
Alle paar Jahre versucht man es nochmal mit dem ganz großen Katastrophenfilm. Einem Genre, das seine Blütezeit in den 70er Jahren hatte, als nacheinander alle denkbaren Unglücke mit Schiffen, Flugzeugen, Flammen und Wassermassen zum ersten Mal in voller Pracht und mit den damals modernsten Spezialeffekten in Szene gesetzt wurden. Da ist jedoch heute bei sogar geringerem Aufwand noch viel mehr möglich, denn der aktuelle Stand der Computertechnik sorgt dafür, dass es in Sachen Massenzerstörung praktisch keine Grenzen mehr gibt. Was aber nicht bedeutet, dass die neuzeitlichen Desasterfilme aus dem Rechner deshalb auch eine größere Wirkung erzielen. Denn wer mit den Superhelden- und Monsterfilmen der letzten Jahre vertraut ist, der ist nicht mehr so leicht zu beeindrucken oder gar zu überraschen. Daher entlockt einem auch der eigentlich äußerst spektakuläre Erdbeben-Thriller "San Andreas“ leider nicht viel mehr Regungen als ein nüchternes „Alles schon mal gesehen“-Achselzucken. Und dass die Rahmengeschichte dann zusätzlich sämtliche Klischees des Genres komplett und mit einer noch nicht dagewesenen Konsequenz versammelt, macht es dann sogar noch unfreiwillig komisch.
Als Hubschrauber-Rettungspilot ist Ray (Dwayne Johnson) an aufreibende Einsätze gewöhnt, doch als in Kalifornien die Erde zu beben beginnt, steht ihm das größte Abenteuer seines Lebens bevor. Zwar spielt sich der Zusammenbruch des Hoover-Staudamms zunächst nicht in unmittelbarer Nähe von Rays Familie ab, doch kurz darauf beginnt auch in Los Angeles die Erde zu beben. Und laut den Erkenntnissen des Wissenschaftler-Teams um Professor Hayes (Paul Giamatti) ist damit noch nicht einmal der Höhepunkt des Schreckens erreicht, denn an der berüchtigten San Andreas-Spalte deutet vieles auf eine Verwerfung hin, die zu einer nie dagewesenen Katastrophe führen wird, die sich über gut 1.000 Kilometer quer durchs Land bis nach San Francisco ziehen könnte. Dort befindet sich jedoch Rays Tochter (Alexandra Daddario) und die schwierige familiäre Situation mit der bevorstehenden Scheidung von seiner ebenfalls in höchster Gefahr schwebenden Frau Emma (Carla Gugino) macht die Situation nicht einfacher.
Erwähnen wir zuerst was dieser Weltuntergangsfilm anders macht als die meisten Vorgänger. Auch weil die Effekte sehr kostspielig waren beschränkten sich frühere Genrebeiträge oft auf nur wenige Minuten Action. Vorher galt es eine nicht selten sehr zähe Einführung der einzelnen Charaktere zu überstehen und nach erfolgter Katastrophe folgten dann diverse Rettungs- und Aufräumversuche. Nicht so bei „San Andreas“, denn der startet sofort mit einer solchen (von der Haupthandlung völlig unabhängigen) Rettungsaktion und lässt sich auch danach nur wenige Minuten Zeit bis das große Spektakel beginnt.
Eines, das dann auch nicht mehr aufhören wird. Und es bleibt diesem Film letztlich gar nichts anderes übrig als mit seinen Action-Pfunden zu wuchern, denn er hat sonst nichts zu bieten. Abgesehen halt von einer Figurenkonstellation bei der man wirklich glauben muss, Drehbuchautor Carlton Cuse (der es doch eigentlich seit „Lost“ etwas komplexer kennt) hätte einfach mal alles rausgekramt, was er in der Schublade mit der Aufschrift „Katastrophenfilme /Standardrepertoire“ so gefunden hat. Da wäre zuallererst die dysfunktionale, kriselnde Familie, die erst im Angesicht der Gefahr wieder zusammen findet und die wir ja bereits aus „Krieg der Welten“ oder „2012“ kennen. Überhaupt „2012“: Die Actiongranate von Roland Emmerich wirkt tatsächlich wie eine Art Blaupause für „San Andreas“, denn nicht nur die vertretenen Charaktere, sondern auch der Zerstörungsgrad bewegt sich in sehr ähnlichen Gefilden. Und da wir uns auch zu dessen Entstehungszeit bereits im „Alles ist möglich“-Computerzeitalter befanden, gibt es nun eben nicht mehr viel Neues zu sehen in Sachen zusammenstürzender Wolkenkratzer, gewaltiger Wassermassen oder sich plötzlich auftuender Erdspalten. Ach so, der rücksichtslose Feigling als Nebenfigur darf natürlich auch nicht fehlen und kommt hier in Person des neuen und geradezu unverschämt reichen Gefährten von Rays Noch-Ehefrau daher. Wer damit rechnet, dass dieser im Verlauf sein Schicksal in Form eines verdient-brutalen Todes findet, der wird auch hier sicher nicht enttäuscht.
Es ist auch immer wieder bemerkenswert, mit welcher Dreistigkeit in solcher Art Filmen so getan wird, als sei es eigentlich nicht so wirklich schlimm, dass im Hintergrund Hundertausende Menschen den Tod finden und auf mehreren hundert Kilometern Fläche praktisch die gesamte Zivilisation zerstört wird – wenn, ja wenn denn nur unsere paar liebgewonnenen Hauptfiguren am Ende überleben und wieder zusammenfinden. Dwayne Johnsons Ray sieht das übrigens ganz genauso und antwortet auf die nach überstandener Tortur inmitten von Schutt und Asche gestellte Frage „Und was jetzt?“ mit einem lapidaren „Jetzt bauen wir wieder auf“, während im Hintergrund die amerikanische Flagge gehisst wird. Ergriffenes Seufzen in den amerikanischen Kinosälen ist da dann genauso garantiert wie ein überlegen-spöttisches Belächeln in den europäischen.
Mittlerweile sollte in diesem – wegen Irrelevanz nicht mit Spoilerwarnungen versehenen – Text auch deutlich geworden sein, dass man das Geschehen von „San Andreas“ zu keiner Zeit auch nur die Spur ernst nehmen kann. So wie es offensichtlich auch Dwayne Johnson nicht getan hat, der hier stets hochmotiviert das nächste Fortbewegungsmittel, mit dem sich ein neues absurdes Manöver ausführen lässt, fest im Blick hat.
Unterhaltsam ist das alles schon irgendwie und es wird ja auch ordentlich was geboten, dies aber halt durchgehend sehr nahe am Trash-Faktor. Und was vor 20 Jahren noch ein sensationelles Spektakel abgegeben hätte, findet heute eben nur noch seinen hinteren Mittelfeldplatz irgendwo zwischen den Verwüstungen der „Avengers“ und denen der „Transformers“. Aber hey: Hauptsache, unsere Familie kommt durch.
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