Norman ist ein völlig normaler 10-jähriger Junge, abgesehen von zwei Kleinigkeiten: Er schaut sich gerne Zombie-Horrorfilme an und genießt dabei die Gesellschaft seiner Großmutter, die etwas unaufmerksame Fragen der Sorte „Warum will der Zombie jetzt das Gehirn fressen?“ stellt – und bereits verstorben ist. Denn Norman kann tote Menschen sehen und mit ihnen reden, wie einst der kleine Cole in „The Sixth Sense“, und wie den macht diese besondere Gabe auch Norman zu einem Außenseiter, da ihm niemand in seinem Umfeld glaubt und er darum in Familie und Schule als absonderlicher Freak abgestempelt ist. Norman hat sich mit seiner Rolle als Sonderling abgefunden, doch dann erfährt er, dass er dank seiner außergewöhnlichen Gabe der Einzige ist, der seine Heimatstadt vor einer Invasion der Untoten bewahren kann, die mit einem jahrhundertealten Fluch zusammen hängt.
Klingt nicht gerade wie der Stoff für einen Animationsfilm? Stimmt, zumindest wenn man Animationsfilme vornehmlich als Kinder-Genre begreift und seine Lehrjahre nicht unter Henry Selick verbracht hat, dem maßgeblichen Mastermind hinter den skurrilen Stop-Motion-Meisterwerken „A Nightmare before Christmas“ und „Coraline“. An beiden Filmen wirkte auch Chris Butler mit, und in deren Geist und Tradition steht nun auch sein Debüt als Regisseur und Autor, eine witz- und ideenreiche Freakshow, die trotz ihrer jungen Protagonisten ganz sicher kein Kinderprogramm ist, sondern ein monstermäßiger Spaß für Große, besonders solche mit einer herzlichen Affinität zum Horror-Genre.
Unterstützt durch seinen Co-Regisseur Sam Fell (zuvor tätig bei den legendären Stop-Motion-Pionieren von Aaardman Animation und dort Regisseur ihres dritten Langspielfilms „Flutsch und weg“) vermengt Butler klassische Horrorfilm-Motive mit einem ordentlichen Schuss ironischer Persiflage, und wie liebevoll und zugleich augenzwinkernd er dabei vorgeht, macht bereits der Zombiefilm-im-Film deutlich, den Norman sich in der Eröffnungsszene mit seiner toten Oma ansieht. Ähnlich ideenreich, detailfreudig und mit großem Spaß am Morbiden geht es weiter – kongenial das Sammelsurium an Geistern, denen Norman auf seinem alltäglichen Schulweg guten Tag sagt, von einem Weltkriegs-Fallschirmspringer, der in einem Baum gelandet ist und von einem Ast aufgespießt wurde über einen Mafioso mit einem Betonklotz an den Füßen bis hin zu einem Vogel, den die Plastikringe eines Bier-Sixpacks erdrosselt haben.
Gut, das ist sicherlich kein Humor für Jedermann, aber in diesen Film werden sich ohnehin nur Zuschauer mit gewissem Hang zum Skurrilen und Absonderlichen verirren – schon allein, weil Stop-Motion-Animation es bedauerlicherweise bisher nicht geschafft hat, vom Mainstream-Publikum akzeptiert zu werden. Wen die Eigenwilligkeit von „ParaNorman“ nicht abschreckt, sondern den besonderen Charme seiner schrägen Optik zu schätzen weiß, wird hier jedenfalls großes Vergnügen haben und bestens unterhalten werden. Zumal Butler seine Erzählung mit gekonntem Pacing und einem hübschen Story-Twist im letzten Drittel konsequent vorwärts treibt und es darum keine Sekunde langweilig wird, auch dank des immer wieder eingestreuten, clever-ironischen Humors. Gelegentlich beweist „ParaNorman“ sogar wahres komisches Genie, besonders in einer brillanten Szene, in der Norman einem Korpus in Leichenstarre ein Buch zu entringen versucht.
Vor allem Horror-Fans, die dem Genre ähnlich intensiv verbunden sind wie es Butler zu sein scheint, werden an „ParaNorman“ ihren ganz besonderen Spaß haben dank der vielen kleinen eingestreuten Genre-Zitate, wie z.B. Normans Handy-Klingelton – das legendäre Synthesizer-Motiv aus „Halloween“. Der markante Synthi-Sound aus diesem und diversen anderen Klassikern von John Carpenter zieht sich wie ein roter Faden durch den gesamten, verspielten Soundtrack von „ParaNorman“, der seinen Teil dazu beiträgt, dass man sich hier als Filmfreund herrlich wohlfühlt angesichts einer solch offensichtlichen Herzblut-Hommage aus der Hand wahrer Liebhaber einer spezielleren Sorte Kino.
Und auch in ganz moderner Hinsicht beweist „ParaNorman“ außergewöhnliche Stärke, indem er sich die derzeit so überstrapazierte 3D-Technologie sehr überzeugend zunutze macht und diese sinn- und wirkungsvoller einsetzt als die allermeisten, unnötig zum „3D-Event“ aufgeblasenen Blockbuster.
Das einzige, was hier ein wenig aus dem Rahmen fällt, ist der Showdown, der in sich zwar durchaus gut funktioniert, in Relation zum restlichen Film jedoch etwas aufgeblasen-überdramatisch und verlabert erscheint. Dieser kleine Schönheitsfehler tut dem überaus positiven Gesamteindruck aber keinen Abbruch, und in einem Jahr, in dem die etablierten Animations-Heldenwerkstätten Aardman und Pixar eher enttäuschten, verdient sich „ParaNorman“ damit das Gütesiegel des (bis dato) besten Animationsfilms des Jahres.
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