absolut selbst Schuld.

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9
9/10

Puh, harter Tobak der Film.

Zunächst mal war es natürlich eine sehr schwere Entscheidung, ob man in den Film eines nationalsozialistischen Regisseurs geht. Allerdings kann man hier Entwarnung geben: Der Film selbst enthält KEIN rechtsradikales Gedankengut.

Ich muss sagen der Film war sehr beeindruckend. Die zwei Teile der Geschichte sind sehr intelligent aufgebaut, zum Ende hin wird der Spannungsbogen bzw. das erdrückende Gefühl fast unerträglich. Die Auswegslosigkeit der Situation überträgt sich 1 zu 1 auf den Zuschauer. Man muss wirklich aufpassen, dass man durch den Film nicht selbst depressiv wird.

Insgesamt ein filmisches Meisterwerk.

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@Florian: Lars von Trier ist kein Nazi. Er ist nur nicht in der Lage, zwischen einer Person mit deutschen Vorfahren und einem Nazi zu unterscheiden. Informier dich mal über seine Biographie, Stichtwort "Vaterschaft", oder lies dieses Interview: http://www.spiegel.de/kultur/kino/0,1518,763798,00.html

Die Pressekonferenz in Cannes gibt es auf Youtube. Auch das hilft dabei, die Sache einzuordnen.

Übrigens: wenn du dir deine Entscheidungen erst dann schwer machst, nachdem du dich gründlich informiert hast, sind sie teilweise gar nicht mehr so schwer. Weil du dann nämlich informiert bist.

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9
9/10

Je mehr ich über den Film nachdenke, desto eher kommt mir der erste Teil vor wie ein Alptraum, in dem man zu spät zu irgendeinem Termin kommt oder nackt in die Schule. Die Handlungen sind durch die Bank vollkommen irrational und auch nicht zwangsläufig typisch für Depressionen, zumal ja auch nur Justine depressiv ist. Das Auto kommt nicht um die Kurve und dadurch verspätet man sich um 2 Stunden? Fährt man mal eben bei seiner Hochzeit auf den Golfplatz zum Strullen? Verlangt ein Chef ernsthaft bei der Hochzeit einen Slogan und stellt stolz einen hirnlosen Handlanger für eine einzige Aufgabe ein? Der Vater nennt alle Betty? Das war für mich zu geballt, um kein Alptraum zu sein. In Teil 2 wird dagegen die Hochzeit mit keiner Silbe erwähnt: War Teil 1 nur Wahnvorstellung von Justine? Vielleicht im Gedankenspiel, was sie aus ihrem Leben hätte machen können oder sollen angesichts des Weltuntergangs? Irgendeinen Grund muss es ja geben, dass die beiden Teile getrennt sind.

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3
3/10

Der Film läßt sich etwa so zusammenfassen:
Ehemann: nee lass mal.
Mutti: nee...
Vati: auch nicht.
Arbeitgeber: ach Du meine Güte ne lass blos mal!
Arbeitskollegen: neee... auch nix, lass mal.
Hochzeitsfeier insgesamt: am besten Wegschmeissen, bringt eh nix.
Reicher Wissenschafts-Schwager: nee... totale Enttäuschung der Typ!
Kind sein: da ist man ganz schön dumm dran, wenn man ein Kind ist!
Leben insgesamt: nee... dat jibt doch nüscht. Besser schluss damit!
Sich dran stören und fürchterliches Durchmachen das man sich als Zuschauer garnicht vorstellen kann oder mag (wie bei Lars von Trier so Standard) (Claire)
Erwartungsgemäß eine sehr unzufriedenstellende Gesamtsituation!
Die beste Lösung: Eine Masochistisch-Existentialistische Verbindung mit dem unausweichlichen, a.k.a. sich nackt der Todessehnsucht hingeben! (Justine)

Am Ende: Das leben ist insgesamt total blöd, anstrengend und nervig und am Ende ist es einfach aus. Ist auch besser so!

Hat er uns mal wieder ein tolles Häufchen hingesetzt der Lars.

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10
10/10

Wenn jemand meint, eine Person, die so handelt und fühlt wie Justine gibt es nicht der irrt. Ich habe meine Freundin wiedererkannt, bis ins Detail. Ich war extrem betroffen, aber für mich war es der beste (weil ergreifendste)Film, den ich je gesehen habe. Depression ist eine schreckliche Krankheit, bei der nicht nur der Patient betroffen ist.

