Am Anfang soll hier eine Bitte stehen: Wer sich den zweiten Potter-Film im Kino ansieht, möge, wenn der Abspann beginnt, nicht gleich aus dem Saal stürmen, sondern zumindest eine Minute schweigend sitzen bleiben, als letzte Ehrerbietung für Richard Harris. Denn die britische Schauspiel-Legende, der hier erneut die Rolle des Hogwarts-Direktors Albus Dumbledore übernommen hatte, verstarb drei Wochen vor dem Potter-Bundesstart im Alter von 72 Jahren. "Harry Potter und die Kammer des Schreckens" war sein letzter Film.
Von den anderen Beteiligten dieser zweiten Verfilmung der erfolgreichsten Roman-Serie aller Zeiten hat sich niemand solch große Respektsbezeugungen verdient, zumindest nicht für diesen Film, auch wenn sich erfreut feststellen lässt, dass die gröbsten Fehler der mäßigen Adaption des ersten Teils, "Harry Potter und der Stein der Weisen", nicht wiederholt wurden: Diesmal scheint auch Regisseur Chris Columbus gemerkt zu haben, dass er hier auch eine Geschichte zu erzählen und nicht nur eine lange Reihe an spektakulären Effekt-Sequenzen zu arrangieren hat. Im Gegensatz zum ersten Teil hat man wenigstens das Gefühl, einer durchdachten Handlung zu folgen.
Anders wäre eine filmische Umsetzung des zweiten Potter-Abenteuers aber auch kaum möglich gewesen: während die Story von Teil Eins noch relativ einfach gehalten war und das meiste Gewicht der Romanvorlage auf der Einführung in die magische Welt der Hogwarts-Schule für Zauberei lag, setzt mit der Fortsetzung die steigende Komplexität von Harrys Erlebnissen ein. Hätte Columbus auch bei dieser weitaus komplizierteren Geschichte auf simple Effekte-Ketten gesetzt, wäre die Handlung wahrscheinlich völlig untergegangen.
Hermine, Ron und Harry |
Das tut sie indes für einen Teil des Publikums immer noch: Wer den ersten Teil weder gelesen noch gesehen hat, kann sich den Kinobesuch gleich sparen, denn eine Exposition findet hier nicht mehr statt. Einem potentiellen neuen Publikum noch einmal erklären, was es mit Harry Potter, seinen Freunden, ihrer Schule und Lehrern auf sich hat, wer hier welche Rolle einnimmt, wer gut und wer böse und was eigentlich Quidditch ist, dafür fehlt schlichtweg die Zeit. Auch ohne diese einführenden Elemente hat der zweite Potter Mühe, sich bei zweieinhalb Stunden Laufzeit zu halten. Womit bereits die erste Erkenntnis nach Betrachten von Teil Eins auch hier wiederholt werden kann: Wollen die Produzenten demnächst nicht mit Drei-Stunden-Epen arbeiten (was selbst für begeisterte Kinder - die Hauptzielgruppe dieser Filme - eindeutig zu lang ist), müssen sie sich etwas einfallen lassen, denn ab dem nächsten Teil ("Harry Potter und der Gefangene von Azkaban") wird die Handlung zu ausgefeilt und kompliziert, als dass sie mit dem bisher eingeschlagenen Erzähltempo noch eingefangen werden kann. Da verwundert es nicht weiter, dass Chris Columbus absprang, bevor die eigentliche Herausforderung des Potter-Verfilmens überhaupt begonnen hat. Teil Drei wird inszeniert vom Mexikaner Alfonso Cuarón ("Y tu Mama tambien").
ist sehr groß und sehr gefährlich. |
Doch das ist Zukunftsmusik, denn vorerst gilt das Augenmerk Teil Zwei, an dessen Anfang Harry erneut im Haushalt seiner diktatorischen Verwandtschaft unter der Fuchtel von Onkel und Tante leidet. Der Aufruhr in diesem tristen Alltag beginnt, als Harry Besuch von dem merkwürdigen Elf Dobby erhält, der ihn inständig davor warnt, nach Hogwarts zurückzukehren - warum ist aus dem kleinen Kerl indes nicht herauszubekommen, weil der sich fortlaufend mit irgendwas gegen den Kopf schlägt, wenn er kurz davor ist, sensible Informationen über seinen Meister preiszugeben. Nicht überzeugend genug, und so macht sich Harry auf etwas unkonventionelle Weise (nämlich mit einem fliegenden Auto) auf nach Hogwarts zu seinem zweiten Schuljahr, wo bald eine Serie mysteriöser Ereignisse einsetzt: Unheimliche Botschaften an den Wänden berichten von der Öffnung der sagenumwobenen Kammer des Schreckens, mehrere Schüler werden aus unerklärlichen Gründen versteinert aufgefunden, und es scheint, als sei nicht nur Harry in äußerster Gefahr, sondern auch alle von Muggles (Zauberer-Slang für normale Menschen) abstammenden Schüler (die hier etablierte Parallele zu einem faschistischen Rassenwahn sollte Zweifler endgültig davon überzeugen, dass es sich bei den Potter-Romanen um weit mehr handelt als oberflächliche Kinderbücher).
