Die Filmrechte zum erfolgreichsten Buch seit Erfindung des Verlagswesens zu besitzen kann Segen und Fluch zugleich sein. Ein Segen einerseits, da die schon fast garantierten Zuschauerscharen aus Fans der
|
Vorlage die Verfilmung von "Harry Potter und der Stein der Weisen" zum wohl sichersten Blockbuster dieses Jahres machen; ein Fluch andererseits, da eben diese Fanscharen mit Argusaugen jedwede Verletzung des geheiligten Romans erspähen werden. Als Weg aus diesem Zwiespalt wählte die Produktionsfirma Warner Bros. den sichersten Pfad, und engagierte zur Umsetzung dieser Null-Risiko-Politik Chris Columbus, der sich als Regisseur familienfreundlicher Niedlichkeiten wie "Kevin allein zu Haus" und "Mrs. Doubtfire" für einen Job empfohlen hat, der vor allem eins verlangt: Bloß keine Waghalsigkeiten. Das Endergebnis versucht nun, möglichst alles zu zeigen, was die Fans sehen wollen, dauert dementsprechend zweieinhalb Stunden, war wahnwitzig teuer und ist letzten Endes doch eine Enttäuschung. Für Fans als auch für Nicht-Kenner der Vorlage.
Trio infernale: Harry, Ron und Hermione alias Daniel Radcliffe, Rupert Grint und Emma Watson. |
Für diese Nicht-Kenner und die paar Mondbewohner, die absolut keine Ahnung haben, wer Harry Potter ist, kurz ein paar Sätze zur Handlung: Der Titelheld wächst bei seiner tyrannischen Tante Petunia, ihrem ähnlich unerträglichen Gatten Vernon und dem gemeinsamen Satansbraten Dudley auf, nachdem seine Eltern angeblich bei einem Autounfall ums Leben gekommen sind. Wie sich jedoch an Harry's elftem Geburtstag herausstellt, waren seine Erzeuger waschechte Zauberer, und somit fließt auch in seinen Adern magisches Blut. Nicht nur das: seine Eltern wurden von dem überaus mächtigen und ebenso bösen Zauberer Voldemort umgebracht, und Harry ist eine Berühmtheit, da er im Babyalter als einziger einen Angriff Voldemorts überlebt hat - und so dessen Schreckensherrschaft beendete. Mit viel Staunen beginnt klein Potter nun seine Ausbildung an der Zauberschule Hogwarts, wo der aufregende Alltag zusätzliche Würze erhält, als Harry und seine besten Freunde Ron und Hermione langsam einer Verschwörung dunkler Mächte auf die Schliche kommen.
Die Handlung des ersten von bislang vier Potter-Abenteuern (die Reihe soll letztendlich sieben Bände enthalten - einen für jedes von Harry's Schuljahren in Hogwarts) ist, verglichen mit den Nachfolgern, noch relativ einfach gestrickt, was vor allem daran liegt, dass Teil Eins hauptsächlich als Einführung in diese
Flieg, Besen, flieg: Die erste Flugstunde für die Frischlinge. |
magische Welt gedacht ist, in der es so viel zu entdecken gibt, dass die Fantasie des Lesers freudig Purzelbäume schlägt. Dass diese Purzelbäume beim Betrachten der Verfilmung ausbleiben, ist naheliegend: Die visuelle Umsetzung kann bestenfalls die selben Bilder produzieren wie der eigene Kopf beim lesen, schlimmstenfalls wie ein billiger Abklatsch aussehen von dem, was man sich selbst ausgemalt hat. Da kann man auch noch so viel Geld für Spezialeffekte ausgeben: Es gibt einfach Dinge, die niemals so toll aussehen können wie die eigene Vorstellung. Zu viele Details, wie z.B. der als Postboten fungierende Eulenschwarm, sind viel zu offensichtlich computer-animiert, um die Fantasie bei Laune zu halten. Symptomatisch für das Scheitern des Films in diesen Belangen ist bezeichnenderweise das Quidditch-Match (Quidditch, für die Muggles unter uns, ist der beliebteste Sport unter Zauberern, gespielt auf fliegenden Besenstielen) - wohl eine der am spannendsten erwarteten Szenen des Films: Auch wenn die Kamera mit viel Rasanz durch die Lüfte segelt, am Ende beweist diese Sequenz lediglich die schiere Unmöglichkeit, dieses Spiel angemessen einzufangen. In einem Quidditch-Match passieren zu viele Dinge viel zu schnell und gleichzeitig, um es auch nur im Entferntesten auf Film festhalten zu können. Verglichen mit dem wilden Spektakel, das beim Lesen vor dem inneren Auge entsteht, ist das Film-Quidditch ungefähr so aufregend wie eine Runde Cricket.
