Wenn wir eines vor elf Jahren aus den Original "Funny Games" gelernt haben, dann dies: Hüten Sie sich vor extrem höflichen jungen Männern mit weißen Handschuhen, die sie im Rahmen der Nachbarschaftshilfe nach ein paar Eiern fragen. Und hüten Sie sich vor vollbärtigen, wie ein Soziologieprofessor aussehenden österreichischen Regisseuren. Denn das größte Monster, das dank der Originalversion von "Funny Games" auf die Filmwelt losgelassen wurde, waren ja nicht die beiden verabscheuungswürdigen Psychopathen Peter und Paul, sondern Regisseur Michael Haneke. Der Didakt mit dem provokanten Regiestil, vorher bestenfalls eine Randerscheinung, füllte die Feuilletons und hat seitdem neben Flops wie "Wolfzeit" mit seinem preisgekrönten "Die Klavierspielerin" und seinem letzten Film "Caché" einige kleine Arthouse-Hits gehabt, aber auch diese reichten nicht an die Aufmerksamkeit heran, die er 1997 eben mit "Funny Games" geerntet hatte. Bei den Filmfestspielen in Cannes war man damals bei der Weltpremiere zerrissen zwischen Begeisterung und Empörung, und dieser Zwiespalt in der Rezeption setzte sich allerorten fort, auch bei uns: Die Rezension zu "Funny Games" in unseren Videotipps gehört zu den meist- wie kontrovers diskutierten Filmen auf unserer Seite.
Eine ausschweifende Inhaltsangabe kann man sich dank der klaren Ausgangssituation auch beim US-Remake sparen: Eine gutbürgerliche Kleinfamilie - Vater George (Tim Roth), Mutter Ann (Naomi Watts) und Sohnemann Georgie (Devon Gearhardt) - wird in ihrem abgelegenen Ferienhaus von zwei jugendlichen Psychopathen (Michael Pitt und Brady Corbett) gefangen genommen und gefoltert, in der Aussicht auf ihren baldigen Tod. Mehr gibt's da nicht zu sagen, mehr passiert auch nicht. Dieser Film ist nicht eine Frage des Was, sondern eine Frage des Wie.
Nun liefert Haneke also ein amerikanisches Remake unter Eigenregie ab, mit demselben, um einige Szenen erweiterten Drehbuch und größtenteils identischen Kamera-Einstellungen. Der Grund für diesen nahezu identischen, zweiten Film? Konkret war das Original-"Funny Games" als Kritik an amerikanischer Gewaltrezeption durch Hollywoodfilme gedacht. Nur: Ein kleiner österreichischer Film, der höchstens auf Festivals und in einer Handvoll Kunstkinos als OmU läuft - eine Massenwirkung auf die amerikanischen Zuschauer, die Haneke ja eigentlich als Zielpublikum auserwählt hatte, war so nicht zu erreichen. Und trotz englischer Sprache und Staraufgebot wird auch "Funny Games US" dies nicht erreichen. Dafür ist der Film zu offensichtlich Kunst in Großbuchstaben. Immerhin darf Haneke auf vereinzelte Opfer hoffen, die sich vom Trailer zur Ansicht verführen lassen und dann brutal für ihren Fehler vom Regisseur abgestraft werden.
Zugegeben ist Hanekes Idee, gerade jetzt eine aufs US-Publikum angelegte Neuauflage seiner Medienkritik zu machen, durchaus nicht abwegig. Schließlich feierte in den USA in den letzten Jahren das Horrorkino des Schlagworts "Folterporno" à la "Hostel" und "Saw" Riesenerfolge - und eine reflektierte Reaktion auf das Geschaute blieb sicherlich die Ausnahme. Eigentlich also der passende Moment, der Folter als Unterhaltungsmoment ein massives Statement wie "Funny Games" entgegenzusetzen.
