Sicario

Originaltitel
Sicario
Land
Jahr
2015
Laufzeit
121 min
Release Date
Bewertung
8
8/10
von Matthias Kastl / 2. Oktober 2015

Die Spezial-EinheitDie mexikanische Tourismusbehörde und Hollywood werden wohl nie Freunde. Schon in den Zeiten der Western-Filme war das Land an der Südgrenze der Vereinigten Staaten der Rückzugsort für die übelsten Ganoven - mit Bewohnern, die meist betrunken unter Kakteen Siesta hielten. In den letzten Jahren hat Hollywood nun die Drogenkartelle des Landes für sich entdeckt („Savages“, „The Counselor“). Die Botschaft ist eindeutig - von der anderen Seite des Zaunes kommt einfach nichts Gutes. Auch „Sicario“ schlägt in die gleiche Kerbe und zeigt uns martialisch gekleidete US-Spezialeinheiten, die sich zu wummernden Bässen in den Krieg gegen die Kartelle stürzen. Vereinfacht gesagt schauen wir einer amerikanischen Elite-Einheit zu, die soviel Lärm wie möglich veranstalten will um ihren Gegner aus der Reserve zu locken. Das klingt nach einem simplen Konstrukt und liefert uns, insbesondere im Hinblick auf die Mexikaner, auch einige Klischees und nur wenige neue Einsichten in die Mechanismen oder Komplexität des Drogenhandels. Doch dank ambivalenter Charakterzeichnung, einem Regisseur, der viel von Atmosphäre und Spannungsaufbau versteht, und einem charismatischen Ensemble gelingen „Sicario“ trotzdem zwei verdammt intensive Stunden Kinounterhaltung.


Als die FBI-Agentin Kate (Emily Blunt, „Edge of Tomorrow“, „Looper“) mit ihrem Team in Arizona ein Versteck der mexikanischen Drogenmafia aushebelt, erlebt sie die Grausamkeit der Kartelle in einer für sie neuen Dimension. Fest entschlossen, die Verantwortlichen für das Geschehene zur Rechenschaft zu ziehen, nimmt sie das Angebot an die Spezialeinheit von Matt Graver (Josh Brolin, „True Grit“, „Milk“) bei ihrer Suche nach dem Drogenbaron Fausto Alarcon zu unterstützen. Doch weder Graver noch dessen kolumbianisches Team-Mitglied Alejandro (Benicio Del Toro) machen einen wirklich vertrauenswürdigen Eindruck, und schon bald sieht sich die stets Regeln befolgende Kate mit Entscheidungen und Ereignissen konfrontiert, die ihre moralische Integrität auf den Prüfstand stellen.

 

Kate ist gezeichnet vom EinsatzNein, mit einem zweiten „Traffic“ haben wir es hier sicher nicht zu tun. Sehr komplex ist das inhaltliche Gerüst von „Sicario“, zumindest in den ersten beiden Dritteln des Films, beileibe nicht - auch wenn die undurchschaubaren Figuren Matt und Alejandro darauf schließen lassen würden. Wenn unsere Spezialeinheit am Grenzzaun zu Juarez vorbeifährt ist klar, jetzt geht es in die Hölle. Es hat schon etwas von Kriegsfilm, wenn die Amerikaner hier im martialischen Großaufgebot durch die Stadt fahren, vorbei an von Brücken hängenden verstümmelten Leichen. Subtil ist auf jeden Fall anders, und auch wenn der Fokus hier auf dem Thrill statt der Komplexität liegt, ein klein bisschen mehrdimensionaler hätte man die andere Seite der Grenze schon gestalten können. Ein halbwegs guter Mexikaner ist weit und breit nicht zu sehen und auch wenn die Amerikaner ebenfalls Dreck am Stecken haben, ist es dann doch nur das tapfere US-Mädel, welches als einzige noch ein wenig Anstand zu besitzen scheint.

