Es hat lange gedauert, verdammt lange. Seit mehr als 40 Jahren schwingt sich der Netzspinner namens "Spider-Man" nun schon durch Hunderte von Comicheften und mehr als ein Jahrzehnt brauchte es auch, bis aus der Idee einer großen Kinoverfilmung endlich Realität wurde. Diese lange Wartezeit hatte zweierlei Gründe: Erstens einen ermüdenden Rechtsstreit zwischen mehreren Produktionsfirmen, die alle meinten im Besitz der Filmrechte zu sein, und zweitens vor allem die Titelfigur selbst. Denn im Gegensatz zu seinen großen, kraftstrotzenden Comic-Brüdern handelt es sich bei "Spider-Man" um eine eigentlich unspektakuläre Figur. Seine Kräfte sind eher bescheiden und nicht von der welterschütternden Gewalt eines "Superman", und es steht ihm auch kein Arsenal an Waffen und Ausrüstung zur Verfügung wie etwa einem "Batman". Der große Erfolg der Serie beruhte von jeher eher auf ihrer Menschlichkeit, auf dem Charakter des ewigen "Losers" Peter Parker, der wenig Glück bei den Frauen hat, ständig pleite ist und von Selbstzweifeln geplagt wird. Diese "Charaktertiefe" innerhalb eines bunten Superheldenspektakels auf die Leinwand zu übertragen ist eine recht heikle Angelegenheit, an der z.B. die "Spider-Man"-Fernsehserie der siebziger Jahre erbärmlich scheiterte. Aber nun ist es endlich soweit: Moderne Tricktechnik, ein mit der Materie vertrauter Regisseur und ein optimal besetzter Hauptdarsteller sorgen dafür, dass mit "Spider-Man" eine Adaption entstand, die sowohl die Fans zufrieden stellen als auch das restliche Publikum unterhalten wird.
Und wer ist nun dieser "Spider-Man"? Ein schwächlicher Außenseiter namens Peter Parker, der bei Onkel und Tante aufwächst, seit Jahren für die schöne Nachbarstochter Mary Jane schwärmt (ohne sie je anzusprechen) und viel zu oft als Opfer der derben Späße seiner Mitschüler herhalten muss. Doch all das ändert sich als Peter eines Tages bei einem Schulausflug von einer genmanipulierten Spinne gebissen wird. Denn kurz darauf spürt es bemerkenswerte Änderungen an seinem Körper. Nicht nur hat er plötzlich gewaltig an Muskeln zugelegt, zusätzlich besitzt er nun auch weitere Fähigkeiten, die denen einer Spinne entsprechen: Peter ist in der Lage an Wänden hoch zu krabbeln, aus seinen Armen eine klebrige Netzflüssigkeit zu versprühen, und wird durch eine Art "Spinnensinn" sogar vor herannahenden Gefahren gewarnt. Doch erkennt er zunächst nicht das Potential seiner Möglichkeiten und nutzt sie lediglich um damit als Kämpfer in zweitklassigen Shows Geld zu verdienen. Erst als seine Gleichgültigkeit in einer persönlichen Tragödie endet erkennt Peter, dass er seine Kräfte sinnvoller einsetzen muss. Und ihm wird klar: "Aus großer Kraft folgt auch eine große Verantwortung".
