Wie heißt es so schön? "Der Name ist Programm", und "Vittula" bedeutet auf Deutsch in etwa soviel wie "Fotzenmoor". Dieser derbe Ton und ein ebenso derber Humor bestimmen sowohl Mikael Niemis Bestseller-Romanvorlage als auch Reza Baghers Film über die Kindheit und Jugend zweier Jungs aus Pajala, einem Ort nahe der schwedisch-finnischen Grenze. In Pajala ist das aufregendste Ereignis der 60er Jahre die erste asphaltierte Straße, man kann sich also denken, wie dort der Alltag aussieht. Ihrer geografischen Lage im öden Niemandsland haben Matti und Niila folglich einige Probleme zu verdanken. Niedergeschlagen stellen sie fest, dass sie eigentlich fast schon nicht mehr zu Schweden gehören, obwohl sie dies gern täten. Leider sprechen sie Schwedisch mit finnischem und Finnisch mit schwedischem Akzent, so dass schon der Dialekt des Musiklehrers aus Südschweden ihnen so fremd wie eine andere Sprache scheint. Außerdem wird den beiden schon früh unterstellt, "knapsu" - unmännlich - zu sein, was in diesen Breiten nicht gerade als Kompliment zu verstehen ist.
Mit Musik hat der Film zunächst weniger am Hut als der Titel
vermuten lässt, was den einen oder anderen Zuschauer vielleicht
irritieren wird. Zwar entwickeln Niila (Andreas af Enehielm) und
Matti (Max Enderfors) schon früh eine Liebe zum Rock 'n' Roll
und begeistern ihre Mitschüler mit einem leidenschaftlichen
Luftgitarren-Vollplayback-Auftritt, aber Niilas gewalttätiger
Vater (Jarmo Mäkinen) macht dem Spaß zunächst ein
jähes Ende.
Wer
dachte, die Schweden hätten sich mit "Wie
im Himmel" von Gewaltorgien aus Filmen wie "Evil"
abgewandt, hat sich übrigens getäuscht. "Populärmusik"
strotzt nur so von körperlichen und seelischen Misshandlungen,
die so gar nicht zum Image Schwedens passen und einen bitteren Nachgeschmack
hinterlassen. Auch die Saufgelage mit selbstgebranntem Schnaps und
obligatorischen Saunawettbewerben sind nur etwas für Hartgesottene,
denn hier wird ebenfalls die eine oder andere Schmerzensgrenze überschritten.
Trotzdem verfügt die Erzählung auch immer über gerade
genug Nostalgie und Herzlichkeit, um die brutalen und grotesken
Episoden zu entschärfen.
Reza Bagher, der als geborener Iraner auf den ersten Blick vielleicht
ein ungewöhnlicher Regie-Kandidat für ein Drama ist, das
sich mit den Identitätsproblemen von Finnland-Schweden beschäftigt,
hält sich mit seinem Film eng an die Romanvorlage. Trotzdem,
oder vielleicht gerade deshalb, scheint der Film gerade am Anfang
viel hin und her zu springen und man fragt
sich, welche Geschichte nun eigentlich erzählt werden soll.
Am besten gelungen ist die Schilderung der innigen Freundschaft
zwischen Matti und Niila, die wie Vieles von Niilas Vater als "knapsu"
verurteilt wird. Die Verbundenheit der Jungs wird von Bagher bildlich
wunderbar umgesetzt, etwa als die beiden Arm in Arm auf jeweils
einem Bein über eine Wiese hüpfen.
Mit zunehmendem Alter widmen sich die beiden auch wieder ihrer ersten
Leidenschaft, der Musik. Inspiriert werden sie von ihrem durchgeknallten
Musiklehrer Greger (Björn Kjellman), der keine Ausflüchte
gelten lässt und den Jungs auf ungewöhnlichem Wege auch
noch zu neuen Instrumenten verhilft. Zwar klang "Rock 'n' Roll
Music" mit Vollplayback definitiv besser, aber den Mädchen
gefällt's. Außerdem findet Niila, "Unsere Musik
klang furchtbar, aber sie kam von Herzen."
Ein besserer Titel für den Film wäre vielleicht "Postkarten aus Vittula" gewesen, denn die einzelnen Episoden wollen sich nie zu einem harmonischen Ganzen zusammenfügen. Was dem Zuschauer bleibt, ist eine chaotische Collage aus schönen und grausamen Kindheitserinnerungen vom gefühlten "Ende der Welt". Vor allem am Anfang des Films hätte man die Geschichte etwas straffen sollen, dennoch beweist Regisseur Bagher ein wunderbares Gespür für den schmalen Grat zwischen Komik und Tragik, und eben der macht den Charme dieses Films aus.
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