„The Legend of Sleepy Hollow“ ist eine Kurzgeschichte von Washington Irving, einem der ersten großen Autoren des freien Amerikas. Sie gehört zur Standardlektüre an jeder amerikanischen High School, und so wird man schwerlich einen US-Bürger finden, der noch nicht von Ichabot Crane gehört hat, dem jungen Mann aus dem kleinen Nest im Staate New York, der sich in die Tochter Katrina des reichen Gutsherren Van Tessel verliebt. Diese Liebe bleibt allerdings unerwidert, und am Ende verschwindet Crane auf mysteriöse Weise, was darauf hindeutet, daß ihn der legendäre „Headless Horseman“ mit in die Hölle genommen hat. Dieser Klassiker der amerikanischen Literaturgeschichte ist wenig furchteinflößend, und ohne das nötige Hintergrundwissen tötlich langweilig: Seitenlange Beschreibungen des Örtchens Sleepy Hollow und die merkwürdigen Beziehungen der Bewohner regen nicht gerade zum weiterlesen an und funktionieren auch nur, wenn man die allegorische Zweideutigkeit in Bezug auf Geschichte und Gesellschaft der Revolutionszeit begreift. Öde. Ausgerechnet Tim Burton, der skurrile Regie-Virtuose, hat sich jetzt an eine Verfilmung gemacht, und ließ konsequenterweise keinen Stein auf dem anderen: Das einzige, was Film und Buch noch gemeinsam haben, sind die Namen der Figuren, alles andere verwandelt Burton in ein hemmungslos amüsantes Horror-Abenteuer: A Riesn Gaudi!
Ichabot Crane ist Ermittler bei der New Yorker Polizei, der sich vor langer Zeit vom Glauben an Religion, Spiritualität und alles Übernatürliche losgesagt hat und immer eine wissenschaftliche und rationale Erklärung sucht (Dana Scully läßt grüßen). Den New Yorker Richtern geht er mit seinen andauernden Forderungen nach vernünftiger Beweisführung und der Abschaffung der Folter so sehr auf den Geist, daß man ihn kurzerhand in das verschlafene Waldkaff Sleepy Hollow schickt, wo in den letzten zwei Wochen drei Menschen enthauptet vorgefunden wurden. Crane macht sich mit Feuereifer an die Arbeit, und muß sich von den Dorfältesten erst einmal erklären lassen, daß ein Geist hinter all dem steckt: Der „kopflose Reiter“, ein ehemaliger hessischer Söldner, der im Unabhängigkeitskrieg wie ein Berserker gewütet hat und ziemlich vielen Menschen den Kopf abschlug. Zwanzig Jahre nach seinem Tod kehrt er nun zurück und säbelt fröhlich weiter, allerdings selber ohne Kopf, der wurde ihm damals nämlich auch abgetrennt.
Crane glaubt davon solange kein Wort, bis ihm der mysteriöse Reiter tatsächlich begegnet, was zwar seinen Unglauben ins Wanken bringt, nicht aber seine Aufklärerinstinkte, denn schon bald entdeckt Crane einen Zusammenhang zwischen allen Opfern des Reiters.
Von der Story her ähnelt Burton’s Umsetzung einer Detektivgeschichte mit Horroreinlagen: Crane’s Nachforschungen sind detailversessen und langwierig und enden in einer Beweisführungskette, auf die Sherlock Holmes stolz gewesen wäre. Aber im Prinzip ist das alles nur der Rahmen für die wirklichen Höhepunkte des Films, denn was Burton hier an initiatorischen Ideen anbringt, ist eine wahre Freude. Mit vollendeter Eleganz gelingt ihm der faszinierende Spagat, gleichzeitig einen Horrorfilm und eine Horrorfilm-Parodie zu inszenieren.
Die Optik des Films ist ein Fest für den Zuschauer: Detailverliebt erscheint der Ort Sleepy Hollow wie einem klassischen Schauer-Roman entsprungen. Klapprige Häuser, die zusammenklappen würden, wenn sie sich nicht gegenseitig stützen könnten, ein permanent grimmig-grauer Himmel, durch den nie die Sonne scheint, Einwohner mit versteinerten Mienen und bleicher Haut. Die Szenen im Ort sind durchweg in farblosen Grautönen gehalten, in manchen Szenen läßt nur eine Kerze oder eine Laterne erahnen, daß hier tatsächlich ein Farbfilm abläuft. Mit den rundum lauernden Wäldern ist der furchteinflößenden Atmosphäre genügend vorhanden.
