
Man bestellt Kathryn Bigelow, man kriegt Kathryn Bigelow. Die US-amerikanische Regisseurin ("Hurt Locker - Tödliches Kommando", "Zero Dark Thirty"), die ja für ihre gleichermaßen schonungslosen wie spannungsgeladenen Militär-Thriller bekannt ist, lässt uns dieses Jahr im Auftrag von Netflix mal wieder ordentlich an den Fingernägeln kauen. In "A House of Dynamite" wird gleich ein ganzes Figurenkarussell mit dem unmittelbaren Einschlag einer Atomrakete konfrontiert, was in den versierten Händen von Bigelow nicht ganz überraschend zu einem packenden Thriller wird. Dessen warnende Botschaft, trotz kleinerer Storyschwächen am Ende, wohl bei jedem im Publikum für ein ziemlich flaues Gefühl im Magen sorgen dürfte.
"A House of Dynamite" beginnt mit einem globalen Schockmoment: Eine Atomrakete wird von einem unbekanntem Ursprung aus abgefeuert und nimmt schnell Ziel auf die amerikanische Metropole Chicago. Eine Militärstation in Alaska registriert den Abschuss als erste, doch schon bald rückt das komplette Machtzentrum der Vereinigten Staaten in den Fokus. An verschiedenen Stellen wird nun versucht, der Panik mit vorgefertigten Abläufen zu begegnen. Im Situation Room des Weißen Hauses koordiniert so Captain Olivia Walker (Rebecca Ferguson, "Mission: Impossible - Rogue Nation", "Dune") die ersten Reaktionen hochrangiger Politiker und Militärs, wie die des stellvertretenden Beraters für nationale Sicherheit Jake Baerington (Gabriel Basso, "Juror #2", "Hillbilly-Elegie"), des Verteidigungsministers Reid Baker (Jared Harris, "Allied - Vertraute Fremde", "Poltergeist") oder des Generals Anthony Brody (Tracy Letts, "Lady Bird", "Tiefe Wasser"). Während des verzweifelten Versuchs die Bombe zu stoppen, stellt sich dabei aber auch schnell die Frage nach einem möglichen militärischen Gegenschlag. Diese Entscheidung, mit ihren potenziell noch viel gravierenderen Folgen, liegt aber am Ende alleine in den Händen des US-Präsidenten (Idris Elba, "Beast - Jäger ohne Gnade", "Molly's Game").

"A House of Dynamite" erzählt diese Ereignisse gleich drei Mal aus jeweils unterschiedlichen Blickwinkeln. Dabei fokussiert sich der Film, gefühlt meist in Echtzeit, auf die knapp 20 Minuten Zeit, die den USA bis zum Einschlag der Rakete bleiben. Bei diesen drei Kapiteln gibt es aber einiges an inhaltlichen Überschneidungen, da teils gleiche Meetings und Situationen geschildert werden, bei denen man durch andere Blickwinkel kleine oder manchmal auch größere neue Informationen erhält. Im Falle des US-Präsidenten sieht man diesen so zum Beispiel erst im letzten Kapitel physisch auf der Leinwand, da er vorher stets nur per Stimme und via Telefonschaltung ins Geschehen eingreift. Eines haben aber alle diese Figuren hier gemeinsam, und das ist der Schock über die Bedrohung und die damit verbundene Herausforderung, möglichst nüchtern nun ihren auf einmal noch viel bedeutsameren Job auszuführen.
So spielt "A House of Dynamite" logischerweise die meiste Zeit in irgendwelchen Räumen der Regierung oder des Militärs, in denen wichtige Menschen noch wichtigere Entscheidungen diskutieren. Nur vereinzelt, wenn unsere Protagonisten mal die Chance nutzen, ihre Liebsten daheim zu kontaktieren, bekommt man vom "normalen" Leben der restlichen Bevölkerung etwas mit. Die Spannung zieht der Film dabei vor allem von einer Erkenntnis, die auch eine der zentralen Botschaften dieses Filmes ist: Im Falle eines solchen dramatischen Ereignisses helfen dir selbst die besten Pläne und das intensivste Training am Ende nur bedingt.

