Samson & Delilah

Originaltitel
Samson & Delilah
Land
Jahr
2009
Laufzeit
101 min
Genre
Release Date
Bewertung
7
7/10
von Margarete Prowe / 28. Dezember 2011

„Samson & Delilah“ ist das berührende Langfilm-Erstlingswerk des australischen Aborigine-Filmemachers Warwick Thornton, das 2009 in Cannes mit der „Goldenen Kamera“ als bestes Debüt ausgezeichnet wurde. Thornton ist seit langem hervorragender Dokumentar- und Kurzfilmer („Nana“, „Green Bush“), der den Alltag der Aborigines aus seiner eigenen Erfahrung darstellt, fern jeglicher Klischees oder Verharmlosungen. Der Film hat fast nichts mit der biblischen Geschichte zu tun, auf die sein Titel verweist, sondern zeigt in großartigen Bildern unter der Maxime „Ein Bild sagt mehr als tausend Worte“ eine untypische Liebesgeschichte in der trostlosen Abgeschiedenheit einer Aborigine-Gemeinschaft in der Wüste Zentral-Australiens, in der morgens schon Klebe geschnüffelt wird und die alltägliche Langeweile höchstens von Gewaltausbrüchen unterbrochen wird.

Der fünfzehnjährige Samson (Rowan McNamara) wohnt mit seinem Bruder in einer Aborigine-Gemeinde irgendwo im Nirgendwo jenseits von Alice Springs. Ein Tag gleicht dem anderen, er wacht auf, schnüffelt Klebe und wird high, unterbricht die Musikprobe seines Bruders, ärgert Kinder und hängt einfach nur ab, bis er beginnt, sich für Delilah (Marissa Gibson) zu interessieren, die mit ihrer Großmutter (Mitjili Gibson) zusammenlebt, welche täglich malt und ihre traditionellen Malereien zu einem Spottpreis an den weißen Ladenbesitzer verkauft. Samson wirft Kiesel nach Delilah, nimmt dann seine schmuddelige Matratze, wirft sie wortlos zu Delilah über den Zaun und will einziehen. Ihre Nana lacht und nennt ihn von nun an Delilahs Ehemann. Delilah wirft die Matratze erst einmal diverse Male zurück auf die Straße und ist auch wenig beeindruckt, als Samson ihr ein kleines Känguruh erjagt. Nach einem Wutausbruch, bei dem Samson seinen Bruder schlägt, wird er von diesem zusammengeschlagen. Delilahs Großmutter stirbt im Schlaf und sie wird dafür ebenfalls von ihren Tanten verprügelt. Beide Teenager entfliehen der Trostlosigkeit mit dem Gemeinde-Jeep. Sie enden in Alice Springs und lernen zum ersten Mal, wie es außerhalb ihrer Gemeinde aussieht. Doch auch hier sind sie Ausgestoßene, die niemand wahrzunehmen scheint - außer dem obdachlosen Säufer Gonzo (Scott Thornton), der seine Mahlzeiten mit ihnen teilt und so viel spricht, wie sie schweigen.

Es ist erfrischend und wohltuend, eine Liebesgeschichte zu sehen, in der das Paar einen gesamten Film hindurch nichts zueinander sagt und man trotzdem immer exakt weiß, was sie gerade denken und fühlen. Im Kino ist dies so erholsam und abwechslungsreich im Vergleich zu der Art, wie Liebesgeschichten mittlerweile fast nur noch über Dialoge transportiert werden, dass derzeitig sogar ein Stummfilm als großer Oscarkandidat gehandelt wird: Die Liebesgeschichte „The Artist“ von Michel Hazanavicius. Wie Regisseur Warwick Thornton es in einem Interview ausdrückt: „Ich habe zu viele Filme gesehen, in denen 13-jährige Mädchen und Jungen über Liebe reden, als ob sie 17 Kinder und fünf Ehen hinter sich hätten. Als ich ein Kind war und ich in jemanden verliebt war, da gab es keine Chance, dass ich so hätte reden können. Ich warf mit Steinen nach Mädchen um ihre Aufmerksamkeit auf mich zu ziehen und grunzte.“

Zusammengehalten werden die Bilder durch den Rhythmus der Musik. Thornton war als Teenager DJ beim örtlichen Radiosender und setzt seine musikalischen Akzente perfekt. Die sensible Delilah setzt sich allein in den Gemeinde-Jeep und hört sich auf Kassette die schnulzigen Balladen „Mi Talisman“ und „Como Olvidar“ der mexikanischen Sängerin Ana Gabriel an. Samsons Bruder und seine Freunde beherrschen nur ein Lied, was sie den ganzen Tag wiederholen: den Skanky Reggae-Song „Come Back Again“ der Desert Mulga Band, die hier auch die Band spielt. Samson hingegen beginnt seinen Tag mit der Radiosendung „Green Bush“ (Thornton machte einen gleichnamigen Kurzfilm über diese Sendung und gewann damit bei der Berlinale 2005 den „Panorama Kurzfilmpreis“), die sich an Aborigine-Gefängnisinsassen und ihre Familien richtet und in der jeden Morgen „Sunshiny Day“ von Charley Pride (1972) läuft, dessen Text den Film wunderbar einrahmt:

“So let the howlin' wind start blowin', let the raindrops keep on flowin'
Everytime they touch my face just kiss them away
Even with the clouds above me long as I've got you to love me
Every day is a gonna be a sunshiny day
And I'll have a sunshiny day...”

