W. - Ein missverstandenes Leben

Originaltitel
W.
Land
Jahr
2008
Laufzeit
124 min
Genre
Regie
Bewertung
von Frank-Michael Helmke / 16. November 2010

Oliver Stone macht einen Film über George W. Bush! Diese Nachricht dürfte bei den meisten Filmfans im ersten Augenblick reflexartig begeisterte Vorfreude ausgelöst haben - allerdings gleich darauf gefolgt von der allzu berechtigten Frage: Wozu? Was Stone sich dabei gedacht hat, ist relativ klar: Mit dem äußerst eilig produzierten Film (zwischen Fertigstellung des Drehbuchs und Kinostart verging nicht mal ein Jahr) wollte er seinen Beitrag zum US-Wahlkampf leisten und mit einer cineastischen Analyse drei Wochen vor dem Wahltermin das amerikanische Volk daran erinnern, was für ein unfähiger Bursche derzeit im Oval Office sitzt. Nur: Wen wollte er damit bekehren? Bush war zu diesem Zeitpunkt bereits seit Monaten eine tote Ente, der spätestens seit Beginn des heißen demokratischen Vorwahlkampfs zwischen Obama und Hillary Clinton niemand mehr viel Aufmerksamkeit schenkte. Sogar der republikanische Kandidat John McCain tat sein Möglichstes, um sich von Bush zu distanzieren, derart einhellig war die öffentliche Auffassung, dass man diesen Burschen nach Ende seiner Amtszeit am Besten so schnell wie möglich vergessen sollte.
Entsprechend gering war dann auch die Resonanz des US-Kinopublikums, und die wiederum beschert uns in Deutschland nun ein Novum: Da sich kein Kinoverleih fand, der sich genug für den Film begeistern konnte, legte ProSieben einfach ein bisschen mehr Geld auf den Tisch und darf den neuesten Oliver Stone-Film nun schon drei Monate nach dem US-Start und drei Tage nach dem parallel zu Obamas Amtsantritt terminierten DVD-Release im Fernsehen zeigen. (Sendetermin: 23. Januar um 22:25 Uhr)

Die Frage "Wen interessiert's?" muss sich der Film aber immer noch gefallen lassen, denn nicht nur predigt "W." zu den längst Bekehrten, er ist auch weder Fisch noch Fleisch. Für eine unterhaltsame Abrechnung mit dem grandios inkompetenten Präsidenten ist der Film zu brav, für eine treffende Satire auf die politischen Manipulationsspiele, die ihm unglaublicherweise zwei Amtszeiten als mächtigster Mann der Welt einbrachten, fehlt der Biss (zumal der Film die kontroversesten Kapitel in Bushs Präsidenten-Karriere wie die Skandal-Wahl 2000 und den 11. September konsequent ausspart). Zu einer politischen Provokation, die plakativ enthüllt, wie sehr Bush junior nur eine Marionette für die wahren Strippenzieher seiner Regierung war, will sich der Film aber auch nicht hinreißen lassen.
Stattdessen dokumentiert er recht harmlos und wertfrei die Biografie des Präsidenten, angefangen bei seinem Eintritt ins College und seiner damit beginnenden Hochphase als trinkfreudiger Nichtsnutz. In groben Sprüngen von mehreren Jahren geht es durch W.s Flegeljahre, die Romanze mit seiner späteren Ehefrau Laura, seine erfolglosen Versuche als Geschäftsmann, sein einschneidendes "Erweckungserlebnis" (das sich hier eher ausnimmt wie eine Herzattacke aufgrund eines brutalen Katers), nach dem er dem Alkohol abschwor und zum "wiedergeborenen Christen" wurde, bis hin zu seinem Entschluss, in die Politik einsteigen und es seinem Vater gleichtun zu wollen.
Parallel zu diesen Flashbacks zeigt "W." die Entscheidungsphase der Bush-Regierung vor der Invasion im Irak im März 2003, und macht keinen Hehl daraus, dass dies für George W. Bush eine persönliche Angelegenheit war - um das zu Ende zu führen, was sein Vater als Präsident 12 Jahre zuvor begonnen hatte.

