Alfred Hitchcock hatte einen Traum: Einen Film zu machen mit nur einer Kameraeinstellung, einem Handlungsort (nämlich einer Telefonzelle) und zwei Protagonisten. Hitch revolutionierte so ziemlich alles, was es filmisch gab, aber diesen Traum konnte er sich denn doch nicht erfüllen. Was das alles jetzt mit "Nicht auflegen!" zu tun hat? Nun ja, dieser Film hat sich quasi diese Idee genommen und etwas aufgepeppt, Hollywoodstyle. Alles ein bisschen größer, protziger, abgeschmackter und blöder. Und wen suchte man sich, um die großen Fußtapfen von Hitchcock zu füllen? Meine Damen und Herren, den Mann, der Batman filmisch ermordete - Please welcome Mr. Joel Schumacher.
Doch halt, bevor wir über die Verantwortlichen ein weiteres Wort verlieren, zurück zur Telefonzelle. Um die geht es nämlich (wie der Originaltitel "Phone Booth" auch verkündet) als einzigem wirklichen Schauplatz in diesem Thriller. Diese eine Telefonzelle mitten in New York wird von dem arroganten PR-Agenten Stu Shepard (Colin Farrell) besetzt - allerdings wesentlich länger und ganz anders als er sich das vorgenommen hat. Denn der Mann am anderen Ende der Telefonleitung (Kiefer Sutherland) hat ein Zielfernrohr auf ihn gerichtet. Sollte Stu seinen Anweisungen nicht genau folgen oder den zufällig angenommenen Anruf beenden und auflegen, wird er sterben. Als schließlich auch noch die Polizei unter Führung von Captain Ramey (Forest Whitaker) eintrifft, drohen die Dinge außer Kontrolle zu geraten...
So weit das Szenario, das sich Drehbuchschreiber Larry Cohen ausgedacht hat, frei nach dem Motto "keep it simple". Nur mit der im Hitchcockschen Plan vorgesehenen Reduzierung auf das Nötigste ist es hier schon längst vorbei. Es gibt jede Menge Figuren, und Schumacher daddelt mit allerlei visuellen Ornamenten herum: Split Screen, Bild im Bild, die in "Waking Life" angewandte Animationstechnik, und und und. Was hier nicht alles für ein Aufwand betrieben wurde. Und das Ergebnis?
Scheiß auf diesen Film.
Scheiß drauf, dass das Ganze trotz manch effektheischender optischer Spielerei routiniert in Szene gesetzt wurde. Scheiß drauf, dass man Colin Farrells Potenzial endlich mal wirklich erahnen kann und er seine momentane Position als Hollywoods "It-Boy" wenigstens ein bisschen rechtfertigt. Scheiß drauf, dass dieser Film einen über seine kurze Laufzeit zwangsläufig ordentlich bei der Stange hält. Denn ausnahmsweise geht es nicht ums Wie, sondern ums Wofür. Und wer diesen Film so abliefert, hat keine mildernden Umstände verdient. Denn aller ungeachteten handwerklichen Routine zum Trotz ist dieser Film so moralisch bankrott; so ethisch abzulehnen, dass man ihn zurück in den Limbo wünscht.
Dorthin wurde "Nicht auflegen!" nämlich verbannt, nachdem der Sniper von Washington im letzten Herbst dem US-Start einen gehörigen Strich durch die Rechnung machte. Die Bilder von unschuldig exekutierten Passanten waren noch zu frisch, da wollte man einen Film mit diesem Thema nicht aufs Publikum loslassen.
Ach, hätten sie es doch dabei belassen. Denn, so sagt man sich offenbar auf Seiten des Verleihs hier, der Mensch vergisst schnell, und nach einem halben Jahr Kondolenzzeit kann ja auch mal gut sein mit Trauer und Empörung. Also her mit dem Popcorn und auf zum Beiwohnen vom fröhlichen Unschuldige erschießen! Normalerweise sind diese Verschiebungen aufgrund aktueller Ereignisse übervorsichtig und unbegründet, hier hat man es genau richtig gemacht. Fast. Denn wenn man diesen Film gleich komplett und auf Nimmerwiedersehen in einem Giftschrank von 20th Century Fox eingeschlossen hätte, es wäre für alle besser gewesen. Denn so sucht einen dieser bis auf die Knochen zynische und verkommende Film doch noch heim, with a vengeance.
