14 Jahre ist es her, dass die Animationsschmiede Pixar mit ihrem ersten Kinofilm das Trickfilm-Genre revolutionierte und das digitale Zeitalter der Computeranimation einläutete. Nun gilt es, ein kleines Jubiläum zu feiern, denn nach "Toy Story", "Das große Krabbeln", "Toy Story 2", "Die Monster-AG", "Findet Nemo", "Die Unglaublichen", "Cars", "Ratatouille" und "WALL-E" kommt mit "Up" nun der zehnte Pixar-Film in die Kinos - und läutet wiederum eine neue Ära ein, denn er ist der erste Pixar-Film in 3-D. Ansonsten jedoch reiht sich "Up" perfekt in das Pixar-Gesamtwerk ein, und das heißt dank der Eigenansprüche dieser der Konkurrenz seit eh und je weit überlegenen Firma, dass hier erneut nicht weniger als der vielleicht beste Film des Jahres wartet.
Tatsächlich ist Pixar spätestens seit "Ratatouille" in Sphären vorgestoßen, an die andere Animationsstudios nicht einmal zu denken wagen (oder wer sonst würde sich trauen, eine Ratte oder einen stimmlosen Roboter zum Helden eines Films zu machen), hat man ein Level an Perfektion und Brillanz in filmischem Erzählen erreicht, der Cineasten vor Verzückung das Atmen vergessen lässt. Dass Pixar-Produktionen längst zum qualitativen Gipfel des zeitgenössischen Kinos gehören, hat man inzwischen auch in Cannes verstanden, jener Heimstätte der ästhetisch-anspruchsvollen Filmkunst. Als erstem Animationsfilm überhaupt wurde "Up" dieses Jahr die Ehre zuteil, die ehrwürdigen Filmfestspiele dort zu eröffnen. Eine verdiente Würdigung für einen Film, der wie seine direkten Vorgänger auf absolut bezaubernde Art und Weise das uralte Versprechen des Kinos wahr macht: Das Publikum an einen Ort zu entführen, an dem es noch nie gewesen ist.
Wie schon bei "WALL-E" verbietet es sich eigentlich auch bei "Up", inhaltlich mehr als das ganz grundsätzliche Szenario der Geschichte zu verraten, da man sonst unweigerlich entscheidende Wende- und Höhepunkte des Films aufdecken würde. Ein Film, der es schafft, sein Publikum schon in den ersten fünf Minuten sowohl herzhaft lachen zu lassen als auch zu Tränen zu rühren, hat es sich verdient, dass man nicht mehr über ihn ausplaudert, als vom Filmplakat her ersichtlich ist. Drum nur soviel: Der Held des Films ist der 78-jährige, grantelige Carl Fredericksen, der auf seine alten Tage beschließt, sein Haus mit Hilfe von etlichen Luftballons in ein Fluggerät zu verwandeln. Warum er das tut und wohin er damit möchte, hat etwas mit seiner bittersüßen, anrührenden Lebensgeschichte zu tun, die der Film in seinen Anfangsminuten in kongenialer filmischer Erzählung präsentiert - und die einfach zu schön aufbereitet ist, um hier zerredet zu werden.
Es ist und bleibt der Kern des Pixarschen Erfolgsgeheimnisses, dass man in dieser Firma immer den Ehrgeiz und den Eigenanspruch hat, dass absolut Beste aus den eigenen Filmen zu machen. Genau deshalb hat man sich auch noch nie auf einer guten Konzeptidee ausgeruht, sondern immer versucht, sein Publikum nicht nur am Anfang eines Films, sondern über die ganze Laufzeit immer wieder zu überraschen. Nicht anders hier: "Up" könnte nach einer knappen halben Stunde bereits vorbei sein - stattdessen geht der Film dann erst richtig los, gerade wenn man sich als Zuschauer fragt, wie der Geschichte jetzt noch neue Seiten abgerungen werden sollen. Aber das schier unendliche Einfallsreichtum der Kreativleute von Pixar (in diesem Fall vornehmlich Pete Docter und Bob Peterson, die zuvor die "Monster-AG" maßgeblich angeschoben hatten) liefert mit so gewohnter wie nach wie vor erstaunlicher Verlässlichkeit immer wieder Momente und Wendungen, die einen in blankes Staunen versetzen.