Womit man dann auch gleich beim psychologischen Knackpunkt von Bush junior angekommen ist, den dieser Film auch überdeutlich ins Zentrum rückt: "W." zeigt den scheidenden Präsidenten als einfach gestrickten Burschen vom Land, der sein Leben lang darunter gelitten hat, dass ihn sein Vater nie für voll nahm. Und wenn man dem Film glauben mag, ist das auch schon alles, was diesen Mann ausmacht. Der Kampf um Papas Anerkennung (im Duell mit dem schon viel früher politisch erfolgreichen, jüngeren Bruder Jeb) ist einzige und allumfassende Triebfeder der Ambitionen von George W. Bush, dem es sonst sowohl an den intellektuellen Fähigkeiten als auch dem unbedingten Willen fehlt, wirklich etwas aus sich zu machen. Fast schon konsequent porträtiert "W." die radikale Hinwendung zu Gott auch als eine Art Flucht in die Arme des "himmlischen Vaters" - der im Gegensatz zu George Bush senior den eindeutigen Vorteil hat, dass er immer für ein "Gespräch" bereit steht, keine Widerworte leistet und seinem "Sohn" nie das Gefühl gibt, ein Nichtsnutz zu sein, solange besagter "Sohn" sich immer weiter einredet, auf einer göttlichen Mission unterwegs zu sein.

Das ist zwar alles relativ platt, aber zumindest kann man dem Film nicht vorwerfen, er würde die Fakten verdrehen. Die grundsätzlichen Konstellationen stimmen, auch was die tatsächliche Dynamik der Macht in der Bush-Regierung betrifft. Wie sich Bush mit seiner fixen Idee, Gouverneur von Texas zu werden, hilfesuchend an den Polit-Strategen Karl Rove wendet mit der Aufforderung "Just tell me what to say!", spricht schon Bände, fordert er hier doch geradezu, zu einem Sprachrohr ohne eigene Meinung reduziert zu werden, das die politischen Auffassungen klügerer, aber weniger telegener Leute in die Welt trägt. Ähnlich prägnant eine Szene, in der Vize-Präsident Dick Cheney (der wahre Machthaber in der Bush-Administration) in einem Stabstreffen seine fast schon größenwahnsinnige Vision eines Feldzugs durch Irak und Iran schildert, um die amerikanische Hegemonial-Stellung und Öl-Versorgung auf absehbare Zeit zu sichern. Als sich der Präsident zu Wort meldet mit dem banal-ideologischen Vokabular, mit dem er diesen Krieg ans Volk verkaufen will, rollt Cheney leicht genervt mit den Augen, und bestätigt dann mild lächelnd: "Sir, you have the touch, not I."
Dieser "Touch" meint Bushs Schlag bei den einfachen Leuten, seinen "Typ von nebenan"-Charme, der seinen unglaublichen politischen Erfolg auf den Punkt bringt: George W. Bush eignete sich deshalb so gut als politische Marionette, weil die breiten Massen des Wahlvolks bei ihm den Eindruck hatten, er sei einer von ihnen. Einfach gestrickt, zupackend, ein Typ, der dir beim Nachbarschafts-Barbecue mit einem Bier in der Hand deinen Burger grillt, charmant grinst und in simplen Worten die Welt erklärt, die ja gar nicht so kompliziert ist, wie diese Ostküsten-Intellektuellen immer tun.

Das ist, wie gesagt, faktisch alles richtig, bietet aber überhaupt keine neuen Einsichten: Die Maschinerie hinter Bushs Erfolg und die Gründe für sein grandioses Scheitern als Präsident sind sattsam entlarvt und analysiert, der Film kann entsprechend zu keinem Zeitpunkt echte Spannung entwickeln und käut an sich nur wieder, was man sowieso schon weiß - zu präsent ist das alles noch in unserem kollektiven Gedächtnis, um jetzt nochmal daran erinnert zu werden.
Am dankbarsten ist das Ganze daher noch für die Darsteller, denn die können sich hier richtig reinknien in ihre Portraits der wohlbekannten zentralen Figuren in Bushs politischem Umfeld. Das erste Lob verdient sich dabei Hauptdarsteller Josh Brolin ("No Country for Old Men"), der Habitus und Sprachrhythmus des Präsidenten mit grandioser Genauigkeit einfängt und absolut in seiner Rolle aufgeht. Ähnliches Lob verdienen sich auch Elizabeth Banks als Laura Bush, James Cromwell als US-Präsident Bush senior und Ellen Burstyn als seine Frau Barbara. Jeffrey Wright als Colin Powell hat den zusätzlichen Bonus, dass er hier als einziger wirklich positiv wegkommt - der Film zeichnet Powell als vergeblich argumentierendes, moralisches Gewissen der Bush-Regierung, letztlich gezwungen, seinen Teil zu einer Invasion beizutragen, die er von vornherein verurteilt hat. Etwas unangenehm auffallen tun hingegen Scott Glenn als Donald Rumsfeld und vor allem Richard Dreyfuss als Dick Cheney. Fraglos sind sie die nominellen Bösewichte in diesem Film, doch die Arroganz, mit der der leidenschaftliche Demokrat Dreyfuss hier Vize-Präsident Cheney eine geradezu diabolische Niedertracht verleiht, grenzt an offenkundige, genüssliche Böswilligkeit.

