
Der Himmel über London im Jahre 1888 hat lediglich zwei Farben, jedenfalls wenn es nach den Gebrüdern Hughes und ihrer Adaption von "From Hell" geht: Pechschwarz oder blutrot. Beides trifft auch abwechselnd auf die Straßen des
Because I got high: Für Inspektor Abberline gehört berauschte Entspannung zum Job. |
White Chapel-Bezirkes zu, besonders wenn der mysteriöse Mörder
zuschlägt, der als "Jack The Ripper" in die Geschichte eingehen
wird. Der bestialische Killer jagt eine Gruppe befreundeter
Huren, jedoch er tötet nicht nur, sondern massakriert, weidet
aus, zerstückelt. All das mit der Präzision eines Fachmanns
der menschlichen Anatomie. Dieses wiederum lässt den ermittelnden
Inspektor Abberline (Johnny Depp), Opfer von mittelschwerer
Opiumsucht und bruchstückhaften Visionen der Morde, und seinen
schwergewichtigen, lyrikrezitierenden Partner Godley (Robbie
Coltrane) daran zweifeln, dass es sich um die zufälligen Taten
eines Verrückten handelt. Für Abberlines Vorgesetzten Warren
(Ian Richardson) ist die Idee, dass ein "Gebildeter" solch
Greueltaten zu verantworten hat, lächerlich und Abberlines
Ermittlungen werden von Seiten der Vorgesetzten misstrauisch
beobachtet. Unerwartete Hilfe bekommt Abberline von dem pensionierten
königlichen Leibarzt Gull (Ian Holm) und Mary Kelly (Heather
Graham), einer der Prostituierten. Abberline muss sich beeilen,
das Rätsel um "Jack the Ripper" zu lösen. Denn Mary Kelly,
die Frau mit der er zarte Bande knüpft, steht ganz oben auf
der Liste des brutalen Killers …
"From Hell". Diese zwei Worte genügen, um jeden sich in der
Welt der Comics einigermaßen auskennenden Menschen mit der
Zunge schnalzen zu lassen. "From Hell" ist nicht nur ein Comic
- genau genommen ist es auch nicht ein Comic, sondern eine
grafische Erzählung ("graphic novel"), bei 500 Seiten plus
detailliertem Anhang wahrlich keine Untertreibung - um Kritiker,
die der Form des Comics Unterlegenheit gegenüber den anderen
Kunstformen
Kein Spaß: Abberline (Depp) und Gehilfe Godley (Coltrane) bei einer sehr unschönen Autopsie. |
unterstellen, eines besseren zu belehren, bedarf es nur dieses
einen Werkes, das mit Sicherheit in der Welt der Comics, jedoch
nicht nur da, seines gleichen sucht. "From Hell" ist ein Gesamtkunstwerk,
eine meisterliches, visionäres Epos, das die Grenzen dessen
sprengt, was nach landläufiger Meinung ein Comic zu leisten
imstande ist. "From Hell" ist ein Geniestreich - Form hin
oder her - das mit Leichtigkeit vieles übertrifft, was an
geschriebenen Romanen im Handel landet oder als bildende Kunst
im Museum. Der Autor Alan Moore gilt nach Kritikermeinung
als einer der besten Comicautoren aller Zeiten - ein Urteil,
dem man sich nach der Lektüre dieses Wahnsinnswerkes nur anschließen
kann.
Dass eine Adaption von "From Hell" nicht einfach werden würde,
liegt auf der Hand. 500 Seiten, dutzende Figuren und Erzählstränge,
dazu ein hochkomplizierter Plot um die Verschwörung, die die
White Chapel-Morde ermöglichte. All dies in einem Zweistundenfilm
unterzubringen ist ein Ding der Unmöglichkeit, weswegen man
dies auch tunlichst unterließ. Stattdessen ist der Film From
Hell light, quasi - man verzeihe das Wortspiel - ein ausgeweideter
Torso der Erzählung und leider ein wenig zu leicht, wie sich
herausstellt. Das größte Problem des Films ist - wie nicht
anders zu erwarten - das Drehbuch von Terry Hayes und Rafael
Yglesias. Dass "From Hell"-Leser weinen werden, ob dessen
was die Erzählung war und dieser Film ist, ist die eine Sache.
Über die Natur, und vor allem die Problematik von Adaptionen
müssen hier keine weiteren Worte verloren werden. Das Dilemma
mit diesem Film jedoch ist, dass er auch als Film nicht funktioniert
und sich über eine sehr holprige Strecke ins Ziel schleppt.
