Königreich der Himmel - Director's Cut

Originaltitel
Kingdom of Heaven
Land
Jahr
2005
Laufzeit
194 min
Regie
Bewertung
von Frank-Michael Helmke / 14. November 2010
Am 4. September 2006 startet 20th Century Fox ein neues DVD-Label mit dem etwas umständlichen Namen "Century³ Cinedition". Unter diesem Namen sollen nun mehrmals pro Jahr neue DVD-Versionen der Extraklasse von Fox-Filmen veröffentlicht werden. Hübsch aufgemacht und mit bestechender Bild- und Tonqualität sowie großen Mengen an Bonusmaterial, sollen diese Neuauflagen mit wenn möglich erweiterten Filmfassungen passionierte DVD-Fans verzücken und zum Kauf animieren. Den Anfang machen unter anderem die erweiterten Versionen von "Daredevil" und den vier "Alien"-Filmen. Das unbestreitbare Sahnestück der ersten Veröffentlichungswelle ist jedoch definitiv der als herausragendes 4-Disc-Set aufbereitete Director's Cut von "Königreich der Himmel" (zu unserer ursprünglichen Rezension geht es >>> hier), eine um 45 Minuten längere Version des Films, die sämtliche Schwächen der Kinofassung beseitigt und im Nachhinein beweist, dass "Gladiator"-Regisseur Ridley Scott mit diesem Film ein noch größeres Meisterstück gelungen ist als mit seinem Oscar-gekrönten Historien-Epos aus dem Jahr 2000.
Große Worte, die der Film zu seiner Rehabilitation allerdings auch verdient hat, denn wie die sehr ausführliche Begleitdokumentation auf den Discs 3 und 4 (der Hauptfilm, mit nun 194 Minuten Laufzeit, erstreckt sich über die ersten beiden) unter anderem veranschaulicht, entstand die kürzere Kinofassung einzig auf Druck des Studios. Das verlangte zum Erreichen einer geringeren Laufzeit und einer mehr auf den Marketing-tauglichen Hauptdarsteller Orlando Bloom fokussierten Handlung Schnitte und Kürzungen, die einer Verstümmelung dieses herausragenden Films gleichkamen. Es ist fast ein bisschen wie bei Scotts "Blade Runner", der seinerzeit auch durchs Studio "massentauglich" verdaulich gemacht wurde, dann im Kino floppte und sich schließlich zehn Jahre später als Director's Cut als jenes visionäre Meisterwerk entpuppte, das sich schon in der Kino-Fassung erahnen ließ. Gott sei Dank mussten wir diesmal nicht so lange warten.

Dass die zusätzlichen gut 45 Minuten aus "Königreich der Himmel" einen anderen Film machen, ist unbestreitbar: Die zuvor überhastete Einleitung wirkt nicht mehr so gehetzt, selbst kleine Nebenfiguren wie der Dorf-Priester am Anfang (der sich als Balians Bruder erweist) werden durch zusätzliche Szenen besser ausgebaut und tragen so nicht nur zu einem stimmigeren Gesamtbild des Films als historisches Portrait der Kreuzzug-Ära bei, sondern erklären auch besser die Handlungen der Hauptfigur. Der mittelalterliche Schmied Balian (Orlando Bloom), der sich als unehelicher Sohn eines Kreuzritters (Liam Neeson) erweist, dessen Besitz im Heiligen Land erbt, dort in den schwelenden Konflikt zwischen Moslems und Christen hineingezogen wird und schließlich die Verteidigung Jerusalems anführen muss, ist hier dementsprechend ebenfalls mehr als der Poster-taugliche Mittelalter-Actionheld der Kinofassung, dessen Blitzaufstieg vom einfachen Handwerker zum geschickten Kriegsherren bei vielen Zuschauern für Kopfkratzen sorgte.
In der längeren Fassung wird nun Balians Vorgeschichte besser deutlich und auch etabliert, dass er schon zu Beginn des Films ein Kriegsveteran und begabter Ingenieur ist. Seine erstaunlichen Talente, die er im weiteren Verlauf beweist, werden also erklärt und sind nicht einfach plötzlich da. Natürlich ist Balians Aufstieg immer noch rasant, für die Epoche jedoch nicht außergewöhnlich. Denn - wie Ridley Scott im Zusatzmaterial so schön vergleicht - das Heilige Land war in dieser Zeit so etwas wie der Wilde Westen: Eine neue Welt, in der man als kleiner Mann aus Europa auf einen Schlag zu Reichtum und Macht gelangen konnte.
In der Kinoversion noch vorhandene Handlungslücken und lose Enden werden gefüllt und abgeschlossen. Während zum Beispiel Oberbösewicht Guy de Lusignan (Marton Csokas) nach seiner verlorenen Schlacht gegen Sarazenen-Fürst Saladin (Ghassan Massoud) in der vorherigen Fassung nur noch einmal kurz auftauchte (gedemütigt durch einen halbnackten Ritt auf einem Esel) und dann auf Nimmerwiedersehen mit ungeklärtem Schicksal verschwand, kommt es hier zu einer letzten und bedeutsamen Begegnung zwischen Balian und seinem Widersacher.