Das sehr gut aufgelegte Ensemble trägt seinen Teil dazu bei, dass "W." immer ansehnlich und nie langweilig wird - für viel mehr reicht es aber trotzdem nicht. Zu offenkundig ist, dass der Film für Oliver Stone ein Schnellschuss war, dem die Handschrift des Großmeisters des Polit-Kinos weitestgehend abgeht. Nicht nur, dass Stone hier mit einem Drehbuch aus anderer Hand arbeitete, dem Film fehlt auch ganz klar die treibende, energetische Dringlichkeit, die sonst jeden Stone-Film auszeichnet bei dem man das Gefühl hat, dass der Regisseur seinem Publikum wirklich etwas sagen will (siehe dazu unseren neuen Gold-Beitrag zu "JFK").
Hier jedoch gibt es nicht viel zu sagen, und darum auch nicht viel zu sehen. Drum ist der DVD-Release und die Fernsehausstrahlung drei Tage nach der Inauguration von Barack Obama wohl doch ein ganz guter Termin für diesen Film: Als leises Servus für George W. Bush, den unfähigsten Präsidenten, den die USA jemals hatten. Auf Nimmerwiedersehen. Hoffentlich.


2
2/10

Habe den Film gestern auf ORF gesehen ..ich bin Stone Fan aber mehr als 20-30 min wird es keiner schaffen..diesen Film anzuschauen.LANGWEILIG , verschenkt und überladen , Hilfe !

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8
8/10

Endlich mal eine andere Sichtweise als die ewigen Michael Moore Streifen. Ein unglaubliches Staraufgebot. Bitte ansehen, der Film ist gut.

@ derBuckel: Ich kann die Meinung nicht teilen, mir hat er sehr gut gefallen.

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bin sooooo gespannt auf den film, oliver stone is zwar nich ganz mein geschmack aber die ausschnitte fand ich schon recht lustig

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7
7/10

Ich bin ebenso Louie froh darüber,nicht schon wieder so eine plumpe Kritik an George W. a la Micahel Moore gucken zu müssen.Auch ein Typ wie W. hat nun mal menschliche Seiten und die werden hier auch ordentlich rüber gebracht,ohne dass man ihn am Ende des Films auf einmal über alles lieben muss.
Mich stört es allerdings doch,dass mehrere kritische Momente seiner Biografie nur am Rande erwähnt werden.George W. nicht komplett lediglich mit einem Film fertig machen zu wollen gefällt mir,aber am Ende war der Film so für meinen Geschmack zu harmlos.

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9
9/10

Ich fand den Film auch ziemlich gut, am Ende hatte ich irgendwie Mitleid.

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3
3/10

Muss mich leider gegen diesen Film aussprechen:
Habe davor noch die Doku, "George Walker Bush in Being W" gesehn und deswegen waren viele Details nicht nachvollziehbar und in der Form nicht in Ordnung.
Zusätzlich muss ich die Authentizität belächeln:
Wie kann es sein dass man aus jedem "switch!" Darsteller durch einfachste Maskenbildnerei und Acessoires ein fast perfektes Ebenbild eines VIPs zaubern kann, aber bei W. ein und denselben Schauspieler ohne jedwede Veränderungen vom College bis zum Pensionsalter gleichbleibend zu gestalten. Der sah ja mit 20 aus wie ein 50 Jähriger!

Ich hab mich eigentlich auch auf eine gemäßigtere Sichtweise zum Leben W's gefreut da ich nie der Meinung war er sei der "Bad Guy".
Aber da wurde ich ehrlich gesagt auch enttäuscht.

Kann eigentlich nur die Doku empfehlen.

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4
4/10

Ich finde "Bushie" kommt viel zu gut weg bei dem Film.
Hatte am Ende fast mitleid... ;-)

Die Zeit die sich Mr. Stone für "Bushies" Flegeljahre nimmt fehlt dann bei wichtigen Ereignisse die gar nicht erwähnt wurden... Wahl 2000, Amtseinführung 2000 und 9/11. Die Verstrickung der Bush und Bin Laden Familien, Carlyle Group, und so weiter...

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