
Es beginnt – wie sollte es bei diesem Filmtitel auch anders sein – ganz, ganz leise: Die erste Szene von John Krasinskis „A Quiet Place“ zeigt einen fast menschenleeren Supermarkt. Einzig Evelyn Abbott (Emily Blunt) und ihr Mann Lee (John Krasinski, auch im wahren Leben mit Blunt verheiratet) streifen zusammen mit ihren Kindern zwischen den Regalen umher, um sich daraus zu bedienen. Sie sprechen kein Wort miteinander, verständigen sich nur durch Zeichensprache. Warum sie die einzigen Menschen weit und breit zu sein scheinen, wird zunächst nicht erklärt, ebenso wenig wie die Gründe für ihr Verhalten. Schnell allerdings wird klar: Sie dürfen absolut keinen Mucks machen, denn jedes Geräusch würde sie sofort in große Gefahr bringen.
Worin diese Gefahr genau besteht, macht der Film bald sehr, sehr deutlich. An dieser Stelle wollen wir mal nur so viel verraten: Irgendetwas ist dort draußen, und es kann verdammt gut hören. Und damit sind wir auch schon bei einer der größten Stärken von „A Quiet Place“: Der Film lässt den Zuschauer nämlich die Ausgangssituation der Handlung, deren Rahmenbedingungen und die ganze Welt, die er aufbaut, selbst entdecken, ohne alles bis ins kleinste Detail zu erklären. Es ist durchaus erfrischend, im Kino mal nicht von den Filmemachern an der Hand genommen und durch die Geschichte geführt zu werden. Stattdessen wirft einen der Film mitten ins Geschehen – ohne erklärende Texttafeln oder einen Prolog, der die Vorgeschichte erzählt. Da die Charaktere zudem die meiste Zeit über nicht sprechen dürfen, werden einem praktischerweise auch expositionslastige Dialoge erspart. Stattdessen muss man hier nach und nach selbst herausfinden, warum diese Familie sich fast nur durch Zeichensprache verständigt und wieso man außer ihnen fast keinen Menschen zu Gesicht bekommt.
Einen Teil dieser Informationen kann man sich anhand von Zeitungsausschnitten oder Notizen erschließen, die kurz im Bild sind. Andere Dinge wiederum muss man sich im Lauf des Films zusammenreimen, was mal mehr, mal weniger gut funktioniert. Im Großen und Ganzen lässt einen „A Quiet Place“ aber nicht vollkommen ratlos zurück, sondern bietet einem alle nötigen Informationen, um der Geschichte und den Handlungen der Figuren folgen zu können, wenn man bloß aufmerksam genug ist. Von den ersten Minuten an baut Regisseur John Krasinski, der hier auch eine der Hauptrollen übernommen hat und für die finale Fassung des Drehbuchs verantwortlich war, eine beklemmende Atmosphäre auf, die der Film tatsächlich für seine gesamte Laufzeit durchhält. Zwar lässt die Handlung einem ein paar Ruhepausen, doch die Bedrohung, der die Familie ausgesetzt ist, lauert ständig im Hintergrund und bestimmt jede einzelne Handlung und Bewegung der Charaktere.
„A Quiet Place“ beinhaltet dem Filmtitel entsprechend viele sehr leise Szenen und ist definitiv kein Film, bei dem man nebenbei laut Chips oder Popcorn essen sollte. Die Stille vieler spannungsgeladener Szenen macht hier einmal mehr deutlich, wie wirkungsvoll auch im Kino die Reduktion aufs Wesentliche sein kann: ein paar Figuren, die sich in Gefahr befinden, und eine für den Zuschauer zunächst unbekannte Bedrohung – mehr braucht es nicht, um nervenzerreißende Spannung zu erzeugen.
Auch was den Schauplatz der Geschichte betrifft, ist Reduktion angesagt. Der Film spielt nämlich zum größten Teil auf der Farm, auf der die Familie Abbott lebt. Das erinnert bisweilen an M. Night Shyamalans „Signs“, doch auch bei dessen großem Vorbild Steven Spielberg bedient sich Krasinski fleißig, und so gibt es hier immer wieder Einstellungen oder ganze Szenen, die an entsprechende Stellen aus „Unheimliche Begegnungen der dritten Art“, „Jurassic Park“ oder Spielbergs „Krieg der Welten“ erinnern. Das vielleicht größte Kompliment, das man dem Film machen kann, ist, dass man trotz (oder gerade wegen) der Reduktion auf einen klar abgesteckten Schauplatz und des nur kleinen Einblicks in die hier aufgebaute Welt sofort mehr wissen möchte: Wie kam es zu den im Film geschilderten Ereignissen? Was ist außerhalb der Farm im gesamten Rest der Welt los? Und angesichts des extrem kraftvollen Schlussbildes würde sich sicher mancher Kinogänger wünschen, dass der Film noch eine halbe Stunde länger gedauert hätte. „A Quiet Place“ lädt damit zum Nachdenken und Diskutieren ein.
Schauspielerisch beeindrucken vor allem einmal mehr Emily Blunt als Mutter, die um jeden Preis ihre Familie verteidigen will, und die – im Film wie im wahren Leben taubstumme - Millicent Simmonds als ihre Tochter. Wie in vielen Horrorfilmen kommt die Handlung auch in diesem Fall nicht ohne ein paar Logiklöcher und Ungereimtheiten aus. Da man aber fast den gesamten Film über so angespannt im Kinosessel sitzt, dass man kaum Zeit hat, darüber nachzudenken, fallen diese negativen Aspekte nicht besonders ins Gewicht. Das Konzept der Beschränkung auf wenige Figuren und Schauplätze ist ebenso aufgegangen wie das Risiko, einen Film zu drehen, in dem größtenteils per Zeichensprache kommuniziert wird. In den USA ist “A Quiet Place” sofort nach dem Start zu einem der Überraschungshits des Kinojahres 2018 geworden – absolut verdient, denn der Film bringt tatsächlich frischen Wind ins oftmals so abgedroschene und vorhersehbare Horror-Genre.
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