
Wie wird ein Mensch zum Neonazi? Welche Bedingungen führen dazu, dass ein normaler Mensch, der einmal ein Kind, Jugendlicher nach durchschnittlichem Strickmuster war, zum Rassist wird? Eine von vielen möglichen Antworten zeigt "Führer Ex". Ingo Hasselbach war selbst Neonazi, bis er 1993 aus der rechten Szene ausstieg. Zusammen mit Winfried Bonengel, der im Film auch Regie führt, schrieb er im selben Jahr das Buch "Die Abrechnung", in den USA erschienen unter dem Titel "Führer Ex". Heute arbeitet Ingo Hasselbach als freier Autor, er ist Mitbegründer der Ausstiegshilfsorganisation EXIT. Er lebt nach wie vor im Zeugenschutzprogramm. Zusammen mit Bonengel schrieb er das Drehbuch zum Film "Führer Ex", welcher eine Mischung aus Wahrheit und Fiktion geworden ist.
Die
18jährigen Heiko (Christian Blümel) und Tommy (Aaron Hildebrand)
leben in den 80ern in der DDR ein durchschnittliches Jugendleben:
wenig Bock auf gar nichts, erste Erfahrungen mit Frauen, rumhängen
mit den Kumpels. Sie sind jung, naiv, genervt vom totalitären
System, pinkeln auf die Partei-Zeitung "Neues Deutschland"
und haben keine Perspektive. Spätestens nach Tommys erstem
Gefängnisaufenthalt (er hatte aus Jux die DDR-Flagge verbrannt)
ist den beiden klar: sie wollen raus aus diesem Staat. Ihr stümperhafter
Fluchtversuch scheitert kläglich, sie werden verurteilt und
landen im schlimmsten Zuchthaus der DDR. Hier herrscht brutale Knast-Realität,
welche die beiden Jungen überfordert und zum Spielball der
dort herrschenden Gruppen macht. Tommy, pragmatisch veranlagt, schafft
es noch einigermaßen, an den veränderten Lebensbedingungen
nicht komplett zu zerbrechen.
Er
schließt sich schnell eine Gruppe von Nazis unter der Leitung
von Friedhelm Kaltenbach (Harry Baer) an, die zwar Unterwerfung
fordern, aber größtmöglichen Schutz bieten. Der
sensible Heiko hingegen scheitert am System und läuft geradewegs
in jedes offene Messer. Bei seinem Spießrutenlauf wird er
schließlich brutal vergewaltigt. Als er der nächsten
Peiniger ein Messer in den Bauch rammt, kommt er in Einzelhaft und
verliert neben seiner Seele auch langsam den Verstand. Zurück
im "normalen" Knast schließt auch er sich dann der
Gruppe von Kaltenberg an. Bald gelingt Tommy die Flucht, während
Heiko ausharren muss....
Die
grenzenlose Inhumanität, auf die beiden Jungs im Knast treffen,
und die ihr Leben und ihre Freundschaft unerwartet und nachhaltig
prägt, macht "Führer Ex" so glaubwürdig
und schockierend und lässt die Zuschauer in Abgründe blicken,
die man gerade deshalb nicht sehen möchte, weil sie wahr sein
können, und vielen Menschen solcher Gewalt ausgesetzt sind.
Nicht nur in der DDR, sondern in den meisten Ländern rund um
den Globus. Die Entwicklung der Freundschaft zwischen Heiko und
Tommy steht im Fordergrund der Geschichte und macht sie so spannend
zum Kino- und nicht zum Dokumentarfilm. Trotz einiger Brüche
im Ablauf und geringer Schwächen bei den sonst vielversprechenden
Jungschauspielern Blümel und Hildebrand ist hier ein herausragender
Film gelungen. Die Stärke des Films, nämlich die persönlichen
Erfahrungen von Hasselbach, zeigt sich in der Erschütterung
und Beklemmung, mit der die Zuschauer den Kinosaal verlassen.
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