Dabei geht es nicht einmal um den Heckenschützen und seine wahnsinnige Mordserie, und nicht um übertriebene Sensibilität. Dieser Film wäre immer ärgerlich und abzulehnen, ob mit realer Entsprechung oder nicht. Nein, es geht einfach und allein um die Art, wie dieser Film sensationsgeil, voyeuristisch und herzlos menschliches Leiden als Unterhaltung verkaufen will. Denn die durch "Nicht Auflegen!" vertretene Logik hat weder Achtung für das Leben seiner Figuren noch für menschliches Leben im Allgemeinen. Frei nach dem Motto "Da wir Farrells Yuppiecharakter in den ersten zehn Minuten als unsympathischen Arsch gekennzeichnet haben, hat er das offensichtlich schon verdient, was der Sniper mit ihm anstellt" wird hier verfahren.
Die sadistischen Spielchen, die der Anrufer mit Stu spielt, zielen teilweise so offensichtlich auf Lacher aus dem Publikum ab, dass man fassungslos ist. Wer auch immer in den Chefetagen dieses Szenario als gute Unterhaltung anpries, gehört in die Geschlossene. Das Drehbuch heuchelt Sympathie mit Stu, seiner Frau und den anderen Opfern vor und hat doch weder Sympathie noch Mitleid für sie, nur hämische Schadenfreude. Denn diese verquere Logik vertritt der Film: Stu hat sich schuldig gemacht, er muss gedemütigt und geläutert werden. Der Killer als Erziehungsinstrument, das gab es zuletzt in den miesen Slasher-Streifen der frühen 80er. In diesen Filmen war aber die exploitation wenigstens offen zur Schau gestellt, wie auch Frauenknastfilme und Softpornos wenigstens ehrlich spielten. "Nicht Auflegen!" ist da anders, perfide und verlogen, versucht sich mit dem üblichen Hollywoodverlauf zu tarnen. Aber wenn Stu dann endlich seinen lang erwarteten emotionalen Zusammenbruch hat, weinend seine Fehler eingesteht und um Verzeihung bittet und dazu dann sanfte Pianoklänge erklingen, da erkennt man endgültig die verdrehte Moral dieses Streifens und möchte eigentlich nur noch gehen. Oh, und übrigens: Die "Sünden" von Stu sind Dinge, wie sie jedermann jederzeit begehen könnte. "Niemand ist unschuldig" sagt der Anrufer. Soll heißen: Eigentlich könnten sie alle völlig legitimiert vor seiner Waffe herumlaufen, eigentlich verdienen sie alle eine Kugel in den Kopf.
Und als wäre all dies nicht schon schlimm genug, entblödet sich der Film nicht einmal, seine verquere und zutiefst fragwürdige Moral auch noch offen zu deklarieren. Wenn nämlich zum Schluss der Killer noch erklärt, warum seine Motive eigentlich ganz humanistisch und wohlwollend sind, dann reicht es wirklich und man möchte nur noch schreien - oder aber Dinge gegen die Leinwand werfen, allen voran Drehbuchautor Cohen und Regisseur Schuhmacher, denn dies ist die endgültige Bankrotterklärung für beide. Humanistische Motive? Was für ein Hohn. Denn menschenfreundlich ist an diesem Film nichts, aber auch gar nichts. Zynischer und menschenverachtender ist seit sehr langer Zeit kein anderer Streifen mehr dahergekommen. Ein unsensibles, unmenschliches und dummes Machwerk. Wenn hier etwas exekutiert gehört, dann ist es dieser Film.
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