Der wichtigste Unterschied zwischen den beiden Versionen betrifft jedoch Sibylla (Eva Green), Guys Ehefrau und Schwester des Lepra-kranken König Balduin von Jerusalem (Edward Norton), die mit Balian eine Affäre beginnt und im Kino noch wie ein ziemlich uninspiriert eingefügtes love interest ohne sonderliche Relevanz oder tiefere Motivation wirkte. Der Director's Cut ruft nun den für die Kinofassung komplett herausgeschnittenen Sohn von Sibylla zurück ins Filmleben. Dieser Spross aus einer früheren Ehe ist als Kind der Königsschwester nach Balduins Tod der rechtmäßige Thronfolger (und wird hier auch tatsächlich gekrönt). Das Schicksal dieses Kindes steigert nicht nur insgesamt die Komplexität der Handlung, sondern macht vor allem aus der vormals eindimensionalen Sibylla eine der faszinierendsten und tiefgründigsten Figuren des ganzen Films, deren Handlungen während und nach der Belagerung Jerusalems erst jetzt überhaupt einen Sinn ergeben.
Die begleitende Dokumentation geht ausführlich auf die während der gesamten Produktionsphase geführte Debatte zwischen Scott und dem Studio ein, ob das Kind herausgenommen werden sollte oder nicht. Um vielleicht zehn Minuten Laufzeit einzusparen, setzte sich das Studio schließlich durch und raubte dem Film damit einen seiner stärksten Aspekte. Auch wenn die führenden kreativen Köpfe hinter dem Film (Scott, Autor Monahan und Cutterin Dody Dorn) in der Dokumentation ihre Worte sehr vorsichtig wählen, wird doch mehr als deutlich, dass sie alle diesen Subplot behalten wollten und seine Entfernung (wie die meisten geforderten Kürzungen) für dumm und falsch hielten. Man kann dazu nicht mehr sagen, als ihnen unumwunden Recht zu geben. Es ist ein Glück, dass Scott als Produzent seiner eigenen Filme die Möglichkeit hatte, zumindest die Veröffentlichung dieses Director's Cut auf DVD zu ermöglichen.

Die Komplexität des Stoffes und die historisch ausgewogene Behandlung beider beteiligten Seiten ist die wahre Stärke von "Königreich der Himmel", der eben nicht wie Historien-Epen á la "Braveheart" ein klares Schwarz/Weiß-Szenario mit den Guten hier und den Bösen da zeichnet, das der tapfere Held richtig zu stellen versucht. Geschichte ist selten bis nie tatsächlich so einfach, und ganz besonders nicht im Nahen Osten, wo sich in tausend Jahren die Waffen und die Beteiligten des Glaubenskrieges, aber kaum die Motive gewandelt haben. "Königreich der Himmel" ist gerade angesichts seines allgemein-politischen Subtextes ein wichtiger, ein vielschichtiger Film, der mehr wagt und mehr leistet als alle anderen "Sandalenfilme" der letzten Jahre (oder Jahrzehnte). Er proklamiert seine Botschaft für gesellschaftlichen Pluralismus und religiöse Toleranz jedoch in einer Zeit, in der solche Botschaften zumindest im wichtigsten Filmland der Welt nicht so gern gehört werden.
Die Bemühungen des Studios, "Königreich der Himmel" weniger als komplexes Historien-Kino denn als Action-geladenes Schlachten-Epos zu vermarkten, waren sicher auch der Tatsache geschuldet, dass man dem politischen Aspekt des Films so weit wie möglich aus dem Weg gehen wollte. In der Ära nach dem 11. September ist es jedoch unmöglich, einen Film über einen Krieg zwischen Christen und Muslimen zu drehen und kein politisches Streufeuer zu ernten. Noch während der Dreharbeiten machten Berichte die Runde, der Film würde eine anti-islamische Geisteshaltung proklamieren und sich damit der amerikanischen Außenpolitik gefällig erweisen - was natürlich kompletter Blödsinn war. Nach Veröffentlichung meldeten sich dann Vertreter von der anderen Seite, die angesichts des wenig schmeichelhaften Portraits manch christlicher Kreuzritter behaupteten, der Film spiele Osama bin Laden direkt in die Hände. Was der Film eigentlich zu sagen hatte, wollte in Amerika kaum jemand hören. Der Film floppte dort und spielte keine 50 Millionen Dollar ein. In Europa zeigte man sich jedoch empfänglicher: "Königreich der Himmel" feierte ansehnliche Erfolge und verbuchte zum Beispiel in Deutschland gut zwei Millionen Zuschauer - was im relativen Vergleich ungefähr einer Verdreifachung des Ergebnisses in den US-Kinos entsprach.