Doch „Sicario“ ist ein gutes Beispiel dafür, dass man manch Story-Klischee mit anderen Stilmitteln gekonnt übertünchen kann. Das beginnt schon mit der Kameraarbeit, denn „Sicario“ sieht einfach toll aus. Der Film zelebriert geradezu die trostlose Grenzlandschaft mit teils epischen Luftaufnahmen, und wenn die Spezial-Einheit zu später Stunde ausrückt, gelingen dem Film sogar fast poetische Bilder. Die Erklärung dafür ist ziemlich einfach und erschließt sich Filmliebhabern spätestens im Abspann, wenn sie den Namen des Kameramannes lesen. Roger Deakins („Skyfall“) ist und bleibt einer der besten Kameramänner der Welt und es ist wieder einmal ein Genuss, seine Aufnahmen auf der großen Leinwand zu sehen – noch nie sah der Drogenkrieg so gut aus.

 

Alejandro hat seine eigene AgendaGlücklicherweise weiß aber Regisseur Villeneuve auch ganz genau, wie man diese Bilder gekonnt einsetzt. Schon in „Prisoners“ hat er gezeigt, dass ihm in Punkto Atmosphäre und Spannungsaufbau so schnell keiner etwas vormacht, und insbesondere in den Action-Szenen ist das bei „Sicario“ wirklich Kino für Feinschmecker. Wie hier jedes Mal wundervoll ganz langsam an der Spannungsschraube gedreht wird nur um dann die Hölle über die Protagonisten und die Zuschauer hereinbrechen zu lassen, das ist schon allererste Sahne. Ob Kate im gepanzerten Wagen dem nahenden Einsatz entgegenfiebert, wir mit ihrem Team in einem Stau stehen, der offensichtlich nichts Gutes für sie bereithält, oder wir sie bei einer nächtlichen Mission mit Nachtsichtgerät durch enge Tunnel begleiten, „Sicario“ wird mit laufender Spieldauer zum immer intensiveren Erlebnis. Ohne Zweifel, das ist ganz großes Kino was uns hier in Sachen Inszenierung geliefert wird, und die Sequenz rund um die Überführung eines Gefangenen ist derart packend, dass sie alleine schon das Eintrittsgeld wert ist.

 

Einen großen Anteil an der Intensität des Films hat aber auch das Schauspiel-Ensemble, für deren Auswahl sich die Casting-Abteilung mal so richtig auf die Schulter klopfen darf. Emily Blunt hat ja bereits in „Edge of Tomorrow“ gezeigt, dass ihr die Rolle der Powerfrau in Action-Filmen liegt, und auch hier überzeugt sie als taffe Agentin, deren moralischer Kompass im Gegensatz zum Rest noch ordentlich funktioniert. Es sind aber dann doch zwei Männer, die einen noch bleibenderen Eindruck hinterlassen. Josh Brolin sprüht in seiner Rolle als knallharter Elitesoldat mit Sonnyboy-Lächeln nur so vor Spielfreude. Sein Matt Graver ist ein manipulatives Arschloch mit Lausbubencharme und damit genau einer dieser Fieslinge, denen man einfach zu gerne bei der Arbeit zuschaut. Der heimliche Star des Films ist aber Benicio del Toro, dessen wortkarger und lange Zeit undurchschaubarer Alejandro eine wahre Augenweide ist. Benicio del Toro ist einer dieser Darsteller, die in einer Szene einfach nur still in der Ecke stehen können und man hat trotzdem nur Augen für ihn. So wenig man über seine Figur lange Zeit auch erfährt, alleine durch kleine Gesten und ein unglaubliches Charisma entwickelt sich del Toro schnell zur schillerndsten Figur des Films. Alejandro und Matt sind beides faszinierende Figuren, deren Intentionen lange nicht wirklich durchschaubar sind und die dank ihrer Darsteller auf der Leinwand eine so dreckige Coolness ausstrahlen, dass man der moralisch integren Kate kaum Chancen ausrechnet, um gegen diese Ansammlung an Testosteron erfolgreich bestehen zu können.

 

Matt und sein TeamEs ist dann genau dieses Psychoduell dieser ungleichen Parteien, deren Endziele ähnlich erscheinen mögen, deren Methoden aber nicht weiter voneinander entfernt sein könnten, welches den Zuschauer bis zum Ende fesselt. Ein Ende, bei dem Autor Taylor Sheridan eine mehr als ungewöhnliche Entscheidung bezüglich der Rolle seiner Hauptfiguren trifft. Spätesten hier werden jetzt auch Parallelen zu „Prisoners“ deutlich und es lässt sich erahnen, was Villeneuve wohl an diesem Stoff besonders gereizt haben dürfte. Auch hier ist es der Blick in die gebrochene Seele eines einst guten Menschen, die in „Sicario“ ein konsequentes, brutales und düsteres Ende erfährt. Bei aller Begeisterung für soviel Mut muss allerdings auch angemerkt werden, dass die emotionale Wirkung der Geschehnisse durch die passive Rolle der eigentlichen Hauptfigur ein klein wenig verloren geht. Spannend bleibt es aber bis zum bitteren Ende, bei dem Villeneuve keinerlei Gnade mit den Zuschauern kennt.