Ein Augenschmaus: Der große Saal von Hogwarts. |
Während Potter-Fanatiker feststellen müssen, dass der Film im Kopf wesentlich besser war als der Film auf der Leinwand, hält die Versessenheit, mit der die Umsetzung an der Vorlage klebt, für Neulinge im Hogwarts-Universum andere Probleme bereit, auch wenn diese wiederum weitaus faszinierter vom visuellen Brimborium sein dürften: Da der Film zwar (fast) alles zeigt, was im Buch zu finden ist, aber längst nicht alles erklärt, dürfte die Orientierung nicht ganz leicht fallen.
Wesentlich schwer wiegender jedoch: Auch wenn der eigentliche Plot dieser ersten Potter-Story noch relativ einfach gehalten ist, wirkt er im Film billig zusammengeschustert. Der Grund: Es wurde zwar fast jede Szene in den Film übernommen, die irgendein Spektakel zu bieten hat, dafür wurde jedoch kräftig am narrativen Ende gespart. Was es eigentlich genau mit dem Stein der Weisen auf sich hat und wie nicht nur Harry und Konsorten sondern auch ihr mysteriöser Widersacher auf seine Spur gelangt sind bleibt im Film - freundlich ausgedrückt - relativ schwammig. Wichtige Informationen und Schlussfolgerungen fallen den Protagonisten reihenweise in den Schoß, was der von Autorin Joanna K. Rowling so genial konstruierten Geschichte kaum Rechenschaft tut.
Neben der eigentlichen Handlung gehen leider auch die Figuren nahezu unter in dieser Nummernrevue aus Spezialeffekten, eine Schande angesichts der grandiosen Besetzungsliste, die dank Rowling's Beharren auf eine rein britische Schauspiel-Crew zustande kam. Einzig Alan Rickman als Severus Snape kann ein wenig
Der Lehrkörper: Alan Rickman, Maggie Smith und Ian Hart als Quirrell |
Präsenz entwickeln, andere Größen wie Richard Harris oder Maggie Smith als Dumbledore und McGonagall sind nicht viel mehr als Stichwortgeber. Und wer sich besonders auf den brillanten John Cleese als "Nearly-headless Nick" gefreut hat, erlebt eine herbe Enttäuschung: Nur zwei winzige Szenen sind dem ehemaligen Monty Python-Mitglied als fast kopfloser Hausgeist vergönnt. Als größter Schwachpunkt des Ensembles erweist sich bedauerlicherweise Hauptdarsteller Daniel Radcliffe, der brav seine Zeilen vorträgt, aber außer einem erstaunten Gesicht nicht viel zu bieten hat. Mitschuld an den allgemein eher mäßigen Vorstellungen der jungen Darsteller tragen aber wohl sicher Regisseur Columbus, dem es ganz offensichtlich ohnehin mehr um die Effekte ging, und Autor Kloves, dessen Adaption die Dialoge auf ein funktionales Minimum reduziert und daher kaum einer Figur etwas Signifikantes zu sagen übrig lässt.
"Harry Potter und der Stein der Weisen" ist ein seelen- und kraftloses Effekt-Spektakel, zu sehr darauf bedacht, nichts falsch zu machen, um effektiv Atmosphäre und Spannung entwickeln zu können, und gefangen in filmischen Grenzen, die von der fantastischen Reichhaltigkeit der Vorlage weit überflügelt werden. Die Frage stellt sich hier mehr als zurecht, ob man dieses Buch nicht besser unverfilmt gelassen hätte.
Für die weiteren Teile kommt allerdings ein weitaus größeres Problem auf die Macher zu. Denn die Potter-Romane werden mit jedem Band nicht nur düsterer, erwachsener und weitaus komplexer, sondern auch zunehmend länger. Wenn weiterhin wie in diesem Falle auf möglichst nichts verzichtet werden soll, dann wird spätestens der vierte Teil zu einem Fünf-Stunden-Epos mit einem Budget jenseits dessen von "Titanic" mutieren. Nicht sehr praktikabel. Andererseits haben die Potter-Fans bis dahin wahrscheinlich schon längst festgestellt, dass eine erneute Lektüre der Vorlage wesentlich aufregender ist als ein Kinobesuch.
Neuen Kommentar hinzufügen