Giant Little Ones

Originaltitel
Giant Little Ones
Land
Jahr
2018
Laufzeit
94 min
Release Date
Bewertung
8
8/10
von Moritz Hoppe / 2. April 2020

Lady Bird", „Moonlight“, „Mid-90s“ – das Subgenre des Coming-of-Age-Films hat Filmliebhabern in den letzten Jahren einige großartige und preisgekrönte Werke beschert. Dennoch läuft der Coming-of-Age-Film immer wieder Gefahr, problematische Ideale zu vermitteln: Seien es fragwürdige Schönheitsvorstellungen oder stereotypisierte, binäre Beziehungsbilder - Filme über das (sinnbildliche) Erwachsenwerden garantieren keinen hochqualitativen Filmgenuss. Vor allem die großen Streaming-Anbieter scheinen dabei nur so vor mittelmäßigen Teenager-Dramen zu strotzen. Umso erfreulicher ist es, dass nun mit „Giant Little Ones“ ein ebenso wichtiger wie feinfühliger Coming-of-Age-Film seinen Weg ins Heimkino findet. Wie schon bei „Call me by your Name“ oder auch „Love, Simon“ stehen gesellschaftliche Rollenbilder sowie das Ausleben der eigenen Sexualität im Mittelpunkt.

Seit Kindheitstagen sind die Klassenkameraden Franky (Josh Wiggins) und Bellas (Darren Mann) beste Freunde und scheinen ein unbeschwertes Teenager-Leben zu führen. Als die beiden jedoch nach Frankys siebzehnter Geburtstagsparty eine Nacht miteinander verbringen, gerät ihre Welt aus den Fugen, denn eigentlich haben beide eine feste Freundin. Während Bellas sein aktives Mitwirken an dem Vorfall abstreitet, sieht Franky sich an der Schule Mobbing und Beleidigungen ausgesetzt. Eine Situation, die nicht nur die Freundschaft der beiden auf eine harte Probe stellt, sondern auch die Frage nach der eigenen Identität aufwirft.

„Giant Little Ones“ ist sich zu jedem Zeitpunkt der genretypischen Erzählelemente bewusst. Diese werden vor allem in den ersten Minuten (die sich in ihrem flotten Erzähltempo auch stark vom Rest des Films abheben) aufgebaut und etabliert – nur um im weiteren Verlauf gebrochen zu werden. Hauptfigur Franky lebt nach klaren heteronormativen Vorstellungen: Er ist Mitglied im Schwimmteam der Schule, hat eine feste Freundin und will unbedingt sein erstes Mal haben – hauptsächlich, um nun endlich mitreden zu können. Doch je länger der Zuschauer Franky begleitet, desto deutlicher löst sich dieser von seinen gesellschaftlich-konventionellen Zwängen. Keith Behrmann inszeniert diesen Prozess mit viel Geduld und Liebe für das Beiläufige. Einzelne Blicke und scheinbar nebensächliche Dialoge werden zum Erzählwerkzeug, wodurch die Figuren ohne viele Worte ihren vielschichtigen Charakter offenbaren.

Die Themen, die Keith Behrmann in „Giant Little Ones“ anspricht, unterscheiden sich auf den ersten Blick nicht groß von den allgemeinen Genrekonventionen: Es geht um Mobbing, die große Liebe, das erste Mal und die eigene Identität. Diese Themenblöcke werden hier jedoch nicht verharmlost oder überdramatisiert – Keith Behrmann schafft es, beinahe jeden Moment mit einer eindringlichen Authentizität zu inszenieren. Zum einen liegt das an den tollen schauspielerischen Leistungen des gesamten Cast. Neben Josh Wiggins, welcher Frankys inneren Konflikt behutsam und angenehm unaufdringlich nach außen trägt, kann vor allem Kyle MacLachlan als Frankys schwuler Vater überzeugen. MacLachlan dürfte vielen noch als FBI-Spezialagent Dale Cooper aus der Kultserie „Twin Peaks“ bekannt sein. In seiner Rolle als Ray Winter glänzt er als sensibler und feinfühliger Vater, was in einer tollen Szene zu einem rührenden und ergreifenden Vater-Sohn-Gespräch führt.

Der Film zeigt einen offenen Umgang mit Sexualität und hebt dabei binäres Rollendenken auf. Dadurch zeigt sich ein buntes und komplexes Bild von Liebe und Sexualität, was durch einen grandiosen Soundtrack passend untermalt wird. Zwar wird dieser offene Umgang anhand eines Charakters etwas zu plakativ behandelt, wirklich stark fällt das aber nicht ins Gewicht. In der gezeigten Gesellschaft wird Homo- und Bisexualität als etwas Verbotenes, Skandalöses und Falsches gesehen, was nicht immer durch konkrete homo- oder biphobe Diskriminierung aufgezeigt wird, sondern oftmals durch subtile Bemerkungen und wertende Blicke seinen Weg auf die Leinwand findet.

Allerdings vermeidet Keith Behrmann eine simple Schwarz/Weiß-Zeichnung: Viele dieser Äußerungen sind in eigenen Unsicherheiten und Schwächen begründet. „Giant Little Ones“ schafft es durchaus, diese Ambivalenz deutlich zu machen, ohne eine Entschuldigung für sexuelle Diskriminierung zu suchen.

„Giant Little Ones“ richtet sich in erster Linie an ein jüngeres Publikum, was seinen offenen Umgang mit Sexualität umso wichtiger macht. Auch die genretypische Abgrenzung zwischen Jung und Alt wird in vielen Momenten aufgehoben: Die Jugendlichen und die Erwachsenen funktionieren nur im Wechselspiel, sie bedingen und beeinflussen sich gegenseitig. Es gibt keine permanente Rebellion gegen „die Alten“ und deren Lebensweisen, was eine erfrischende Wirkung hat. „Giant Little Ones“ schafft es, das Erwachsenwerden der heutigen Jugend in schönen Bildern, ohne viel Spielereien und mit jeder Menge Authentizität einzufangen.

Seit dem 27. März ist „Giant Little Ones“ auf Blu-ray, DVD und in Streaming-Videotheken erhältlich.


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