Leben in mir

Originaltitel
Ono
Land
Jahr
2005
Laufzeit
94 min
Genre
Release Date
Bewertung
7
7/10
von Patrick Wellinski / 27. Februar 2011

Auch wenn es hart klingt: Man kann das Todesjahr von Krzystof Kieslowski gleichsetzen mit dem Untergang des polnischen Kinos auf den internationalen Leinwänden. Die Zeiten, in denen Filme von Wajda oder Munk regulär in den ausländischen Kinos liefen, sind vorbei. Die ganze Filmkultur eines Landes, das sich gerade zur Jahrtausendwende politisch und sozial höchst wichtigen Veränderungen unterzog, fiel in eine graue Endlosschleife aus klassischen Literaturverfilmungen und seichten Komödien mit der Tendenz zur Belanglosigkeit. Doch jetzt, zehn Jahre später, spürt man deutliche Fluchtversuche, vor allem bei jungen Filmemachern. Sie versuchen die aktuelle polnische Realität in ihren (Kino)Geschichten zu verarbeiten, und finden neue, frische Bilder. Diese Tendenz begann im Januar 2005, als der Debütfilm der jungen polnischen Regisseurin Malgorzata Szumowska zuerst das Publikum des Sundance Filmfestivals begeisterte und dies dann im Februar auf der Berlinale wiederholte. Jetzt kommt "Leben in mir" endlich in die deutschen Kinos.

Ewa (Malgorzata Bela) lebt mit ihren Eltern in einer polnischen Kleinstadt. Sie arbeitet in einer Tankstelle, und auch ansonsten hat sie wenig zu lachen. Von ihrer nörgelnden Mutter getriezt und vom verträumten Vater ignoriert, entdeckt Ewa, dass sie schwanger ist. Der Vater ihres Kindes ist über alle Berge. In dieser Lage kommt sie schnell zum Entschluss, dass sie das Kind nicht bekommen möchte. Das für die Abtreibung benötigte Geld klaut sie von zu Hause. Aber auf dem Weg zum Arzt wird sie ihrerseits Opfer eines Diebstahls. In ihrer Wut und Verzweiflung erfährt sie von einer Ärztin, dass die Kinder im Mutterleib ihre Umgebung schon "hören" können. Diese scheinbar banale Information schafft es, in Ewa neue Lebensgeister zu wecken. Sie entscheidet sich, ihrem ungeborenen Kind die ganze Schönheit des Alltags und damit die Wunder des Lebens zu erzählen.

Am Anfang sind es die Augen. Es sind die durchsichtig schimmernden Augen des ehemaligen Modells Malgorzata Bela, die einen faszinieren und in ihren fast schon madonnenhaften Bann ziehen. Genau ihren Leidensweg soll der Zuschauer mitgehen. Und sie nimmt uns mit: Zum korrupten Arzt, der ihr nur für eine gewisse Anzahlung "helfen" will. Durch die dunklen Straßen, wenn sie mit sehr viel Neugier aber auch mit einer gewissen Angst einen jungen Drogendealer verfolgt. Sie verliebt sich in ihn. Es scheint, als sei sie ihrer eigentlich trostlosen Lage entflohen. Drohende Arbeitslosigkeit, familiäre Perspektivlosigkeit, all die Dinge, die sie bisher umgaben, scheinen jetzt weit weg und nicht mehr relevant.

Die Atmosphäre des Films ist sehr poetisch, fast schon philosophisch. Über viele Szenen legt die Regisseurin klassische Musik, was ihnen eine träumerische Tiefe verleiht. In diesen Momenten fallen Sätze wie der des Vaters, wenn er auf Ewas Frage, wann denn das ungeborene Leben beginnt, antwortet: "Wenn es anfängt zu hören". Doch diese Augenblicke sind selten. Oft neigt die Geschichte eher zum Kitsch, wie zum Beispiel dadurch, dass Ewa, immer wenn sie mit ihrem Kind spricht, direkt in die Kamera guckt.
Das ist rein handwerklich betrachtet eher unbeholfen und vielleicht auf die mangelnde Erfahrung der jungen Debütantin zurückzuführen. Dennoch erzählt Szumowska durchaus interessant, klar und strukturiert. Sie lässt aber den erforderlichen Mut vermissen, der bei dieser Geschichte angebracht wäre. Konflikte oder Probleme werden nur angerissen. Eine direkte Verbindung zur aktuellen gesellschaftlichen Lage Polens schafft sie nicht.

So muss Ewa bald erkennen, dass die Welt, von der sie ihrem Kind die ganze Zeit berichtet, gar nicht existiert. Dies wird in der vielleicht eindrucksvollsten Szene des Films deutlich: Auf der Suche nach dem Junkie Michal findet sich Ewa in einem Underground-Gothic-Club wieder, wo ein Mann mit engelhafter Stimme eine bittersüße Hymne singt, ein Requiem. Der Titel: "It is time to say Goodbye". Der Abstieg der schwangeren Ewa beginnt.
Dadurch, dass Malgorzata Szumowska die Geschichte in einem märchenhaften Erzählton schweben lässt, kann man die Wege der Protagonisten nicht immer nachvollziehen. Anstatt die Handlungsweisen ihrer Charaktere verständlich zu machen, flüchtet sie sich in verspielte Überhöhungen. Da vertraut sie zum Beispiel Slow-Motion-Einstellungen mehr als den Verwicklungen ihrer Geschichte. Das schwächt das Sehvergnügen erheblich. Das polnische Kino befindet sich auf dem Wege der Besserung, aber eine polnische Nouvelle Vague liegt noch in weiter Ferne.


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