In meinem Kopf ein Universum

Originaltitel
Chce sie zyc
Land
Jahr
2013
Laufzeit
108 min
Genre
Release Date
Bewertung
7
7/10
von Matthias Kastl / 9. April 2015

Mit der FamilieMit “Die Entdeckung der Unendlichkeit“ kam vor wenigen Monaten die bewegende Geschichte des schwerbehinderten aber brillanten Physikers Stephen Hawking in die Kinos. Der Oscar für den besten Hauptdarsteller folgte und vielleicht haben wir es ja indirekt Hollywood zu verdanken, dass nach den Festivalerfolgen vor zwei Jahren nun auch ein deutscher Verleiher endlich den Mut gefunden hat, der ähnlich gelagerten Hauptfigur des polnischen Films “In meinem Kopf ein Universum“ eine Chance zu geben. Der schwerbehinderte Mateus mag zwar kein genialer Populärwissenschaftler sein, Regisseur und Drehbuchautor Maciej Pieprzyca gelingt es aber trotzdem, wenn auch nach ein paar deutlichen Anlaufschwierigkeiten, dessen Lebensgeschichte zu einem durchaus bewegenden Film zu machen.
 

Mateus (Dawid Ogrodnik) leidet an einer zerebralen Bewegungsstörung und kann nicht nur seinen Körper kaum kontrollieren, sondern vor allem auch nicht mit seiner Umwelt kommunizieren. Mit der ärztlichen Versorgung ist es Ende der 80er Jahre in Polen auch nicht so weit her und so ist es lediglich die eigene Familie, die Mateus versucht ein lebenswertes Dasein zu ermöglichen. Doch auch hier herrscht nicht nur eitel Sonnenschein, denn während Mutter (Dorota Kolak) und Vater (Arkadiusz Jakubik) ihrem Sohn manch große Freude bereiten können, reagiert die eigene Schwester (Helena Sujecka) mit Abneigung und Unverständnis auf Mateus Krankheit. Je älter Mateus wird umso schwieriger wird die Situation für die Familie – insbesondere für die immer stärker überforderte Mutter. Und Mateus, der die Probleme in seinem Umfeld sehr wohl registriert, ist zunehmend frustriert darüber, seine Gefühlswelt nicht mit seinen Mitmenschen teilen zu können.

 

Mateus“Er ist nur Gemüse“ urteilt eine auf der Sympathie-Skala sehr weit unten angesiedelte Ärztin zu Beginn des Films über Mateus. Das sind harsche Worte, die man natürlich auch ein wenig im Kontext der damaligen Zeit sehen muss. Das Polen der 80er Jahre stand nicht gerade für Fortschritt und Offenheit - gleich zu Beginn freut sich die Familie von Mateus so zum Beispiel über ein Waschmittelpaket aus der ach so fortschrittlichen Bundesrepublik Deutschland. Doch auch wenn man die Zeit berücksichtigt, wirken die Reaktionen auf Mateus und seine seltene Krankheit im ersten Drittel des Films schon sehr arg schwarz-weiß gezeichnet. Entweder die Menschen begegnen Mateus mit kompletter Abneigung oder mit herzergreifender Zuneigung – dazwischen gibt es nicht viel. Die Dialoge wirken ebenfalls ein bisschen hölzern und der Versuch etwas Humor in die Geschichte zu injizieren wirkt auch eher krampfhaft bemüht als locker. Als dann Mateus, dessen Geschichte auf einer wahren Begebenheit beruht, auch noch eine seiner wichtigsten Bezugspersonen auf tragische Weise verliert, wird ausgerechnet dieser Moment dann auch noch mit einer großen Portion magischem Realismus präsentiert. Das grenzt dann doch schon sehr an Kitsch und so findet der Film im ersten Drittel einfach nicht wirklich eine stimmige Mischung aus all diesen Elementen. Er scheint sich nicht entscheiden zu können, wie er denn die tragische Lebensgeschichte seiner Hauptfigur nun angehen soll.

Glücklicherweise scheint das aber auch Regisseur und Drehbuchautor Maciej Pieprzyca zu merken und der Film wird nach einer Weile deutlich geerdeter. Der Humor ist nun weniger gekünstelt und alles wirkt eine Spur ernsthafter und weniger verspielt. Ohne unnötige Ablenkungen kann man sich nun als Zuschauer endlich besser auf die faszinierende Hauptfigur konzentrieren und wird von Minute zu Minute mehr gepackt von der Leistung Dawid Ogrodniks. Natürlich bietet diese Rolle eine sehr dankbare Gelegenheit um zu glänzen, aber die muss man auch erst einmal nutzen. Dabei ist es weniger die körperliche Leistung Ogrodniks, die es zu loben gilt, sondern vor allem die Tatsache, dass er es schafft, die Figur nicht zu bemitleidenswert erscheinen zu lassen. Sein Mateus ist ein Sturkopf mit Ecken und Kanten, der genauso offen und freundlich wie ablehnend und patzig daherkommen kann. Genau diese Dreidimensionalität sorgt erst dafür, dass wir tatsächlich mit der Figur mitfühlen, weil sie eben nicht wie ein eindimensionaler Gutmensch daherkommt. Und das erreicht Ogrodnik nicht einfach nur durch die süffisanten Kommentare seiner gelegentlich einsetzenden Off-Stimme, sondern vor allem auch durch seine Mimik. Je mehr Zeit man mit ihm verbringt, desto deutlicher wird, dass diese Figur viel komplexer ist als es ihr Umfeld wahrhaben möchte.

Mateus und ein Moment der FreudeDer Film nimmt sich für Mateus auch wirklich sehr viel Zeit. Zeit, in der die Hauptfigur immer wieder einer Mischung aus kleinen Freuden und großer Frustration ausgesetzt ist. Letztere überwiegen mit der Dauer und sorgen, in Kombination mit dem oft tristen und grauen Umfeld, für eine oft schon sehr bedrückende Atmosphäre. Verstärkt wird diese noch durch die sehr nüchterne Inszenierung und den unaufgeregten Soundtrack. Genau diese bedrückende Atmosphäre ist aber notwendig, denn nur so gelingt es dem Film die emotionale Basis für einen wirklich bewegenden Schluss zu legen. Denn nur wer den Frust der Hauptfigur auch wirklich spüren und nachvollziehen kann, ist in der Lage das Ende des Films zu “genießen“. Auch wenn es sich vielleicht etwas zynisch anhört, aber in Bezug auf den Zuschauer hat sich am Ende das “Leiden“ gelohnt. Man muss nicht nahe am Wasser gebaut sein um am Schluss mit einer Träne in den Augen aus dem Kinosaal zu kommen.

 

“In meinem Kopf ein Universum“ geht am Ende unter die Haut und hat sich aufgrund der deutlich stärkeren zweiten Hälfte diese Emotionen auch verdient. Es ist ein Film, der sein Herz am rechten Fleck hat, auch wenn er ein bisschen Anlauf braucht um dieses zu entdecken.

Bilder: Copyright

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