Die Berlinale war dieses Jahr hoch politisch. Spätestens als Michael Winterbottoms ("Das Reich und die Herrlichkeit", "Code 46") neuester Filmstreich "The Road to Guantanamo" im Wettbewerb gezeigt wurde, war dies glasklar. Hoch brisant ist das Thema Guantanamo Bay ohne Frage. Es vergehen kaum Tage, an denen die menschenunwürdige Behandlung der Häftlinge und die bloße Existenz dieser rechtlich kaum zu verteidigenden Gefängnisanstalt nicht in Frage gestellt werden.
Die Hölle von Guantanamo schildern Winterbottom und Whitecross anhand des Leidensweges dreier junger britischer Muslime, die im März 2004 nach zweijähriger Haft aus Guantanamo Bay entlassen worden sind. Eigentlich wollten die drei Freunde Ruhel, Shafiq und Monir, die später von der Presse als "Tipton Three" (nach ihrem britischen Wohnort) bezeichnet worden sind, nur die Hochzeit eines Freundes in Pakistan besuchen. Wie halsbrecherisch diese Aktion war, wird klar, wenn man sich vergegenwärtigt, an welchem Tag sie abreisen: wir schreiben den 11.September 2001.
Als die Freunde hören, dass Afghanistan als Reaktion auf diese Anschläge angegriffen wird, können sie es im ersten Moment gar nicht glauben und machen sich selbst ein Bild, in dem sie nach Kabul reisen. Dort werden sie irrtümlicher Weise als Taliban-Kämpfer aufgegriffen und ohne Anklage- oder Rechtsbeistand in das US-Gefängnis auf Kuba verfrachtet. Es beginnt der Kampf und die Odyssee dreier unschuldiger Männer gegen eine verblendete und in ihren Verhörmethoden brutal agierende Weltmacht.
Genie und Vielseitigkeit des britischen Ausnahme-Regisseurs Michael Winterbottom (2001 gewann er mit seinem Flüchtlingsdrama "In this World" die Berliner Film-Festspiele) sind beachtlich, so dass man gespannt auf jedes neue Werk sein darf. In "The Road to Guantanamo" begibt er sich wie so oft in ein völlig neues Filmgenre, nämlich das des Doku-Dramas. Er verwebt gezielt und äußerst geschickt fiktionale Handlungsstränge und authentische Berichte und Interviews zu einem klaren politischen Statement in Richtung Weißes Haus.
Schon in der ersten Einstellung wird klar, wer der Adressat des Films ist. Wir sehen US-Präsident George Bush, der den Kampf gegen den weltweiten Terrorismus als sein höchstes Ziel deklariert. Er sagt: "Die Menschen in Guantanamo sind schlechte Menschen". Winterbottom und Whitecross treten sofort den Gegenbeweis an: Wir lernen die drei jungen Moslems kennen. Alles andere als Terroristen natürlich. Nett, freundlich und beliebt in der Nachbarschaft. Durch einen Anfall jugendlichen Großmuts geraten die unschuldigen Männer in die brutalen Fänge der aktuellen Weltpolitik und sind somit willkürliche Zielscheiben im Terrorkampf.
Die Kamera wackelt ununterbrochen. Das besondere Kunststück des im deutschen Fernsehen schon sehr populären Genres des Doku-Dramas (u.a. "Speer und Er") ist, durch rein filmische Mittel nicht nur die nötige dokumentarische Authentizität zu erzeugen, sondern auch eine unmittelbare Betroffenheit, für oder gegen die Akteure. So sieht man die Freunde zunächst im Camp X-Ray in den unwürdigen Hundezwingern in ihren orangenen Overalls ausharren. Dann sind da immer diese sinnlosen Verhöre, die, wenn auch unbeabsichtigt, oft spöttisches Gelächter im Kinosaal auslösen. Es ist halt zu grotesk, wenn angebliche US-Staatsanwälte die drei Jungs auf Videos von Kundgebungen Osama Bin Ladens wieder erkennen wollen.
Zermürbungstaktik made in USA. Sie ist dem einschlägigen Kinopublikum schon aus den Nachrichten bekannt. Wenn Winterbottoms neuer Film getarnt als NTV-Feature daher kommt, dann mag das auch damit zusammen hängen, dass man mit dem Realitätsanspruch einer TV-Reportage liebäugelt. Und doch schwebt da etwas anderes mit im Raum. Zwar hebt sich "The Road to Guantanamo" durch sein filmisches Äußeres ab von den Dokumentationen eines Michael Moore. Aber unterm Strich bleibt auch dieser Film ein klipp und klar parteiisches und sehr um political correctness bemühtes Statement.
Von einer nötigen journalistischen Objektivität ist in "The Road to Guantanamo" nichts zu spüren. Man könnte sogar noch einen Schritt weiter gehen und behaupten, sie sei gar nicht vorhanden. Wieso auch? Wozu sich denn um Ausgewogenheit bemühen, wenn bei einem Thema wie Folter und Guantanamo die öffentliche Meinung sowieso auf der eigenen Seite ist? Schließlich ist man ja nicht abgeneigt gegen klare Stellungnahmen, vor allem im Kino, denn die sind dort ja sonst eher rar gesät. Und das Endergebnis weiß mit seinen kraftvollen Bildern zugegebenermaßen auch durchaus zu beeindrucken. Wenn die Gefangenen an einer Mauer gelehnt mit Leinensäcken über dem Kopf sitzen und sie den wuterfüllten Wachleuten hilflos ausgeliefert sind. Oder die quälenden Spielchen der Rekruten, die die Gefangenen über sich ergehen lassen müssen. Dass alles provoziert bei dem Großteil des Publikums sicherlich reinste und schlichte Empörung.
So ist das Loblied auf die Überlebenden dieser Hölle dann doch im gewissen Sinne Propaganda. Winterbottom und Whitecross sind nicht bemüht, offene Fragen zu analysieren oder zu durchleuchten. Sie setzen auf die klare Ausstellung der Menschen und ihrer Geschichte. Die direkte und illegale Gewalt in den Camps steht im Mittelpunkt. Und was vielleicht am Schlimmsten ist, sie verurteilen Folter nicht allgemein. Sie besinnen sich da nur auf die unschuldigen drei Freunde. Aber Folter sollte, nein, muss allgemein verurteilt werden: egal ob schuldig oder unschuldig.
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