Letzteres ist nun schon seit langer Zeit das große Leitmotiv und irgendwo auch eine Art "moralische Keule" der "Spider-Man"-Serie. Aber selten wurde die Motivation einer Heldenfigur stärker herausgearbeitet als hier durch das traumatische Erlebnis gleich zu Beginn seiner Karriere. Und diese Entwicklung - vom unreifen Teenager zum verantwortungsvollen Erwachsenen - verkörpert Tobey Maguire mit Bravour, in einem Film, der ihm glücklicherweise auch die Möglichkeit dazu gibt - und nicht allzu sehr unter den beizeiten sehr hölzernen Dialogen von Auftragsautor David Koepp leidet. Der stets etwas verloren in eine ihm fremde Welt schauende Maguire ist für die Figur des Peter Parker ja auch eine offensichtliche Wahl. Doch auch im (erstaunlich gelungenen) Kostüm des Netzschwingers macht er eine gute Figur und sogar einige Muckis hat sich Herr Maguire dafür antrainiert. Unterstützt wird er dabei von einer zauberhaften Kirsten Dunst, die ihre Mary Jane als eine Mischung aus selbstbewusstem Männerschwarm und Romantikerin anlegt. Bei den Nebenfiguren sticht insbesondere J.J. Jameson heraus - seines Zeichens cholerischer Zeitungsherausgeber und überzeugter Spider-Man-Hasser. Dessen Charakter streift zwar haarscharf an der Karikatur vorbei, entspricht damit aber absolut dem Geist der Vorlage.
Wie überhaupt die "Werktreue" eines der überraschendsten Merkmale dieser Adaption ist: Von Peter Parkers ersten Versuchen als Kämpfer im Wrestling-Ring über seine folgende tragische Fehlentscheidung, von Jamesons Frisur bis zum Haarschnitt seiner im Film namenlosen Sekretärin: "Alles genau wie im Comic" ruft der Kenner und freut sich ein Loch in den Bauch über die vielen kleinen Anspielungen und Insider-Gags. Da verkraftet er dann auch, dass aus den beiden bedeutenden Frauen in Peter Parkers Leben in diesem Film dann einfach EINE gemacht wurde, die dann auch gleich mehrfach von ihrem Helden in blaurot gerettet werden muss. Für die Stringenz der Handlung ist das nämlich durchaus sinnvoll und auch der nicht so mit der Welt des Netzkopfes vertraute Zuschauer soll schließlich noch folgen können. Was auch kein Problem ist, denn "Spider-Man" erzählt seine Geschichte recht gradlinig, flott und über zwei Stunden immer unterhaltsam.
Zu bemängeln gibt es eher wenig: Beispielsweise, dass die Action- und Nahkampfszenen zwar überzeugen, die in übertriebenem Tempo ablaufenden Spezialeffekte aus der Luft die Figuren allerdings oft wie Hüpfer aus einem Computerspiel wirken lassen. Und dass der unvermeidliche "Superschurke" nicht wirklich überzeugen kann. Denn leider ist es letztendlich doch nicht ganz gelungen, den "Grünen Kobold" optisch so in Szene zu setzen, dass er möglichst nicht albern wirkt. Wie auch die charakterliche Wandlung und "Schizophrenie" dieses Bösewichts etwas plötzlich und nicht ganz überzeugend daherkommt. Bei diesen geschilderten Defiziten wirkt "Spider-Man" dann auch tatsächlich etwas sehr "cheesy". Und den Coolnessfaktor der Kollegen aus dem gleichen Hause, den "X-Men", erreicht er daher dann auch nicht ganz. Der Look und die Atmosphäre des Films sind eben eine andere, leichtere und buntere, durchaus selbstironische - trotz der grundsätzlichen "Ernsthaftigkeit" des Charakters Peter Parker.
Insgesamt darf man aber in fast jeder Hinsicht zufrieden sein, denn es gab schließlich Zeiten in denen man vor jeder angekündigten "Comicverfilmung" in berechtigten Angstschweiß ausbrechen durfte. Seit einiger Zeit scheint jedoch in Hollywood eine bemerkenswerte Einsicht Einkehr gehalten zu haben: Dass man an diese Art Filme Regisseure heranlassen sollte, die zumindest genug Bezug zur Vorlage haben um einigermaßen zu wissen, was sie tun.
Bryan Singer hat das mit seinen "X-Men" genauso bewiesen wie kürzlich Peter Jackson mit dem überragenden "Herr der Ringe". Und auch Sam Raimis "Spider-Man" fügt sich recht nahtlos in diese Reihe gelungener Adaptionen ein. Erfreulich.
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