Das Streben dieser außergewöhnlichen Produktionsfirma, immer besser werden zu wollen, ist auch bei "Up" wieder evident - dessen deutscher Titel übrigens ein schlichter Übersetzungsfehler ist und drum hier konsequent ignoriert wird, denn der Originaltitel meint eine Bewegungsrichtung (er fliegt hoch) und keinen Ort (er will nach oben). In Sachen Animationsqualität und Erzählkunst ist Pixar inzwischen auf dem absoluten Zenit angekommen, nun schickt man sich an, auch in Sachen der filmischen Inszenierung mit den größten Künstlern des Kinos gleichzuziehen. Es mag etwas bizarr klingen, diese Begriffe in Verbindung mit einem Animationsfilm zu verwenden, aber was Kameraarbeit, Lichtsetzung und Produktionsdesign betrifft, gelingt es "Up", sogar im Vergleich zu Pixars letztjährigem Schaffenshöhepunkt "WALL-E" noch einen drauf zu setzen.
Die 3D-Technik leistet natürlich ebenfalls ihren Beitrag, "Up" zu einem außergewöhnlichen visuellen Erlebnis zu machen, die gute Nachricht ist jedoch, dass die Pixar-Leute nicht denselben Fehler wie die meisten bisherigen 3D-Streifen gemacht und ihren Film einzig auf diesen visuellen Gimmick hin ausgerichtet haben. Die Dinge bewegen sich hier immer noch zumeist von links nach rechts über die Leinwand, nicht von hinten nach vorne. Aus reinem Selbstzweck integrierte Schaueffekte für die 3D-Brille sucht man hier vergebens - zum Glück. So bleibt "Up" auch in Kinos ohne 3D-Technik ein uneingeschränktes Sehvergnügen und die 3D-Version lediglich ein besonderes Sahnehäubchen oben drauf für die Zuschauer, die in ihren Genuss kommen können.
Bei Pixar ist und bleibt eben alles dem Dienst an der Geschichte verschrieben, von den zum Teil wirklich atemberaubenden Landschaftsaufnahmen von Carls Reiseziel bis hin zu den erneut zahllosen kleinen Ideen und Witzen, die auch "Up" wieder zu einer reinen Freude und höchst unterhaltsamen Kinospaß machen. Wie allein ein banaler Gegenstand wie Carls Hörgerät immer wieder zur Quelle großartiger Gags wird, ist ein Paradebeispiel dafür, wie die Pixar-Crew aus den simplen Eigenarten ihrer Helden ein scheinbar unerschöpfliches Reservoir für hinreißend-komische Filmmomente zaubert.
Im Endergebnis liefert damit auch das zehnte Pixar-Abenteuer das ab, was man von dieser Firma inzwischen beinahe wie selbstverständlich erwartet: in jeder einzelnen Minute steckt mehr Einfallsreichtum und pure Freude am filmischen Erzählen als in der Gesamtlaufzeit der meisten anderen Filme. Und wenn es vorbei ist, schwebt man irgendwo zwischen atemberaubender Glückseligkeit, etwas derart Wundervolles erlebt zu haben, und bittersüßer Traurigkeit, dass es leider schon wieder vorbei ist.
Dieser ganze Text mag wie eine ungebremste, überschwängliche, fast schon euphorische Lobeshymne klingen, der es augenscheinlich ein wenig an objektiver Ausgewogenheit fehlt. Aber das genau ist der Punkt, das genau macht Pixar zu solch einer Ausnahmeerscheinung, einem historisch einzigartigen Glücksfall für alle Cineasten dieser Welt: Dass man Jahr für Jahr mit der vollen Erwartung in den neuen Pixar-Film geht, etwas absolut Außergewöhnliches, nie da Gewesenes zu sehen, einen der fraglos besten, wenn nicht DER beste Film seines Jahrgangs. Und dass diese Erwartung dann ohne irgendwelche Abstriche erfüllt wird - das gibt es einfach nirgendwo sonst in der wundervollen Welt des Kinos. Und solange sich daran nichts ändert, gibt es hier auch nichts anderes als die Höchstwertung. Pixar = Perfektion. Punkt.
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