Nette Mädels in der Kneipe: Mary Kelly (Heather Graham) und Kolleginnen. |
Zumindest an der visuellen Umsetzung hapert es nicht. Kameramann Peter Deming liefert feinste, superatmosphärische Bilder und die Hughes-Brüder - bekannt geworden durch ihre Ghetto-Straßendramen "Menace II Society" und "Dead Presidents" und damit eher ungewöhnliche Kandidaten für einen, wenn auch stylishen Kostümstreifen - versuchen dem Film Energie und Verve zu geben. Aber das Drehbuch, das Drehbuch! Hat Löcher so groß, wie die in den Körpern der Opfer. Besonders schlimm ist dies ausgerechnet bei den Hauptdarstellern. Nicht nur, dass die exquisite Nebendarstellerriege komplett die besten Zeilen und Szenen einheimst, aber Depps Inspektor und Grahams Hure sind Klischeecharaktere mit der Tiefe einer Blutlache. Johnny Depp spielt seine Figur - eine etwas beherrschtere Weiterentwicklung seines Ichabod Crane aus "Sleepy Hollow" - als die mittlerweile prototypische Depp-Figur, einen linkischen Exzentriker, hier jedoch mit einer seltsamen Mischung aus abwechselndem Phlegma und übertriebenem Pathos zum Besten gegeben. Schlimmer ist da nur noch Graham, die lediglich wahlweise mit großen Bambiaugen oder kritischem Stirnrunzeln hölzern in die Kamera starrt. Doppelt schlimm, dass sogar die ansonsten vorzügliche Ausstattung an Miss Graham kapituliert. Während nämlich ihre Kolleginnen passend dreckig und verlebt aussehen, kommt Grahams' Mary Kelly immer daher wie aus dem Ei gepellt. Nicht verwunderlich, da ihre Kolleginnen sich zugunsten der Authentizität mehrere Tage nicht die Haare wuschen, was sich eine Miss Graham jedoch nicht zumuten will und daher immer aussieht, als käme sie direkt vom Friseur. Dreifach schlimm wird das Ganze jedoch durch die völlig unplausible Liebesgeschichte zwischen diesen
Die Überlebenschancen dieser Dame sind gerade rapide gesunken ... |
beiden Charakteren, die der Geschichte im Schlussdrittel
mehr Spannung geben soll, jedoch niemals verdecken kann, dass
sie nur ein plattes Mittel zum Zweck ist.
Dies ist das Kernproblem des Films: Ihm mangelt es - im Gegensatz
zur fantastischen Vorlage - schlicht an Imagination und an
der Radikalität eines Alan Moore, diese auch umzusetzen. Stattdessen
bedient das Drehbuch alle Stereotypen - u.a. sind Abberline
und Godley die Ur-Urväter des Cop/buddy movie-Gespanns - fühlt
sich die gesamte Laufzeit über wie ein schrecklich durchkonstruierter
Hollywoodfilm an und endet beinahe in einem dazu passend desaströsen
Schluss. Dieses wird zwar mit einer nur wenig mehr zufriedenstellenden
Lösung vermieden, kann aber nicht viel retten. Dieser Film
mit dieser Vorlage und diesen Regisseuren hätte soviel mehr
sein können und soviel mehr sein sollen.
Nach all dieser Kritik soll noch ein Wort des Lobes nicht
fehlen: Der Darsteller des "Jack the Ripper" vollbringt hier
eine fantastische Leistung - eine perfekte Mischung aus einem
professionellen kaltblütigen Arbeiter und einem fanatischen
Wahnsinnigen. Furchteinflössender war nur Hannibal Lecter.
Alles zusammengenommen - die brillante Visualisierung, die
unebenen Darstellerleistungen, die eklatanten Schwächen des
Drehbuchs und der verzweifelte Regieversuch, aus all diesem
einen einheitlichen Film zu machen - ist "From Hell" Hollywoodware,
die sich nur behäbig über die Konkurrenz erhebt. Es ist bei
weitem kein schlechter Film, aber eben doch nur ein hipper
durchgestylter Slasher ohne größere Ambitionen. Und gemessen
an der Vorlage ist das eine Schande. Alan Moore, der Kauz,
ahnte dies jedoch, gab dem Film mit einem halb-sarkastischen,
halb-gutmütigen "Sie versuchten, die Atmosphäre des Buches
einzufangen" seinen Segen und widmete sich wichtigeren Dingen
als irrelevanten Adaptionen seiner Werke. Wahrscheinlich Rauchen
und englischen Fußball schauen. Wir dagegen schauen diesen
Film - ein Film wie ein Ripper-Opfer: ziemlich auseinandergeschnipselt
und erstaunlich blutleer.
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