"Hier spricht der Zodiac": So meldet sich in anonymen Briefen der Serienmörder, der Ende der 1960er Jahre auf der Jagd nach vermeintlich willkürlichen Opfern die Gegend um San Francisco unsicher machte und besonders durch seinen Geltungsdrang als einer der ersten modernen, Massenmedien-geilen Killer auffiel: Verschiedenen Tageszeitungen schickte er Kryptogramme, mit der erpresserischen Androhung, bei Nichtabdruck werde es weitere Tote geben.
Das an den "San Francisco Chronicle" geschickte Kryptogramm landet bei zwei der Protagonisten des neuen Films von David Fincher, dem von Robert Downey jr. gespielten Reporter Paul Avery und dem von Jake Gylenhaal dargestellten Cartoonzeichner Robert Graysmith. Beide könnten nicht verschiedener sein: Avery der großspurige, übercoole Reporter auf der Jagd nach Stories; Graysmith der schüchterne, nicht für voll genommene Büroanfänger. Aber es eint sie ihre Verbissenheit in der Jagd nach dem mysteriösen Killer. Der dritte "Zodiac-Jäger" ist Inspektor Dave Toschi (Mark Ruffalo), einer der erfolgreichsten Cops in San Franciscos Mordkommission, der zusammen mit seinem Partner William Armstrong (Anthony Edwards) Spur um Spur verfolgt. Der Film wird den Weg dieser drei Männer über Jahre verfolgen; Jahre, in denen der Zodiac zu morden aufhört und in der Öffentlichkeit in Vergessenheit gerät. Nicht jedoch für Avery, Toschi und Graysmith…
Irgendwie passt es, dass David Fincher wieder dort angekommen ist, wo er seinen künstlerischen und kommerziellen Durchbruch feierte, nämlich im Serienkiller-Thriller. Wo ihm 1995 mit "Sieben" ein Sofortklassiker gelang, der stilistisch und dramaturgisch neue Maßstäbe setzte, legt er nun mit "Zodiac" zwölf Jahre später ein Pendant vor, wie es unterschiedlicher gar nicht sein könnte. Realismus statt mythischer Überhöhung und Naturalismus statt Stilisierung sind die neuen Maximen.
Vielleicht sah Fincher dies auch als einen Weg aus dem kreativen Stillstand. So stilistisch beeindruckend "Panic Room" als Beweis für Finchers unnachahmliches Auge und visuelles Flair auch war, hundertprozentig konnte der inhaltlich auch eher traditionelle Thriller nicht überzeugen. Dafür erwartet man einfach zuviel von Fincher, eben weil er mit "Sieben" und "Fight Club" schon zwei moderne Klassiker im Resümee hat und außerdem bei so ziemlich jeder stilistischen Innovation der letzten Jahre (besonders im Bereich Vorspann) auch seine Finger mit im Spiel hatte. Und so erwartet man natürlich auch von "Zodiac" wieder Enormes, gerade weil Fincher ja berühmt-berüchtigt dafür ist, welch hohe Anforderungen er an seine Projekte stellt. Was ja auch dafür gesorgt hat, dass Fincher im Verlauf der letzten fünf Jahre mehr Projekte angenommen und wieder abgegeben hat, als manche Regisseure insgesamt in ihrer Filmographie stehen haben.
Vielleicht daher eine Rückkehr zum bekannten Thema, wenn auch eine Abkehr vom bekannten Stil. Denn mit Finchers bisherigem Schaffen hat "Zodiac" zumindest visuell so gut wie nichts gemeinsam. Dass hier keine Missverständnisse aufkommen: Hier sieht alles immer noch sehr ansehnlich aus, aber es fehlen eben die teilweise genialen visuellen Spielereien ebenso wie der sonst von Fincher zu dramatischen Zwecken immer wieder gern bemühte Dauerregen und natürlich die immerwährende Dunkelheit. So sonnenumflutet und visuell unauffällig wie hier ging es noch nie zu in Fincherland, zudem noch nie so trocken und faktenreich.
"Zodiac" ist im semi-dokumentarischem Stil gehalten und nimmt sich fast zweieinhalb Stunden Zeit, seinem Publikum seine erarbeitete Recherche darzulegen. Was dann im Endeffekt wesentlich spannender und mitreißender ist, als es jetzt vielleicht klingt, aber trotzdem Schwachstellen offenbart. Denn James Vanderbilts detailreiches Skript, basierend auf den Büchern von dem im Film von Jake Gyllenhaal dargestellten Robert Graysmith, gelingt der Spagat zwischen Faktenwälzerei und Dramaturgie nur bedingt.
Besonders die Figurenzeichnung leidet unter dem Druck, eine Unmenge an Material in Stakkatomanier in einer zwei Jahrzehnte umfassenden Zeitlinie abzuhandeln. So bleiben von den Figuren nur starke Einzelmomente hängen, aber keine schlüssige Charakterisierung. Graysmiths zunehmende Obsession mit dem "Zodiac"-Fall wird nur sporadisch dargestellt und kaum begründet, Chloe Sevigny darf als seine Freundin nur Standardszenen der genervten und besorgten Ehefrau abspulen. Auch der zunehmend in seinem Selbstvertrauen untergrabene Supercop Toschi ("Bullit hat sich die Art, seine Waffe zu tragen, von ihm abgeschaut" erklärt ein Kollege halbwitzelnd) bekommt zu wenig Szenen, um ihn außerhalb des Polizeireviers und damit der reinen Plotebene zu definieren, weswegen eine zentrale Wendung seiner Geschichte unerwartet und auch einigermaßen unbefriedigend daherkommt. Und auch die Storyline des hippen Reporters Paul Avery versandet leider im Klischee des zuviel saufenden, unberechenbaren Schreibers.
