
Kürzlich lief im ARD-Magazin "Polylux" ein Bericht
über die amerikanische Firma "Real Doll" und die
von diesem Unternehmen angebotenen Puppen. Dabei handelt es sich
nicht etwa um simples aufblasbares Sexspielzeug, sondern um dessen
folgerichtige Weiterentwicklung, nämlich die ersten "anatomisch
korrekten" Puppen für den Hausgebrauch. Diese sind sehr
aufwändig konstruiert sowie von beträchtlichem Gewicht,
und was man mit bestimmten anatomisch korrekten Körperteilen
anstellen kann,
mag sich bitte jeder selbst ausmalen. Trotzdem dienen diese Puppen
aber nicht nur sexuellen Interessen, sondern werden sich in erster
Linie von Leuten zugelegt, die Probleme mit der Nähe und Anwesenheit
anderer Menschen haben und auf diesem Wege versuchen ein wenig ihrer
Einsamkeit zu entgehen. Auch der Drehbuchautorin Nancy Oliver dienten
die Produkte von "Real Doll" als Inspiration zur Geschichte
von "Lars und die Frauen", einem warmherzigen Film der
sich dem Thema auf die sensibelst mögliche Weise nähert.
Lars (Ryan Gosling) ist ein netter Kerl, aber ihn "verschlossen"
zu nennen, wäre eine maßlose Untertreibung. Zwar geht
er zuverlässig seinem Bürojob nach, aber ansonsten verlässt
er kaum mal seine Wohnung, die sich über der Garage des Elternhauses
befindet. Die sind beide bereits tot, die Mutter zudem bei Lars'
Geburt gestorben und im Haupthaus wohnen nur der Bruder Gus (Paul
Schneider) und dessen schwangere Frau Karin (Emily Mortimer). Während
Gus sich schon längst mit dem sonderbaren Verhalten seines
Bruders abgefunden hat, versucht Karin immer wieder, Lars zu Aktivitäten
zu animieren und sei es nur ein gemeinsames Frühstück.
Meistens bleibt sie damit aber erfolglos und um so größer
ist die Überraschung, als Lars eines Abends von selbst an die
Tür klopft, um seine neue Freundin vorzustellen: Bianca, eine
Missionarin aus Brasilien, die leider im Rollstuhl sitzt. Die Gesichtszüge
von Karin und Gus entgleisen zwar zunächst, als sie erkennen
müssen, dass es sich bei Bianca lediglich um eine Puppe handelt,
doch bewahren beide soweit die Fassung Lars zumindest nicht direkt
darauf anzusprechen. Als die erfahrene Psychologin Dr. Berman (Patricia
Clarkson) ihnen den Rat gibt, doch bitte so zu tun, als handele
es sich bei Bianca um eine echte Person, willigt insbesondere Gus
nur nach einigem Widerstand ein. Aber es funktioniert: Die gesamte
Gemeinde spielt schließlich mit und nimmt die schweigsame
Schönheit in ihrer Mitte auf.
Es ändert zwar Nichts daran, dass es eine hübsche Geschichte
ist, aber man kann sich schon recht schnell denken, was hier geschehen
wird. Die Puppe Bianca setzt in der Kleinstadt eine Dynamik in Bewegung,
die ohne sie nie stattgefunden hätte und sorgt dafür,
dass sich auch andere Menschen wieder etwas näher kommen. All
das ist natürlich nur möglich, weil es sich praktischerweise
um ein sehr gutherziges Völkchen handelt, bei dem keiner aus
der Reihe springt, nicht mal der zunächst störrische und
nur unter sanftem Druck mitmachende Gus. Und dies ist dann auch
der Punkt, welcher "Lars und die Frauen" eher zu einem
kleinen Märchen macht, denn in der Realität dürfte
einem Sonderling wie Lars wohl doch etwas mehr Spott und Verachtung
als Verständnis sicher sein, genau wie den oben erwähnten,
tatsächlichen Beziehern einer "Real Doll".
Aber
im Kino möchte man das Herz rühren sowie das Publikum
mit einem positiven Gefühl nach Hause schicken, und das geht
ja auch in Ordnung. Erstens weil man diesem liebenswerten Film für
seine Realitätsferne nicht böse sein mag und zweitens
weil er so sympathisch leise und behutsam inszeniert ist, dass es
sowieso sehr schwer fällt, das Ganze nur mit nüchterner
Sachlichkeit zu betrachten. Also folgen wir der guten Bianca in
die Kirche oder in den Supermarkt und leiden mit, wenn sich ihr
Gesundheitszustand (jedenfalls laut Aussage von Lars) plötzlich
rapide verschlechtert. Denn im Titel ist schließlich von mehreren
Frauen die Rede, und so tritt nach einer Zeit Lars' Kollegin Margo
(Kelli Garner) in den Vordergrund, die sich ein wenig mehr für
den schüchternen jungen Mann interessiert und sich auch von
dessen Begleiterin mit der etwas eindimensionalen Mimik nicht abschrecken
lässt (sprachen wir eigentlich schon über den Realitätsgehalt?).
So geht schließlich alles seinen positiven Gang in der vielleicht
größten Selbsthilfegruppe der Filmgeschichte, und es
bleibt noch ein dickes Kompliment auszusprechen, an Ryan Gosling,
auf dessen Schultern dieser Film hauptsächlich ruht und der
hier erneut mit einer sensiblen und feinen Darstellung glänzen
kann, nachdem er erst vor Kurzem Anthony Hopkins in "Ein
perfektes Verbrechen" - in einem gänzlich anderen
Genre - überzeugend Paroli geboten hat.
Keine derben Scherze also in diesem Film, und auch nicht der richtige für Menschen, die sich vielleicht mal schnell über einen Spinner mit Sexpuppe lustig machen möchten. Ganz im Gegenteil zeigt uns "Lars und die Frauen" vielmehr, wie wir uns alle zu ein wenig besseren Menschen entwickeln könnten. Und das kann man sich ja ruhig mal anschauen, ist schließlich nur ein Film.
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