Der Gewalt ihre eigentliche Qualität als nicht genießbar (und schon gar nicht als Unterhaltung geeignet) wiederzugeben, dies war nach Hanekes Angaben sein Ziel. Was er sicherlich auch erreicht, allerdings ist die Frage mit welchen Mitteln und zu welchem Preis. Und hier streiten sich dann die sprichwörtlichen Geister und die ganz realen Kinogänger. Denn das Experiment in Sadismus, das Haneke hier mit der Kleinfamilie anstellt, ist ja eigentlich ein Experiment mit dem Zuschauer.
Der soll hier mitwirken, als Zeuge, als Mittäter und letztlich als Angeklagter. Soll in der berüchtigten Fernbedienungsszene begeistert aufjohlen, wenn dann doch eine Hollywoodkonvention befolgt wird, und kriegt dieses dann gleich um die Ohren gehauen. Soll mittels geschickt drapierten roten Heringen (das anfangs verlorene Messer) im Glauben an ein konventionelles Ende gelassen werden, um dann von Haneke mit einem bösen "Das hättet ihr wohl gern" entlassen zu werden. Und soll sich direkt schuldig und betroffen fühlen, wenn Paul ihn von der Leinwand direkt anspricht, ihm ein "richtiges Ende mit plausibler Entwicklung" verspricht, was im Endeffekt für die Opfer nur ein verlängertes Leiden darstellt.
Aber richtig plausibel bleibt hier immer nur eins: Hanekes alles übergreifende Didaktik. Hier findet der Großteil der Gewalt außerhalb des Bildrahmens statt, um dem als blutgeil denunzierten Zuschauer den Spaß zu verderben. Aber nach einem Film wie "Caché", in der Haneke in einer Schockszene das Blut spritzen lässt, als wäre er Dario Argento und sein Film eine Horrorschote, darf er zum Thema "Gewalt als Selbstzweck" eigentlich eh gar nichts mehr sagen, ohne sich selbst zu diskreditieren.
Immerhin: Die Darstellung von Gewalt als Anti-Unterhaltung gelingt Haneke im Original wie im Remake vorzüglich, nicht wegen sondern trotz der blasierten Form. Dies ist kein Film, den man sich gern anschaut, sondern einer, bei dem einem permanent unwohl ist. Damit ist Haneke sicherlich nicht der erste, schon Kubricks "Uhrwerk Orange" und John McNaughtons "Henry - Portrait Of A Serialkiller" haben das erreicht, haben ebenfalls über Gewalt reflektiert und über ihre Rezeption. "Henry", laut Regisseur mit derselben Grundidee ausgestattet und damals als Reaktion auf die mit Gags angereicherten Slasherfilme der 1980er entstanden, ist in der Meinung dieses Rezensenten dabei wesentlich geschickter und prägnanter als "Funny Games", auch ehrlicher. Wo Haneke zeigefingerschwingend seine Kritik auf fast zwei Stunden auswälzt, schafft McNaughton das Gleiche in prägnanten 80 Minuten.
Haneke teilt ordentlich aus, aber es sind ja immer die anderen, die die Messerstiche und Schusswunden abkriegen. "Funny Games" ist wie auch sein letzter Streich "Caché" eine Attacke aufs sich in Sicherheit wiegende und bequeme Bildungsbürgertum. Dazu genügt schon die Anfangssequenz, in der die Familie auf dem Weg zu ihrem luxuriösen und natürlich umzäunten, also vermeintlich sicheren Sommerhaus ist und dabei ein Ratespiel mit klassischer Musik macht. Pah! Diese Bourgeoisie! Also unterlegt Haneke den Rest des Vorspanns mit grunzendem Heavy Metal, damit der erste Punkt schon mal klar ist. Problem dabei: Haneke ist ja selbst längst ein Teil dieser Bevölkerungsschicht, war es wohl schon immer, nimmt sich aber aus seinen Giftattacken tunlichst heraus.
