Schnee, der auf Zedern fällt

Originaltitel
Snow Falling on Cedars
Land
Jahr
1999
Laufzeit
113 min
Regie
Release Date
Bewertung
7
7/10
von Simon Staake / 17. März 2011

1954: Schnee fällt auf die kleine Insel San Piedro, eine ganze Menge sogar. Aber auch die Schneemassen, die auf den Ort herunterfallen, können nicht bedecken, was eine Gerichtsverhandlung im Ort zu Tage bringt: Angeklagt ist der junge japanische Fischer Kabuo Miyamoto (Rick Yune), der seinen weißen Fischerkollegen Carl Heine ermordet haben soll. Beide waren früher Freunde, aber der zweite Weltkrieg und das Mißtrauen dem anderen gegenüber zerstörte diese Freundschaft. Ein Streit um Geld und Land wäre ein mögliches Motiv. Interessiert wird der Prozeß von Ishmael Chambers (Ethan Hawke), dem Redakteur der kleinen Lokalzeitung, beobachtet. Dessen Interesse ist jedoch nicht nur beruflicher Natur: Hatsue (Youki Kudoh), die Frau des Angeklagten, ist seine große Jugendliebe. Und die Trennung von ihr hat der sensible Ishmael nie verwunden. In seinen Gefühlen zerrissen, muß Ishmael mit ansehen, wie Staatsanwalt Alvin Hooks (James Rebhorn) und Verteidiger Nels Gudmundsson (Max von Sydow) unter den Augen von Richter Fielding (James Cromwell) versuchen, der Wahrheit auf die Spur zu kommen. Eine Suche, die ebenso schwierig wie schmerzhaft für alle Beteiligten wird.
Was zunächst, lange vor der Lösung des Mordfalls, aufgedeckt wird, sind die verborgenen Feindseligkeiten gegenüber den japanisch-stämmigen Amerikanern, die Atmosphäre des Mißtrauens und verborgenen Ressentiments zwischen beiden Völkergruppen. Und es wird eines der schwärzesten Kapitel der amerikanischen Geschichte beleuchtet: Die unrechtmäßige Internierung japanisch-stämmiger Mitbürger vor und während des Zweiten Weltkriegs.
„Schnee, der auf Zedern fällt“ ist ein bemerkenswerter Film, in vielerlei Hinsicht: Zum einen ist da die zeitliche Aufteilung des Films. „Der ganze Film handelt vom Prozeß der Enthüllung“, sagt Regisseur Scott Hicks. Er entwickelte ein vielschichtiges Netz aus Rückblenden, daß den Zuschauer in die Kindheit von Ishmael und Hatsue, die Zeit der Internierung, die Wirren des Zweiten Weltkriegs oder die neblige Mordnacht führt. Wie Mosaiksteinchen fügen sich die Bruchstücke der Vergangenheit zusammen, freilich nicht ohne neue Fragen aufzuwerfen. Bemerkenswert ist aber, daß der Großteil des Films in der Vergangenheit spielt, und die Gegenwartshandlung im Gerichtssaal einen geringen Teil des Films ausmacht. Womit wir beim ersten Kritikpunkt wären: Über die gewissenhafte und gelungene Darstellung des Vergangen vergaß Hicks offenbar die Gegenwart. Da versammelt er eine ganze Reihe gestandener Charaktermimen im Gerichtssaal und reduziert deren Möglichkeiten zu glänzen auf ein Minimum. Lediglich Max von Sydow vermag seiner Rolle mit rührendem Alterscharme wirkliche Konturen zu geben. 
Ethan Hawke bleibt als Ishmael Chambers ein eindimensionaler Charakter – zum Teil aufgrund der Regiearbeit, zum teil aber auch wegen seiner Leistung selbst. Hawke besitzt offenbar nur einen einzigen Gesichtsausdruck: einen ausdruckslosen. Was für die Darstellung eines Slackers in „Reality Bites“ oder „Before sunrise“ reichte, ist für das Ausfüllen einer Charakterrolle einfach nicht genug. Schade nur, daß auch so ein Mime wie James Cromwell lediglich in einer Nebenrolle spielt. Apropos Nebenrolle: Max Wright (der nette Willy Tanner aus ALF) stiehlt in einer Minirolle als unverhohlen rassistisch geifernder Pathologe fast die Show und bringt den zum Vorschein kommenden Rassismus in wenigen Szenen auf den Punkt. 
Womit wir beim zweiten großen Kritikpunkt wären: In der ersten Hälfte des Films überwiegen die kleinen Gesten und feinen Nuancen. Wie Ishmael im Kindesalter begierig auf den rotgeschminkten Mund von Hatsue schaut, und dies sich dann – viele Jahre und doch im Film nur wenige Sekunden – später wiederholt, das zeugt von Klasse und Einfühlungsvermögen. Leider wird diese Subtilität im breiten Mittelteil des Films nicht beibehalten, der sich der Internierung von Hatsues Familie und dem Zweiten Weltkrieg widmet. Hier erliegt Regisseur Scott Hicks der Verlockung des Epischen: In dem (löblichen) Versuch, ein großes Mahnmal wider das Vergessen auf die Leinwand zu bannen, vergißt er, daß sich dies am ehesten im kleinen Rahmen verwirklichen läßt. Hicks zeigt beeindruckende Bilder des Zweiten Weltkrieges oder des Exodus der Japaner aus San Piedro, und doch: Alles ist zu groß, zu laut, zu episch. In dem Versuch, dem Thema möglichst monumental gerecht zu werden, fährt Komponist James Newton Howard schweres Chorgeschütz auf, während die (den ganzen Film über herausragende) Kamerführung von Robert Richardson G.I.s oder Japaner „larger than life“ auf die Leinwand bannt. Weniger wäre hier eindeutig mehr gewesen.  „Schnee, der auf Zedern fällt“ ist ein eigentlich leiser Film, der im Mittelteil einfach viel zu laut wird. Die Rückkehr zu leiseren Tönen im Schlußteil des Films leidet denn auch darunter. Trotz großer Bilder aus Ishmaels Vergangenheit schafft Scott Hicks es einfach nicht, dessen Gefangensein zwischen unerfüllter und enttäuschter Liebe, seinen schrecklichen Erfahrungen aus dem Zweiten Weltkrieg und dem übermächtigen Schatten seines Vaters (Sam Shepard) greifbar zu machen. Letztlich bleibt es wieder Max von Sydow als Nels Gudmundsson überlassen, den positiven Charakter des Films zu erhalten. Seine durch Husten und Pausen unterbrochene Rede über die „alten menschlichen Schwächen, die von Generation zu Generation weitergetragen werden“ hat genau die unepische Form, die sie braucht, um wirklich unter die Haut zu gehen. Sie zeigt, daß es längst nicht mehr um die Frage nach Recht geht, sondern nach Gerechtigkeit; daß Gudmundsson noch immer an den „American Dream“ glaubt, der ihn selbst nach Amerika brachte; und daß dieser Traum vom eigenen Glück nicht durch Ignoranz und Rassismus kaputt gemacht werden darf. Dies ist die vielleicht größte Leistung eines guten, aber nicht herausragenden Films: Die Erinnerung daran, daß auch Dinge wie die große Liebe, der Respekt vor dem Mitmenschen oder die Illusion des „American Dream“ zart und vergänglich sind. Zart und vergänglich wie Schnee, der auf Zedern fällt.

Bilder: Copyright

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