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2
2/10

Der Film bietet einige visuelle und musikalische Häppchen. Auch wer gerne ganz tief in den Abgrund blickt (Neurosen, Depressionen, Spiesserhölle, Selbstmord, etc.) bekommt den Abbruch frei Haus. Alles ist aber ein wenig zu langatmig, zu nichtssagend und - vor allem - zu beliebig. Ich mag die Filme von Lars von Trier, aber dieser hier gehört definitiv nicht dazu. Wer auf Weltuntergang und Depression steht, sollte "The Road" vorziehen. Wer auf den Tod steht, sollte "Jacob's Ladder" vorziehen. Wer auf Hochzeitsfilme steht, sollte "Very Bad Things" vorziehen. Wer auf Lars von Trier steht, sollte "Idioten" vorziehen. Wer auf visuellen Bombast steht, sollte "The Fountain" vorziehen. Wer auf verstörende Sozialpathologie steht, sollte "Mulholland Drive" vorziehen. Das ist das Problem: Dieser Film hat NICHTS, was viele, viele andere Filme nicht schon besser gemacht hätten. Ich bin fast eingeschlafen. Fast rausgegangen. Fast laut geworden.

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4
4/10

unglaublich langatmig... bin gegen ende ab und zu eingeschlafen. und der lars braucht einen psychologen oder medikamente oder eine selbsthilfegruppe, aber bitte keine filme mehr zur selbstheilung machen. nach antichrist hatte ich mir vorgenmmen niemals wieder einen von trier film zu sehen, doch dann war ich neugierig und dachte jeder hat noch eine chance verdient... 4 augen für die tollen darsteller und die schönen bilder. eine herausragende kirsten dunst. diesmal war es mein letzter film von lars von trier. alles in allem schließe ich mich meinem vorredner "oh oh oh" an.

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8
8/10

Großartig! Wenn man sich drauf einläßt. Was anfangs wirklich schwer fällt. Zwei Anläufe habe ich gebraucht, um die erste halbe Stunde zu meistern. Nach Ende des Films aber sofort damit begonnen ihn nocheinmal zu sehen. Das ist mir seit "Die üblichen Verdächtigen" nicht wieder passiert. Der Film entwickelt einen unglaublichen Sog. Wie auch @Ette bin ich der Überzeugung, dass die Hochzeit eine Traumvorstellung ist. Viele surreale Elemente, unglaubwürdige Dialoge und überzogene Charaktere sprechen dafür. Alles in allem noch depressiver als Antichrist, aber viel, viel eindringlicher ( ) -------> o

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10
10/10

Das hat nichts mit Unterhaltung zutun. Der Film ist ein Kunstwerk und wirkt lange nach und wird erst ganz am Ende rund. Meiner Meinung nach ist Clair nicht wirklich depressiv. Sie hat sich verwirklichende Visionen - in diesem Fall vom bevorstehenden Weltungergang. Für mich soll die Anfangsszene diese Vision darstellen. Vielleicht hatte ja auch die Mutter Vorahnungen. Wenn man die ganze, kranke Hochzeitsszene unter diesem Licht sieht, wirkt sie gar nicht mehr so absurd. Wenn der Tod kurz bevorsteht, dann macht eben nichts mehr Sinn. Toller Film, tolle Schauspieler. Muss aber einräumen, dass der konsumierende Kinozuschauer, der auf der Suche nach Unterhaltung ist, dem Film vielleicht nichts abgewinnen kann.

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8
8/10

Ein sehr guter und spannender Endzeitfilm, der überhaus unkonventionell und ideenreich daherkommt.
Ein Stern Abzug für die Logikfehler und die mangelnde astronomische Sachkenntnis im Drehbuch und ein Stern Abzug dafür, daß der Film ausschließlich auf eine Handvoll Menschen fokussiert und das große Ganze außer acht läßt.

Ich persönlich bin auch ein Freund aufwendig produzierter Filme, in denen man sich Mühe gibt, politische, gesellschaftliche, globale Fragestellungen in den Fokus zu rücken. Science-Fiction hat ja immer auch politische Aspekte und die kommen in der Tendenz hier deutlich zu kurz.

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