Der Aborigine-Regisseur Thornton stammt selbst aus Alice Springs und hat die Dinge, die im Film passieren, im Laufe seines Lebens anderen passieren sehen. Der Obdachlose Gonzo wird von seinem bis dahin selbst obdachlosen und alkoholabhängigen Bruder Scott Thornton gespielt, der unter der Bedingung mitmachen durfte, dass er vorher in eine Entzugsklinik ging. Nach fünf Anläufen schaffte er es schließlich und spielt hier quasi sich selbst. Rowan McNamara, der noch keinerlei Schauspielerfahrung hatte, spielt die Wut und Langweile seines Samson großartig, seine Augen funkeln stetig zornig und auch seine Drogenlethargie setzt er gut um. Der Regisseur musste ihm nicht zeigen, wie man einen Klebe- und Benzinschnüffler spielt - Rowan hat viele Schnüffler gesehen, denn dies ist die typische Art von Drogenkonsum unter den von der Gesellschaft abgehängten Jugendlichen in Australien.

Marissa Gibson ist wunderbar als Delilah - sowohl zart und gefühlvoll als auch verletzt oder wütend ist sie überzeugend. Ihre Großmutter im Film ist auch ihre wahre Großmutter und arbeitete schon als Hauptdarstellerin in Thorntons großartigem Kurzfilm über Aborigine-Großmütter „Nana“ (2007) mit. Mitjili Gibson spielt darin eine Oma, die ihre Gemeinde vor Alkohol schützen will und auf jeden mit ihrem Knüppel einprügelt, der Flaschen hineinschmuggeln will. Auch in „Samson & Delilah“ nimmt sie die Leinwand voll für sich ein und ihr lautes Lachen macht einen todlangweiligen Alltag plötzlich lebenswert und glücklich.

Der Film richtet sich explizit an ein australisches Publikum, somit werden manche Motive nicht erklärt, die sich anderen Zuschauern nicht sofort erschließen. So ist es in Zentralaustralien in manchen Aborigine-Stämmen Brauch, dass sich die Frauen die Haare grob abschneiden, um Trauer nach einem Todesfall zu zeigen. Aus diesem Grund schneidet sich Delilah die Haare ab, nachdem ihre Großmutter gestorben ist. An anderer Stelle schneidet sich auch Samson die Haare ab, doch ist dies hier ein Zeichen, dass er seine eigene Kultur kaum kennt (nur Frauen folgen diesem Brauch in der Trauerzeit). Nach dem Tod ihrer Großmutter wird Delilah ebenfalls von den Tanten im Dorf mit Holzknüppeln verprügelt. Auch dies ist eine Tradition, wenn auch eine, die Regisseur Thornton endlich abgeschafft sehen will: Ein Teil der Trauerarbeit bei vielen Aboriginestämmen erfordert, dass jemand (meist der für die Pflege zuständige) die Schuld für den Tod auf sich nehmen muss und dafür zur Strafe verprügelt wird. Besonders am Anfang des Films kommunizieren Samson und Delilah viel über Handgesten, die traditionell eingesetzt wurden, um sich über Distanzen hinweg zu verständigen, wenn man sich gerade auf dem Land anderer befand. Marissa Gibson sagt selbst, dass man unter Aborigines wenig spricht und sich eher über Gesten austauscht.

Die Kameraarbeit selbst ist ausgezeichnet. Es zeigt sich hier sofort, dass Thornton aus dem dokumentarischen Genre kommt und Aufnahmen bevorzugt, auf denen man auch das Umfeld der Figuren sieht. Es gibt wenige Nahaufnahmen im Vergleich zu Totalen und Halbtotalen. Die städtischen und dörflichen Landschaften umrahmen die Figuren ständig. Warwick Thornton schrieb und führte nicht nur Regie, sondern drehte „Samson & Delilah“ auch noch selbst komplett mit einer Handkamera.

Der einzige Haken von „Samson & Delilah“ ist erzählerischer Art. Nach dem wunderbaren Auftakt setzt Thornton seine Figuren in Alice Springs so entsetzlichen Dingen aus, dass der Film sich kaum noch davon erholen kann. Die zeitlichen Übergänge werden unsauber gehandhabt, erzählt wird etwas zu simpel dafür, dass dieser Film sich sonst eben dadurch auszeichnet, dass er seine Figuren nicht vereinfacht oder zu Klischees macht. Erst zum Ende hin wird der Film schlagartig besser und endet dann mit einem hervorragend den Bogen zum Anfang wieder schließenden Ende. Man wünscht sich, dass der Mittelteil besser gewesen wäre, dann hätte es an diesem Film wahrlich nichts auszusetzen gegeben. So ist „Samson & Delilah“ „nur“ ein sehr gutes Erstlingswerk und es bleibt zu hoffen, dass zukünftig zu hervorragenden Bildern und Soundtrack eine ebenso überzeugende Erzählweise hinzukommt.

Bilder: Copyright

Ein erschütterndes Zeugnis des "zivilisierten" Australien. Es schmerzte sehr aber ich musste den Film, trotz meiner Sensibilität, zu Ende sehen, wollte den Schmerz des Paares tragen, ihre Verzweiflung spüren....Ich hoffe Australiens Regierung befasst sich mit der Gesundheit der indigenen Bevölkerung besser. Es gibt nichts zu sagen, mit unserer Zivilisation ist es nicht sehr weit.

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