Isaacs als Lucius Malfoy. |
Es geht weitaus ernsthafter und dunkler zu im zweiten Teil, und gerade gegen Ende häufen sich Szenen, die für manch ein sensibles Kind vielleicht doch ein bisschen viel sind. Einen Vorwurf für die Macher sollte man daraus indes nicht machen, denn sie verarbeiten hier lediglich die tatsächliche Tendenz der Potter-Romane hin zu mehr Finsternis (ob das für kleine Kinder überhaupt noch geeignet ist, wird spätestens beim vierten Teil eine gewichtige Rolle spielen). Einen ordentlichen Anteil daran hat einer der Neuzugänge im erneut Star-gespickten Ensemble: Jason Isaacs, der bereits in "Der Patriot" durch bodenlose Boshaftigkeit begeisterte, tritt hier erstmals als Lucius Malfoy, Vater von Harrys Erzfeind Draco, in Erscheinung und weiß mit seiner eiskalten Miene genau den richtigen Effekt zu treffen. Da muss selbst Alan Rickman als finster dreinblickender Lehrer Severus Snape den kürzeren ziehen. Den Neuzugang im Kollegium, den blasierten Aufschneider Gilderoy Lockhart, gibt übrigens Kenneth Branagh, der mit seiner Neigung zu Selbstverliebtheit und Over-Acting in dieser Rolle sehr gut aufgehoben ist - auch wenn aufgrund des akuten Zeitmangels auch in Teil Zwei für viele der prominenten Nebendarsteller kaum mehr als ein paar prägnante Kurzauftritte bleiben. Das fast schon überzogene Spiel von Branagh und Isaacs ist hier ausnahmsweise absolut angebracht, denn die Potter-Geschichten sind - dank ihres kindlichen Publikums - bei ihren Charakteren auf sehr einfache Muster beschränkt: Wer hier böse ist, ist auch richtig und offensichtlich böse, und darf das auch raus lassen. Komplex werden die Romane erst auf der Handlungsebene - und genau deshalb ist genug Raum für Plot bei einer Verfilmung auch so wichtig.
Draco und Harry beim Quidditch. |
Im Gegensatz zum ziemlich ungeordnet ablaufenden ersten Teil ist das diesmal auch gegeben: Mit weniger Gewicht auf spektakulärer, aber irrelevanter Effekthascherei und mehr Konzentration auf die eigentliche Geschichte gelingt es "Harry Potter und die Kammer des Schreckens", eine halbwegs akzeptable Adaption der Vorlage auf die Leinwand zu bringen, in der zumindest das grobe Gerüst erhalten geblieben ist. Viele Feinheiten blieben indes auch hier auf der Strecke, weshalb die finale Auflösung - während der in typischer Potter-Manier eine immense Informationsflut über den Leser/Zuschauer hinweg rauscht - vom Erklärungsstand her doch eher unbefriedigend ausfällt. Sofern man die Lücken als Kenner der Vorlage nicht selbständig stopfen kann.
Das Urteil bleibt so im Prinzip dasselbe wie bei der ersten Verfilmung: Wer die Vorlage kennt, wird hier nicht mehr finden als eine relativ brauchbare, aber letztlich inadäquate Visualisierung, die mit der eigenen Fantasie ohnehin nicht mithalten kann. Wer die Vorlage nicht kennt, sollte lieber zum Buchladen als ins Kino gehen, denn das intensive Erlebnis einer Lektüre der Potter-Romane kann auch dieser Film in keiner Weise ersetzen. Dennoch: "Harry Potter und die Kammer des Schreckens" ist in allen Belangen überzeugender als sein Vorgänger (selbst das Quidditch-Match ist diesmal ganz akzeptabel), und während die Wartezeit auf den fünften Roman sich inzwischen auf quälende zwei Jahre beläuft und immer noch kein Veröffentlichungstermin feststeht, ist es ganz schön, zumindest auf der Leinwand endlich wieder nach Hogwarts zurückkehren zu können.
P.S.: Manch einer mag sich über den Rezensionsnotstand zu diesem Film in wöchentlich oder monatlich erscheinenden Zeitschriften wundern. Die Erklärung ist einfach: Der Verleiher Warner Bros. setzte erst für das letzte Wochenende vor Bundesstart Pressevorführungen an - so spät, dass nur noch tagesaktuelle oder eben Online-Medien wie "Filmszene" darüber berichten konnten. Frühere Vorführungen wären definitiv möglich gewesen - bei einem Film, der sich völlig unabhängig vom Presse-Echo ohnehin zu einem Megahit entwickeln wird, scheint der Verleih aber keinen Wert mehr auf kritische Berichterstattung zu legen. Dazu mag sich jeder seine eigene Meinung bilden.
Neuen Kommentar hinzufügen