Wie man die maximale Spannung aus einem militärischen Konflikt herausholt, ohne dabei vor allem auf jede Menge Gewaltszenen zurückzugreifen, hat Kathryn Bigelow ja schon mehrfach bewiesen. Wie gut sie hier in ihrem Element ist, zeigt dabei gerade aber nicht nur das erste Kapitel. Dank gut dosiertem Handkameraeinsatz und cleverem Schnitt gelingt dem Film generell ein unglaublich intensives „Ich-bin-hier-live-dabei“-Feeling, dessen besondere Stärke vor allem im Einfangen von menschlichen Reaktionen liegt. So ist die Kamera immer dicht dran, wenn unsere Protagonisten die nächste Hiobsbotschaft erhalten und teils verzweifelt versuchen, Professionalität zu wahren. Gerade die unterschiedlichen Reaktionen, die zwischen Apathie bis hin zum kurzen emotionalen Ausbruch variieren, werden stark eingefangen und heben die Intensität auf ein unglaublich hohes Level. Ein wenig erinnert das an den großartigen Streifen "September 5 – The Day Terror Went Live" aus dem letzten Jahr, der eine ähnliche Herangehensweise hatte.
Dass hier alles dann auch fast immer in Echtzeit passiert, verleiht den Ereignissen natürlich auch noch mal eine extreme Dringlichkeit und erhöht weiter den (Zeit-)Druck auf die Figuren. Wie diese zu Beginn unglaublich effiziente und überzeugende Charaktereinführungen erhalten, ist dabei eine weitere Stärke des Filmes, der in dieser ersten halben Stunde einen regelrecht an den Sitz fesselt. Das ist auch einer fantastischen Rebecca Ferguson und dem ebenfalls großartigen Jason Clarke zu verdanken, die eben genau jene Mischung aus Schock und „Ich muss funktionieren“ beide großartig, aber eben auf ihre eigenen Weise, auf die Leinwand bringen.

Die zwei werden dann auch etwas vermisst, wenn der Film wieder auf Anfang springt, um den Fokus für die nächste Story-Schleife auf andere Figuren zu legen. So nett die Idee der unterschiedlichen Blickwinkel auch ist, gerade die erste Wiederholung der Ereignisse schafft es leider nicht, die Intensität des ersten Durchlaufs aufrechtzuerhalten. Und das liegt nicht nur daran, dass man jetzt weiß, was kommt. Gefühlt wirken die "neuen" Hauptfiguren hier einfach etwas weniger dreidimensional – gut am Beispiel des auf einfachen Lösungen bestehenden General Brody zu sehen. Gleichzeitig hätten es diesem Kapitel auch gutgetan, wenn es noch etwas mehr neue Puzzleteile zum Entdecken gegeben hätte. Es kommt doch schon etwas oft vor, dass eine bereits vertraute Szene wiederaufgegriffen wird, ohne dass jetzt wirklich eine interessante neue Facette hinzugefügt wird.
Das ändert sich im letzten Drittel, wenn schließlich POTUS himself eingreift. Dessen großes moralisches Dilemma ist im wahrsten Sinne des Wortes von unglaublicher Sprengkraft und ziemlich faszinierend. Ironischerweise fühlt sich dieses letzte Kapitel aber gleichzeitig auch etwas mehr nach klassischem Hollywood-Kino an, da manche Handlungen der Figuren doch hier und da weniger dem Realismus als mehr der Hoffnung auf eine emotionale Reaktion des Publikums entspringen. Das ist aber alles wohlgemerkt Jammern auf hohem Niveau, denn Regisseurin Bigelow inszeniert weiterhin das Geschehen so packend, dass man kaum Luft kriegt, sich darüber zu beschweren.
Wenn der Film dann auf die Zielgerade einbiegt, wird spätestens klar, dass wirklich gute Laune heute wohl kaum noch aufkommen wird. Das wirkt alles schon ziemlich fatalistisch hier, und gerade unser Vertrauen in ausgefeilte Pläne und moderne Technik erhält in "A House of Dynamite" eine ordentliche Breitseite. Stattdessen beruht am Ende doch wieder vieles auf so unzuverlässigen menschlichen Eigenschaften wie Vertrauen und Intuition, auf die man sich in solchen Situationen verlassen muss – egal, wie clever man ist. So ist der Name des Films hier dann tatsächlich auch Programm, und man beginnt zu ahnen, dass es wohl doch eine gute Idee gewesen wäre, wenn in diesem Haus von Anfang an erst gar kein Dynamit gelagert worden wäre. Die Hoffnung, dass sich die Politik diese Botschaft zu Herzen nimmt, ist ja gerade eher gering, und so dürfte mancher am Ende des Filmes dann doch auf relativ wackligen Beinen das Kino verlassen. Aber so kann gute Unterhaltung eben manchmal auch ausfallen.
"A House of Dynamite" läuft seit dem 9. Oktober in ausgewählten Kinos und ist ab dem 24. Oktober auf Netflix zu sehen.
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