Mediterranea

Originaltitel
Mediterranea
Jahr
2015
Laufzeit
107 min
Release Date
Bewertung
8
8/10
von Volker Robrahn / 16. Oktober 2015

Es hätte des noch eilig angehängten Untertitels „Refugees Welcome?“ gar nicht gebraucht um auch auf den ersten Blick erkennen zu lassen, dass der Film „Mediterranea“ von Jonas Carpignano natürlich brandaktuell ist, auch wenn er eine Geschichte aus dem Jahr 2010 erzählt. Denn seitdem hat sich der Strom der Flüchtlinge zwar noch dramatisch verstärkt, doch dürften viele einzelne Biographien nach wie vor ähnlich verlaufen, wie die Erlebnisse zweier Afrikaner aus Burkina Faso in ihrer italienischen „Wahlheimat“ Kalbarien. Zwischen Hilfe und Ausnutzung, Hoffnung und Enttäuschung spielt sich deren Alltag ab, kulminiert hier jedoch in einem wütenden Akt der Befreiung.

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Alles soll besser werden für Ayiva (Koudous Seihon) im gelobten Kontinent Europa. Um die wirtschaftliche Existenz nicht nur für sich sondern vor allem auch für seine Schwester und Tochter zu sichern, bricht er gemeinsam mit seinem besten Kumpel Abas (Alassane Sy) auf und erlebt schon auf dem Weg nach Libyen erste Gewalttaten gegen seine Begleiter. Auch die Fahrt auf einem ungenügend ausgestatteten Flüchtlingsboot überleben nicht alle, nur mit Glück schafft es Ayiva an die italienische Küste. Dort trifft er zwar bald seinen alten Freund Mades (Adam Gnegne), muss aber auch feststellen, dass für Arbeitswillige ohne gültige Papiere nur der Weg in eher zweifelhafte und bestenfalls halblegale Beschäftigungsverhältnisse bleibt. Während der stolze Abas versucht sich dem entwürdigenden Dienst auf einer Orangenplantage zu verweigern, fügt sich Ayiva in sein Schicksal und stellt das finanzielle Wohl seiner Familie über alle Zweifel. Doch als es zu Todesfällen unter den Arbeitern kommt und die Unruhe wächst, muss auch er sich schließlich entscheiden.

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„Mediterranea“ ist keine Dokumentation, auch wenn sie sich wie eine gibt. Mit Handkamera immer nah an den Akteuren erzählt Regisseur Carpignano seine Geschichte aber dann doch mit den Mitteln des Spielfilms. So ist das Geschehen zwar letztlich inszeniert, doch lassen die visuelle Umsetzung und der dokumentarische Stil - der meist ohne Musikuntermalung arbeitet - es stets sehr real wirken. Dazu trägt auch das „Spiel“ der Darsteller bei, das deshalb in Anführungsstriche gesetzt gehört, weil auch in diesem Punkt die Grenzen zwischen professioneller Schauspielerei und dem Einsatz von Laien fließend sind. So spielen sich viele Flüchtlinge in den Nebenrollen selbst und Hauptdarsteller Koudos Seihon hat die geschilderten Unruhen selbst miterlebt. Gleiches gilt für den Mann hinter der Kamera, denn Jonas Carpignano stammt selbst aus der Region Kalabrien und hat die gleiche Geschichte auch bereits schon vorher in einem Kurzfilm verarbeitet.

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Obwohl es mit dem finalen Aufstand der sich gegen die Misshandlungen zur Wehr setzenden Arbeiter eine Art „actionreichen“ Höhepunkt gibt, sind dies nicht die stärksten und eindrucksvollsten Momente in „Mediterranea“. Denn viel bedrückender wirken die ganz alltäglichen Szenen, zwischen kräftezehrender Arbeit und dem abendlichen Abhängen mit den Freunden (was hier vorwiegend zur Musik der omnipräsenten Künstlerin Rihanna geschieht) sowie das stete Wechselspiel zwischen gelegentlicher Hilfsbereitschaft und dem immer wieder unterschwellig oder auch ganz offen zu spürenden Rassismus.

Es dürfte sehr viele Fälle geben, in denen die Freunde und Bekannten, die es nach Europa geschafft haben, dann etwas zu sehr geschönte Berichte und Fotos in die Heimat schicken um selbst ein wenig besser da zu stehen. Wenn dann die Verwandten nachkommen, bricht dieses Kartenhaus zusammen und trifft auf die oft sehr traurige Realität. Die modernen sozialen Medien sind hier fast allgegenwärtig, es wird über Handy und Facebook gesprochen und geschrieben und Verhandlungen über fehlende Stecker oder Ladekabel sind von existentieller Bedeutung. Auch das zeichnet sicher ein realistisches Bild der Situation und hat trotzdem rein gar nichts mit irgendeinem Anflug von „Luxus“ zu tun, wie er an den Stammtischen gerne unterstellt wird.

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Die Beziehung zwischen den beiden Hauptcharakteren bleibt dagegen etwas diffus, vor allem über Abas Innenleben erfahren wir eher wenig. Koudos Seihon vermittelt da überzeugender den Zwiespalt zwischen dem Bewusstsein, unangemessen behandelt zu werden, und dem Bemühen sich trotzdem lieber zu fügen und anzupassen. Letzteres führt dann so weit, dass er sich mit der Tochter seines Bosses anfreundet und schließlich sogar bei dessen Familie mit am Tisch sitzt – bevor ihm schließlich wieder die Grenzen der Freundlichkeit und Akzeptanz für Seinesgleichen deutlich gemacht werden.

Es ist eher Zufall, dass „Mediterranea“ genau jetzt in unsere Kinos kommt, aber es ist natürlich ein wichtiger Film zur rechten Zeit. Der seinen Beitrag dazu leistet, die Beweggründe und die diffizile Situation praktisch jeder einzelnen Flüchtlingsbiographie etwas verständlicher zu machen – ganz egal aus welchem Land sie nun genau kommen und in welches es sie verschlägt.

Bilder: Copyright

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