Aber so recht fürchten mag man sich dennoch nicht, und das soll man auch gar nicht. Spätestens wenn Ichabot Crane seine erste (natürlich kopflose) Leiche untersucht, setzen die Lacher ein. Der Mann mag in der Theorie eine Wucht sein, mit den praktischen Konsequenzen tut er sich schwer: Ein Warmduscher mit nervösem Magen. Bei jeder näheren Betrachtung eines toten Körpers muß er sich erst einmal mit mulmigem Gesichtsausdruck abwenden, seine bemüht gefestigte Stimme bei den anschließenden Erklärungen ist hinreißend wackelig. Crane, von Johnny Depp absolut grandios dargestellt, ist der perfekte Abgesang auf jeden klassischen Horror-Ermittler: Er macht es, weil es seine Berufung ist, aber ekelig findet er es trotzdem.
Selbstverständlich darf auch ein bißchen Romantik nicht fehlen: Die Tochter des wohlhabenden Gutsherren heißt auch hier Katrina Van Tessel, mysteriös undurchschaubar dargestellt von der erstaunlich wandlungsfähigen Christina Ricci. Die ist hier wesentlich mehr als schmückendes Beiwerk, sie darf nicht nur bei der Aufdeckung des Geheimnisses helfen, sondern erweist sich am Ende als absolute Schlüsselfigur. Und wo wir schon beim Geheimnis sind: Der kopflose Reiter hat eine Menge grandiose Auftritte, sein Umgang mit dem Schwert ist elegant, präzise und garantiert tödlich, und die Werbezeile des Films „Heads will roll“ ist kein leeres Versprechen: Über ein Dutzend Häupter kullern im Verlaufe der Handlung durchs Bild.
Und trotzdem funktioniert „Sleepy Hollow“ nicht als erschreckender Horrorfilm. Burton erweist sich ein weiteres Mal als großer Meister der kunstvollen Überspitzung: Alle klassischen Elemente sind enthalten, die Weichen für stilvolle Schrecksekunden gestellt, aber Burton legt überall noch ein kleines Schäufelchen oben drauf, wodurch der ganze Film zu einer liebevollen Parodie wird: Hier wird nichts veräppelt, aber ernstnehmen soll man es bitte schön auch nicht. Auch Komponist Danny Elfman will da in nichts nachstehen: Vor allem beim furiosen (wenn auch ein wenig unstimmigen) Finale läßt er es so richtig krachen. Mit Pauken und Trompeten zelebriert er die klassische Horror-Orchestrierung und wütet dabei ähnlich rücksichtslos wie der kopflose Reiter, ein akustischer Overkill, der dem satirischen Vergnügen einen passenden Schlußpunkt setzt.
„Sleepy Hollow“ beweist ein weiteres Mal, daß Tim Burton, was schiere Skurrilität und Innovationsfähigkeit betrifft, als Regisseur allein auf weiter Flur steht. Es ist eigentlich schade, daß er nur dann große Erfolge feiert, wenn er sich populärer Vorlagen bedient (siehe „Batman“), denn er hätte sicherlich mehr Aufmerksamkeit verdient. Auf jeden Fall bescherte er mit diesem Film auch Johnny Depp den lange ersehnten Kassenknüller (Depp, einer der populärsten Schauspieler unserer Tage, hat noch nie ein Einspielergebnis über 100 Millionen Dollar erreicht).
Amerikanische Kritiker feierten „Sleepy Hollow“ als den „best looking horror-flick ever“. Damit ist die brillante Optik sehr treffend beschrieben, seit „Bram Stoker’s Dracula“ kam kein Horrorfilm mit annähernd vergleichbarer Bildgewalt daher. Diese hat entscheidenden Anteil daran, daß „Sleepy Hollow“ genau das ist, was er ist: 100 Minuten herrlichste Kino-Unterhaltung, eine Freude für alle Sinne, und eine feinsinnige und liebevolle Parodie des klassischen Horror-Opus.
Originaltitel
Sleepy Hollow
Land
Jahr
1999
Laufzeit
100 min
Regie
Release Date
Bewertung
Bilder: Copyright
Constantin Film
Neuen Kommentar hinzufügen