 

Es ist natürlich schon ein bisschen ärgerlich, dass nur auf einer Seite des Grenzzaunes komplexe und ambivalente Figuren zu finden sind. Wer aber diese Klischees ignorieren kann, und das ist bei so überzeugenden Schauspielern und cleverem Spannungsaufbau sehr leicht möglich, der erlebt mit „Sicario“ trotzdem zwei Stunden erstklassige Thriller-Unterhaltung. Nur die mexikanische Tourismusbehörde wird wohl mal wieder mit dem Kopf schütteln.  

Bilder: Copyright

9
9/10

Großartiger Film, keine Frage! Allerdings kann ich die Klischee-Kritik nicht recht teilen. Der Film ist laut, martialisch und beleuchtet nur die Sichtweise der amerikanischen Sicherheitsbehörden. Die Charaktere südlich der Grenze sind deshalb nicht eindimensional, sie stehen einfach nicht im Fokus.
Natürlich könnte man allgemein bemängeln, dass ein so ernstes Thema wie die Gewalttätigkeit der mexikanischen Kartelle für Effekthascherei im Kino ausgenutzt wird. Aber eine einseitige oder klischeebehaftete Darstellung kann ich nicht erkennen. Das könnte jedoch auch mit der Einschätzung der Sicherheitslage in Mexiko zusammen.

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Der Punkt ist folgender - der Film zeigt ja eben nicht nur die "typischen" mexikanischen Drogenbosse. Er etabliert ja auch noch die Figur eines "einfacheren" Mexikaners. Allerdings entpuppt sich auch dieser letztendlich, und genau da sehe ich das Klischee, genau wie der böse Bigboss, als nur ein weiterer Mexikaner der ein toller Familienmensch ist aber gleichzeitig über beide Ohren tief im Drogenhandel steckt. Und genau das kann man dem Film dann schon vorwerfen, denn diese Figur ist definitiv eine verpasste Chance. Weil ganz ehrlich, die Rolle des Latino/Südamerikaners der krumme Geschäfte macht aber gleichzeitig ein super liebevoller Familienvater ist, kann ich langsam nicht mehr sehen. Die ist definitiv zum Klischee geworden.

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8
8/10

Traffic light? Überraschend guter Film mit sehr gutem Cast. Es ist bereits alles gesagt worden: sehr gute Kameraarbeit und fast durchgängige Spannung mit einem unterstützenden Score. Der Film packt einen ab der ersten Minute in der die, wie Soldaten anmutenden, Polizisten von der Seite ins Bild ziehen. Hinzufügen möchte ich, dass der Film auch genau den richtigen Grad an Härte aufweist. Da wird mal abgeblendet wenn es ernst wird. Nicht zu hart aber dennoch dem Thema angemessen. Einzige Kritikpunkte sind, die an manchen Stellen einen Hauch mehr Komplexität vertragende Story und die etwas zu konstruierten Konfliktsituationen hier und da (Stichwort Mitte des Films). Insgesamt sehr für Freunde der etwas ernsthafteren Unterhaltung zu empfehlen.

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8
8/10

Die Rezension trifft es genau. Weniger Klischees, mehr Komplexität und damit eine etwas längere Laufzeit hätten dem potentiellen Superhit gut getan. Aber das hochspannende, optisch und akkustisch beeindruckende Blendwerk schiebt die überschaubare Story schnell in den Hintergrund.

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9
9/10

Zwei Stunden Nervenkitzel vom Feinsten. Ähnlich wie bei TRAINING DAY gerät die Hauptfigur- und mit ihr der Zuschauer - in einem Strudel, der gleichermaßen faszinierend wie auch abstoßend ist. Keine Zeit, zum Innehalten, dazu die Manupulation, das Ende sehr bitter. Top.

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