Wer wenn nicht wir

Jahr
2011
Laufzeit
124 min
Genre
Regie
Release Date
Bewertung
6
6/10
von Patrick Wellinski / 27. April 2011

Man muss mit dem Anfang beginnen. Am Anfang steht hier die Katze, sie frisst eine junge Nachtigall (den deutschen Vogel schlechthin), was sie selbst mit dem Tod bezahlt. Der kleine Bernward Vesper ist am Boden zerstört als er mit ansehen muss, wie sein Vater (Thomas Thieme) sein geliebtes Tier treffsicher mit einem Gewehrschuss umbringt. Der Vater hat für den Sohnemann auch ganz schnell eine Erklärung parat: "Die sind nicht wie wir, die Katzen. Sie stammen aus dem Orient, weißt du? Sie sind die Juden des Tierreichs." Dies ist der Prolog, die kurze aber effektive Einleitung zu Andres Veiels erstem Spielfilm "Wer wenn nicht wir".

Von diesem Moment aus erzählt er die Vorgeschichte der RAF anhand der beiden Terroristen Bernward Vesper (August Diehl) und Gudrun Ensslin (Lena Lauzemis). Vesper studiert in Tübingen, als er mit der jungen Ensslin in eine WG zieht. Er will die Bücher seines völkischen Vaters wieder herausgeben, der unter Hitler zu den bekanntesten Schriftstellern des Reiches zählte. Sie ist vor allem verliebt und betrachtet Bernwards radikale Vorstellungen von Vergangenheitsbewältigung neugierig, aber zunächst noch mit einem gewissen Abstand. Doch als das Paar nach Berlin zieht und sich immer weiter in die sich gerade formierende radikale Szene begibt, wechseln Gudrun und Vesper die Rollen.

Andres Veiel zählt ohne Frage zu den intelligentesten und besten Dokumentarfilmern Deutschlands. Mit "Black Box BRD" und "Der Kick" hat er nicht nur kluge, sondern auch formal radikale Werke geschaffen, deren Kraft in erster Linie aus der messerscharfen Auseinandersetzung mit dem jeweiligen Thema entspringt. Veiels Meisterschaft lag im Dokumentarfilm immer in der kompromisslosen Suche nach einer Form, die nur dem Sujet genügt und sich nicht einer konventionellen Erwartungshaltung des Publikums anbiedert. Die Resultate sind bis heute enigmatisch, spannend und fordernd zugleich.
Man hat also mit viel Freude (und ein bisschen Bauchweh) dem Ergebnis von Veiels Entschluss entgegengefiebert, sich nun einem Spielfilm zu widmen. Mit "Wer wenn nicht wir" wollte er sich auf die Suche nach dem Ursprung der RAF-Bewegung begeben. Etwas, was seiner Meinung nach der Uli Edel-Film "Der Baader-Meinhof-Komplex" nicht bewerkstelligte, der erst einsetzt, als Ensslin bereits radikalisiert und mit Andreas Baader zusammen war. Deshalb verbringt Veiels Film auch sein erstes Viertel in der Bundesrepublik der 50er Jahre, in der der Muff der Nazi-Diktatur noch in fast jedem grünen Vorgarten schlummert.
Veiel überträgt das ziemlich gelungen auf die innerfamiliären Konflikte seiner beiden Hauptdarsteller. Wenn Bernward zum ersten Mal die Ensslins besucht, entspringt dem Tischgespräch schnell das Bild einer Familie, die sich ihres Mitläufer-Daseins zu Nazi-Zeiten schämt, alles totschweigt und jegliches Zurückerinnern verbietet. Hier soll schnell vergessen werden. Anders bei Bernward zu Hause. Der Vater - siehe Katzen-Prolog - hat den Geist der Hitler-Zeit noch lange nicht ausgehaucht. Stolz trägt er die Erinnerung - wenn auch nicht mehr ganz so laut und öffentlich - an die alte Zeit vor sich her. Und Bernwards Skepsis gegenüber der doch so starken positiven Erinnerungen an ein Monster wie Hitler wischt die Mutter mit dem schockierenden Argument weg: "Ohne Hitler hätte es dich nicht gegeben." Denn Bernward wurde auf Geheiß des Führers gezeugt.

Leider transportiert sich der vielversprechende Anfang nicht auf den Rest des Films. "Wer wenn nicht wir" ist dann doch in seiner chronologischen Geradlinigkeit kein wirklicher Gegenentwurf zu Uli Edels "Baader-Meinhof-Komplex" geworden. Spätestens wenn sich das Pärchen auf den Weg nach Berlin macht, geht es dem Film eher um die penibel genau ausgestattete Umgebung, die Kostüme und vor allem die Frisuren seiner Darsteller. Dieser Ausstattungsfetisch ist das prägende Merkmal des deutschen Geschichtskinos der letzten Jahre. Hauptsache alles sieht so aus wie damals. Doch die visuelle Authentizität kann nun mal den verstaubten Charakter eines Geschichtslehrer-Kinos nicht wett machen. Auch wenn August Diehl und die Schauspiel-Entdeckung Lena Lauzemis ihre Sache mehr als nur gut machen, auch wenn Alexander Fehling als bisexueller Andreas Baader glänzt und mit seiner Nonchalance wirklich innovativ erscheint, kann das nicht darüber hinwegtäuschen, dass "Wer wenn nicht wir" nichts essentiell Neues zu erzählen hat.

Wirklich ärgerlich sind dann auch noch die eingestreuten Dokumentaraufnahmen, die den Film zeitlich einordnen und mit einer nervtötenden Beat-Musik unterlegt sind. Es sind Aufnahmen vom Bau der Mauer, von Kennedy in Berlin (natürlich sagt er: "Ich bin ein Berliner"), vom Vietnamkrieg, von den Protesten gegen den Schahbesuch in Berlin und auch Bilder vom Eichmannprozess in Israel (Eichmann mit Jazzmusik, wer hat das verdient?). Dies hat keine dramaturgische Funktion, keinen Mehrwert. Außer vielleicht für Schulklassen, denen dadurch eine gewisse Orientierung entlang dieses abgefilmten Zeitstrahls geboten wird.
Der Geschichte einer radikalen Bewegung, die sich in Opposition zu den nicht weniger radikalen, gegensätzlichen Ansichten der Elterngeneration entwickelt hat, vermag Veiel nichts neues hinzuzufügen. Denn in einer konventionellen Melange aus Beziehungs- und Sexgeschichten ergibt sich nun mal kein neuer, kein herausfordernder oder gar provokanter Blick auf eine Zeit, die sicherlich widersprüchlicher war als es der Soap-hafte Erzählgestus von "Wer wenn nicht wir" vermuten lässt.

Bilder: Copyright

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