Dieses Muster zieht sich unangenehm durch die Konzeption des Films. Da zelebriert Haneke einen brutalen Sadismus gegenüber seinem Publikum, alles im Namen des Anprangerns von Sadismus. Und es gehört schon eine enorme Portion Arroganz dazu, ein zwölf Jahre altes Drehbuch für so perfekt zu erachten, dass man außer einigen notwendigen Zugeständnissen an die Weiterentwicklung der Welt (Handys!) nichts verändert. Und so wirken Sachen, die schon 1997 nicht funktionierten, hier noch inkongruenter. Dass sich die beiden Psychopathen mit Beavis und Butthead anreden, wirkte ja schon im Original ein wenig peinlich und roch nach Zeigefingerkritik am amerikanischen TV, das die Jugend verroht. Im Jahr 2008 wirkt das dann nur noch gestrig und am Ziel vorbei. Wenn dieses platte Referenzieren schon sein muss, wie viel passender und logischer wäre es gewesen, wenn sich die beiden mit, sagen wir mal "Knoxville" und "Steve-O" oder "Cartman" und "Kenny" anreden würden. Und da zieht auch das Argument "keine Zugeständnisse" nicht, dies ist entweder Faulheit oder Arroganz. Nein, ein wenig die nicht funktionierenden Elemente aufspüren und abändern, das hätte man von Haneke schon erwarten dürfen, ja müssen, wenn er schon die Chance bekommt, denselben Film noch mal zu machen. Aber hier gilt wie auch sonst: Selbstkritisch wird es nicht.
Was der Film besser macht als sein Vorgänger ist, dass das Konzept und seine Ausführung besser zusammen passen. "Funny Games" war und ist so offensichtlich als Attacke aufs amerikanische Genrekino und sein Publikum ausgerichtet, dass die Inszenierung im deutschsprachigen Raum mit im Wiener Schmäh sprechenden Psychopathen wirklich nur wie the next best thing wirkte, und auch ein wenig albern. Zumindest in diesem einen Sinne ist "Funny Games US" zwingender, realer und ehrlicher als das Original und fühlt sich an wie der Film, den Haneke schon 1997 machen wollte.
Das Hauptproblem dieser Neuverfilmung besteht damit vor allem für diejenigen, die das Original kennen, denn "Funny Games" ist und bleibt ein gimmick-artiger Film, dessen Effektivität hauptsächlich in seinem Unterlaufen von dramaturgischen und filmischen Konventionen begründet ist. Und wer das Original kennt, der weiß halt schon was kommt, auf den haben die sadistischen Spielchen des Regisseurs wie das Adressieren des Publikums durch Paul, die berühmt-berüchtigte Fernbedienungsszene und die quälenden minutenlangen Einstellungen im Schlussdrittel so gut wie keinen Effekt mehr. Schade und unfair gegenüber den hier durchweg gut spielenden Darstellern, besonders dem diabolischen Pitt als milchgesichtigem Monster, aber so ist das nun mal bei Remakes.
"Funny Games US" ist daher eindeutig für Erstgucker angelegt. Kenner des Originals können sich den Kinobesuch sparen, denn Bedeutendes wird hier nicht hinzugefügt. Die grundlegende Effektivität für Leute, die Hanekes lustigen Spielchen zum ersten Mal ausgesetzt sind, lässt sich aber trotz der vorhandenen enormen Schwächen nun mal ebenfalls nicht von der Hand weisen, daher dürfen Erstgucker noch zwei Extra-Augen auf die obige Wertung draufschlagen. Einzig der Effektivität willen, wohlgemerkt, nicht der Qualität des Films als Werk an sich.
Mit der bleibt es nämlich so eine Sache. Ob das filmische Experiment "Funny Games" insgesamt erfolgreich ist, ob nun in der deutschsprachigen oder jetzt der amerikanischen Variante, darüber darf auch weiter ausgiebigst gestritten werden. Der Rezensent jedenfalls legt sich schon mal fest: Nochmals prophylaktisch von Haneke als gewaltgeiler Sofasadist gebrandmarkt zu werden, während jener arrogant und bar jeglicher Selbstkritik seine fiesen Spielchen aufwärmt, um dem Zuschauer "eine Lehre zu erteilen" - nein danke, Herr Haneke. Ein Spiel, in dem der Spielleiter offenkundig schummelt ist kein richtig lustiges Spiel. Und auch kein richtig gutes.
Neuen Kommentar hinzufügen