Manchmal definiert sich ein Film über eine einzelne seiner Figuren. Wenn man sich später mit irgendeinem Zuschauer über solch einen Film unterhält, kommt die Sprache immer zuallererst auf diese eine Figur. In vielen Fällen nennt man sowas "career-making performance" (siehe Cuba Gooding jr. in "Jerry Maguire"), in anderen Fällen erfinden sich großartige Darsteller komplett neu, wenn keiner damit gerechnet hat. So wie Ben Kingsley, der Mann, dessen berühmteste Rollen Mahatma Gandhi und der Buchhalter Itzhak Stern in "Schindlers Liste" waren. Und nun spielt er Don Logan. Don Logan, das ungelogen größte, gemeinste, niederträchtigste und hassenswerteste Arschloch der jüngeren Filmgeschichte. Logan ist "Sexy Beast", und "Sexy Beast" ist nur deshalb kein endlos genialer Film, weil Don Logan leider nur als Nebenrolle fungiert. Hauptcharakter in diesem kleinen feinen Gangsterfilmchen des ehemaligen Werbe- und Videoclip-Regisseurs (noch so einer?) Jonathan Glazer ist der englische Ganove Gal (Ray Winstone), der seinen letzten großen Coup schon hinter sich hat und jetzt seinen wohlverdienten "Ruhestand" gemeinsam mit seiner Ehefrau (und ehemaligen Porno-Darstellerin) Deedee und einem befreundeten Ganster-Paar an der spanischen Costa del Sol verbringt. Die erste Einstellung des Films setzt die Zeichen: Gal brät im wahrsten Sinne des Wortes in der Mittagssonne, auf einer pervers weißen Terrasse, mit ein paar Bier und einem Aschenbecher neben sich. Dieser Typ will nichts mehr tun und braucht nichts mehr tun. Aber dann kommt ein unerwarteter Telefonanruf: Don Logan, Handlanger für einen dicken Londoner Gangsterboss hat sich angekündigt und will Gal für einen letzten Job zurück nach England holen. Gal will den Job nicht, seine Frau und Freunde wollen es nicht, aber zu Don Logan sagt man nicht einfach so Nein. Wieso nicht, wird von seinem ersten Auftreten an klar. Generell schlecht gelaunt, bellt Logan abwechselnd Befehle und Gemeinheiten durch die Gegend, regt sich über alles und jeden auf, sondiert seine Umgebung mit stetem Misstrauen, eruiert bei allen Anwesenden sofort den wunden Punkt und bohrt wenn es sein muss nicht nur seinen Finger, sondern den ganzen Arm hinein. Eine dicke Ader auf seiner Stirn scheint konsequent vor Wut zu pochen, und die Art und Weise, wie er Fragen stellt, lässt nur die Antwort zu, die er hören will. Und wenn die nicht kommt, fragt er so lange weiter, bis er sie kriegt. Zu Don Logan sagt man nicht Nein. Weil man diesen Typ einfach hassen muss. Aber im gleichen, wenn nicht höheren Maße muss man vor ihm Angst haben. Kingsley als Logan ist schlichtweg genial, hat natürlich mit dieser Rolle auch sehr dankbares Material zur Verfügung und klatscht mit seinem unglaublichen Auftritt nicht nur alle anderen Darsteller, sondern gleich den ganzen Film an die Wand. Ray Winstone als Gal brilliert in einem Part, der viel Zurückhaltung und Nuancen verlangt, aber eben auch die konsequente Unterwürfigkeit, solange Kingsley präsent ist. Und wenn er es nicht ist, vermisst man ihn zu sehr, um den Rest wirklich schätzen zu können. Der Szenarien-Wechsel von Spanien nach London (denn natürlich reist Gal zurück, nur das Warum ist ziemlich interessant) kommt sehr abrupt und tut dem Film nicht gut. Zum einen geht die so brillant gestrickte Sonnenbrand-Psychokrieg-Atmosphäre der ersten Stunde von jetzt auf gleich komplett verloren, zum anderen verschwindet mit der Rückkehr nach England leider auch Logan, und der Zuschauer wird mit einem Antiklimax einer Story allein gelassen, die ihn eigentlich nur wegen dem nun fehlenden Bösewicht interessiert hat. Auch wenn sich Regisseur Glazer aufgrund seiner beruflichen Vergangenheit wie erwartet leicht damit tut, seinen Film visuell hochwertig in Szene zu setzen und sich auch in der zweiten Hälfte so einige durchaus als aufregend und schwer einfallsreich zu bezeichnende Einstellungen finden (einsamer Höhepunkt ist ein Unterwasser-Bankraub: grandiose Idee, grandiose Umsetzung), als Erzähler muss er noch lernen. Zu sehr wirkt die London-Episode wie ein angeklebtes Extra-Stück, das zwar nötig ist, um die Story des Films rund zu machen, aber leider kaum mit dem vorher Gesehenen mithalten kann. So steht am Ende ein paradoxes Urteil: Kingsley's Vorstellung hier ist so unglaublich gut, dass er damit den Film kaputt macht. Weil man jede Minute, die er nicht auf der Leinwand ist - wo er niemanden nach Strich und Faden anscheißt und immer kurz davor zu sein scheint, seinem Gegenüber in den Arm oder wesentlich empfindlichere Stellen zu beißen - irgendwann nur noch als eine verlorene Minute ohne Don Logan registriert. Also falls das noch nicht ganz klar geworden ist: Der Eintritt für diesen Film ist jeden Euro wert - allein schon für Don Logan. Für den sogar das Doppelte. Einzig bedauerlich: In dem Jahr, in dem Denzel Washington für seine erste Bösewichtsrolle in "Training Day" mit dem Oscar als bester Hauptdarsteller ausgezeichnet wurde, blieb Ben Kingsley für die vielleicht beste Vorstellung seiner an Höhepunkten nicht armen Karriere sowohl der Golden Globe als auch der Oscar verwehrt. Dafür würde Don Logan erstmal wieder einen richtig dicken Hals kriegen. Ein Glück für die Adademy-Mitglieder, dass dieser Typ nur auf Zelluloid existiert. |
Neuen Kommentar hinzufügen