Gottlob daher, dass man hier ein erlesenes Ensemble zusammengetragen hat, das die Schwächen ihrer Figuren zumeist überspielen kann (mit einer unglücklichen Ausnahme). Allen voran natürlich Robert Downey Jr., dem man eine passende Figur übergeben hat, in der Downey zumindest im ersten Filmdrittel wieder mal die coolste Sau der Welt ist. Mark Ruffalo liefert eine gute Leistung ab, bei der er seine oftmals lässige Lethargie gegen eine coole Intensität eintauscht und gerade die traurigen Aspekte von Toschis Involvierung in den "Zodiac"-Fall gut rüberbringt.
Gleiches gilt leider nicht für Jake Gyllenhaal, der bedauerlicherweise den schwächsten Eindruck hinterlässt. Irgendwie will man dem Milchbart nie so recht die sein Leben zunehmend beherrschende Obsession mit dem ungelösten Kriminalfall abkaufen. Besonders die psychische Anspannung dieser Art von ungesunder Obsession wird nicht transportiert, was sowohl am Drehbuch als auch an Gyllenhaal selbst liegt. Er spielt immer noch den Jungen mit den großen fragenden Kulleraugen, was er ja zweifellos kann, aber er ist damit für diese Art von Rolle fehlbesetzt. Man fragt sich, was ein intensiver Schauspieler wie Christian Bale oder vielleicht auch "Brokeback"-Partner Heath Ledger mit diesem Material gemacht hätten.
Bemerkenswert ist allerdings, wen man sonst noch alles auf der Besetzungsliste auch in kleinen Rollen findet. Mit Fincher zu arbeiten ist also immer noch ein Privileg, für das sich auch manch bekannter Name mit ein paar Minuten Leinwandzeit zufrieden gibt. Darunter u.a. Dermot Mulroney und Elias Koteas als Polizeichefs, Brian Cox als Promianwalt und Philip Baker Hall als Graphologe.
Fincher ist als Perfektionist bekannt, der gern auch mal eine einzige Einstellung hundertmal wiederholt, und so ist es auch nicht überraschend, dass mangelnde Details, abgesehen von einer Ausnahme, das Letzte sind, was man diesem Film vorwerfen könnte. Das ist besonders effektiv im Aufzeigen der limitierten und unkoordinierten Ermittlungsarbeit, die heutigen Zuschauern manchmal ein fassungsloses Kopfschütteln abnötigt. In einem Zeitalter, wo man sich dank der wahnwitzigen Spurensuche in "CSI" wohl lieber ein Verbrechen verkneift, wirkt das fast schon abstrus. Aber es waren eben andere Zeiten, und gerade diese werden perfekt eingefangen.
Ob Musik, Kleidung, Frisuren oder Popkultur (in einer Szene sieht Toschi den von den Zodiac-Morden inspirierten "Dirty Harry" und ist angewidert von dessen Selbstjustiz), "Zodiac" sammelt obsessiv wie Graysmith Kleinigkeiten zusammen, um ein möglichst authentisches Zeitgeist-Portrait abzuliefern. Nur - und das ist die merkwürdige Ausnahme - warum Gyllenhaals Figur im Gegensatz zu allen anderen nicht altert, fällt unangenehm auf. War es das misslungene Alters-Make-up in "Brokeback Mountain"? Gyllenhaal sieht jedenfalls am Ende des Films noch genauso aus wie 15 Jahre vorher.
Ein Problem von "Zodiac", das direkt aus dem Buch gespeist ist, ist struktureller Art: Denn während die erste Filmhälfte, in der der Zodiac-Killer aktiv ist, spannend und packend ist, gibt es in der zweiten Filmhälfte, die sich auf Graysmiths Nachforschungen konzentriert, doch den einen oder anderen zähen Moment zu überstehen, einfach weil das Durchwühlen von alten Dokumenten eben schwierig cineastisch zu gestalten ist. Fincher nutzt dabei jede rare Gelegenheit zum Spannungsgewinn, und ein Besuch bei einem potenziell gefährlichen Verdächtigen ist ein Lehrstück für Atmosphäre und Spannungsaufbau.
Aber diese Momente sind eben doch selten. Und so muss man sich als Zuschauer auch im Klaren darüber sein, was für eine Art Film man hier sieht. Denn das Wort Thriller erscheint da doch fehl am Platz, Kriminal- oder Polizeifilm passt hier deutlich besser. Wenigstens um ein Dilemma von Verfilmungen ungelöster Kriminalfälle kommt "Zodiac" dank Robert Graysmiths Vorlage herum, da dieser sich auf einen Täter festlegt, was der Film auch übernimmt.
Ob man Graysmith nun glaubt oder nicht (und man hat damals bei "JFK" ja auch nur zu gern Oliver Stone geglaubt, es kommt eben auf die Präsentation an), man kommt immerhin nach größtenteils interessanten und packenden zweieinhalb Stunden doch zu einem halbwegs befriedigenden Abschluss, auch wenn Graysmith und damit auch dem Kinozuschauer Erlösung durch Gewissheit verwehrt wird. Und so bleibt der Versuch, den Film auf einer positiven Note enden zu lassen, doch eher zwiespältig. Und das ist hier ausdrücklich als Kompliment gemeint.
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