Yas (Vivian Oparah) bekommt auf der Unisex-Toilette bei einer Vernissage mit, wie Dom (David Jonsson) auf dem Klo heult. Weil sie Mitleid mit ihm hat, verwickelt sie ihn in ein Gespräch, das auch nicht endet, als die beiden die Kunstgalerie verlassen. Denn als Yas erfährt, dass Dom nun auf dem Weg zu einem gemeinsamen Mittagessen mit seiner Ex-Freundin und ihrem neuen Stecher ist (was der Zusammenhang für die Heulattacke auf dem Klo ist), ist sie fasziniert und will mehr wissen. So spazieren die beiden zusammen los. Und ihre Unterhaltung geht auch nach dem Essen deutlich länger weiter als erwartet...
Zwei Fremde begegnen sich, finden sich augenblicklich sympathisch, spazieren einen Tag lang gemeinsam durch eine Stadt, und irgendwo entlang des Weges verlieben sie sich - das ist ein ebenso simples wie bewährtes Rezept für eine Filmromanze, nicht erst seit Richard Linklaters legendärem "Before Sunrise". "Rye Lane" haucht diesem bekannten Genre-Standard nun einen sehr frischen Atem ein, dank zweier ebenso authentischer wie charmanter Hauptdarsteller, die eine grandiose Chemie miteinander entwickeln, einem sehr gewitzten Drehbuch und einer Regie, die vor junger Energie nur so strotzt.
In den ersten paar Minuten ist es ein bisschen viel mit den ungewöhnlichen Kamera-Einstellungen und wilden Schnitten, da befürchtet man noch kurzzeitig, dass dieser Film echt anstrengend werden könnte. Doch zum Glück mildert sich das schon bald auf einen sehr gesunden Pegel herunter, bei dem die visuelle Frische der Inszenierung hilft, das oft relativ gemächliche Geschehen - zwei Menschen schlendern durch die Stadt und plaudern - in ein temporeiches und sehr unterhaltsames Filmerlebnis zu verwandeln. Die knackige erzählte Zeit des Films - bis auf die letzten paar Minuten spielt alles an einem Tag - wird in ebenso knackiger Kürze erzählt, nach 80 Minuten rollt auch schon der Abspann. Dazwischen liegt eine der herrlichsten und befriedigendsten RomComs der letzten Jahre.
Tatsächlich ist es ein kleines Wunder, welches Drehbuch, Regie und Cast hier zusammen vollbringen. denn obwohl die Dialoge wahnsinnig flott und clever sind, wirken sie niemals gekünstelt und verraten nie ihre geskriptete Natur. Stattdessen kommt Yas und Dom alles so organisch über die Lippen, dass man jederzeit glaubt, dass diese beiden Charaktere sich echt so unterhalten würden - es sind einfach zwei Leute, die einen unglaublich guten Vibe miteinander haben. Dieses einnehmende Gefühl der Glaubwürdigkeit zieht sich durch den gesamten Film und gilt auch für die Handlung, die - auch wenn ein bisschen schräges Zeug passiert - nie die Bodenständigkeit verliert.
Während Dom und Yas durch ihren Londoner Stadtteil ziehen, über ihre gescheiterten Beziehungen philosophieren und kleine Abenteuer erleben, schafft "Rye Lane" das, was jede RomCom anstrebt, aber nur wenige wirklich schaffen - als Zuschauer wünscht man sich mit jeder Minute mehr, dass die beiden Hauptfiguren bitte, bitte unbedingt zueinander finden sollen, weil sie so fantastisch zusammenpassen. Wenn ein Film das erstmal hingekriegt hat, ist eigentlich vorprogrammiert, dass man am Ende mit einem sehr zufriedenen Lächeln im Gesicht dasitzt. Froh darüber, dass es in einem so extrem abgegriffenen Genre wie diesem ab und zu immer noch solch einen Film gibt - warmherzig, authentisch, frisch, lebendig, sehr lustig und komplett unverbraucht.
Die Dialoge sind sehr britisch, und es ist zu befürchten, dass hier in der deutschen Übersetzung so einiges an Charme und Authentizität verloren geht. Aber mindestens in der Originalversion ist "Rye Lane" ein echter kleiner Schatz, den jeder Filmliebhaber mit einem Herz für RomComs unbedingt für sich entdecken sollte.
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