Letztlich kann man nur spekulieren, was dieser Film in der richtigen Fassung und zur richtigen Zeit hätte erreichen können. So paradox das auch ist: Entstanden nach dem 11. September 2001 hat der Film mit seiner politischen Botschaft mehr Bedeutung und Relevanz, doch vor diesem historischen Datum wäre ihm wohl ein größerer Erfolg vergönnt gewesen. Man stelle sich nur vor, dieser Director's Cut wäre anstelle von "Gladiator" im Jahr 2000 heraus gekommen. Er hat zwar keinen vergleichbar charismatischen Hauptdarsteller, ist insgesamt jedoch ein noch besserer Film, und hätte im letzten Regierungsjahr des pluralistischen Clinton auch zu einem noch größeren Oscar-Abräumer geraten können. In der Bush-Ära hätte "Königreich der Himmel" auch als Director's Cut vielleicht keinen größeren Erfolg gehabt, doch wäre das Studio mutig genug gewesen, den Film gleich so zu veröffentlichen wie er gemeint war, hätte es mit Sicherheit auch in den USA bessere Rezensionen gegeben, und der Film wäre gleich als das Meisterwerk erkannten worden, das er ist.

Einem Meisterwerk angemessen ist auf jeden Fall das 4er-DVD-Set des Director's Cut, das in Quantität und Qualität auf einer Ebene mit den Maßstäbe setzenden Extended Editions der "Herr der Ringe"-Filme steht. Bild und Ton sind in der Tat von der makellosen Brillanz, die der Verleih verspricht. Zum Film gibt es außerdem drei Audiokommentare, einer von Ridley Scott, William Monahan und Orlando Bloom, einer mit der ausführenden Produzentin, dem Effekte-Chef und dem Regieassistent sowie ein eigener Kommentar-Track der Cutterin Dody Dorn.
Die Making-of-Dokumentation "Der Weg der Erlösung" nimmt den Großteil der beiden Bonus-DVDs ein, deckt von der Entstehung der ersten Skript-Idee über die Dreharbeiten in Spanien und Marokko bis zum enttäuschenden US-Kinolauf des Films und der Entstehung des Director's Cut die gesamte Produktionsgeschichte ab und läuft noch länger als der Hauptfilm. Dass sie dabei durchweg ähnlich spannend und unterhaltsam bleibt, spricht nicht nur für die gewährten faszinierenden Einblicke in alle Aspekte der Filmentstehung, sondern auch für die erstklassig ausgeführte Aufarbeitung des Materials. Der letzte Teil der in sechs große Sektionen eingeteilten Doku, in dem die in ihrer Begeisterung für das Projekt ungebrochenen Kreativkräfte ohne Schönreden auf den enttäuschenden Kinolauf eingehen und mögliche Gründe analysieren, sorgt für einen besonders interessanten Schlusspunkt, kriegt man in gängigen Making-Ofs solch ehrliche Worte doch nur höchst selten zu hören.
Zusätzlich angereichert wird dieses Dokumentationsmaterial durch Featurettes zu einzelnen Themen wie dem Kostüm- und Requisiten-Design oder den ersten Schauspielproben bis hin zu den einzelnen Etappen der Tonmischung und des Effekt-Designs, die man detailliert nachverfolgen kann. Sehr interessant ist auch ein Featurette, in dem eine Reihe von Historikern die Fakten klarstellen, die aus dramaturgischen Gründen für den Film modifiziert wurden, im selben Atemzug aber auch betonen, wie ausgesprochen nah der Film in allen kleinen Details an den historischen Tatsachen ist.
Umfangreiche Bildergalerien mit Design-Entwürfen, Storyboards und Filmbildern, die erste Version des Drehbuchs und eine Trailer-Sammlung runden das Angebot an Bonusmaterial ab, das somit wohl keinen Wunsch offen lässt und alles liefert, was man als DVD-Fan nur erwarten kann. Eine späte, aber mehr als angemessene Würdigung für den seit langem großartigsten Film seiner Art.

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