Patrice Chéreau ist ein Enfant Terrible. Der Mann, der uns in der "Bartholomäusnacht" Leichenberge präsentierte und sich mit "Intimacy" den Vorwurf der Pornografie erfilmte, drehte nun einen Film über eine gefühlskalte, aber künstlerisch und gesellschaftlich opulente Epoche und entwarf dafür die wohl brutalste Verbalschlacht zwischen einem Paar seit Jahrzehnten.
Paris um 1912. Das Ehepaar Jean (Pascal Greggory, "Johanna von Orleans") und Gabrielle (Isabelle Huppert, "I Heart Huckabees") sind reich und außerdem berühmt für ihre Dinnerparties, auf denen sich das Partyvolk des Bürgertums mit Musik und geistreichen Konversationen die Stunden vertreibt. Doch eines Tages bricht die Idylle in sich zusammen wie ein Kartenhaus. Jean kommt nach Hause und findet einen Brief von seiner Frau, die ihm darin mitteilt, es gäbe da einen anderen Mann und sie habe ihn nun verlassen, um nicht mehr zurückzukehren. Jean hat kaum Zeit, diese Worte zu verdauen, da schellt es an der Tür und Gabrielle ist wieder da. Von da an entspinnt sich eine detektivische Suche nach den Gründen für ihren Ehebruch, ihr Verlassen, aber besonders für ihre Rückkehr in das gemeinsame Haus, die sich verselbständigt, bis beide sich alles gesagt haben, was sie in ihrer Welt der gesitteten Konversationen und feinen Gesellschaft immer unterdrückten.
Die Geschichte basiert auf der Erzählung "Die Rückkehr"
von Joseph Conrad (1857-1924), dessen Text "Herz der Finsternis"
die Vorlage für "Apocalypse Now" war. Conrads "Rückkehr"
spielt in London und ist aus der Sicht des Mannes geschrieben, doch
Chéreau verlegte den Handlungsort und legte den Schwerpunkt
auf die Frau, die in seinen Augen einen größeren Wandel
durchmacht und die er als sympathischer empfindet.
Chéreaus Nähe zum Theater ist in "Gabrielle"
in jeder Einstellung spürbar. Der Mann, der mit seiner Bayreuther
Wagner-Inszenierung zum hundertsten Jubiläum des "Ringes
der Nibelungen" mit 32 Jahren weltberühmt wurde, konnte
auch hier die Bühne nicht ganz hinter sich lassen.
Wie in einem Theaterstück agieren die Schauspieler und spielt
sich der Film auf kleinstem Raum in den verschiedenen Zimmern des
Hauses ab. Obwohl sonst eher ein Freund der Handkamera, hält
Chéreau in "Gabrielle" mehr Distanz ein, der Körper
ist hier zwar wie in seinen früheren Filmen das Zentrum der
Begierde, doch scheitert hier eine Beziehung nicht nur an der Verweigerung
des Beischlafs ("Es war uns doch nie so wichtig"), sondern
auch an der Vielfalt der jahrelang unausgesprochenen Gefühle.
Die Akteure werden immer vor dem Hintergrund ihres gigantischen
Puppenhauses voller Marmorbüsten und Kronleuchter gezeigt,
in dem ihre in Korsetts und Etikette erstarrten Körper so fremd
erscheinen, weil sie noch aus Fleisch und Blut sind.
Isabelle Huppert, die hierzulande wohl vielen nur durch ihre skurrile
Tantenrolle in "8 Frauen"
bekannt ist, zeigt hier eine lebendige und doch unberührbare
Frau, deren Fehler es ist, dass sie die Liebe erst dann entdeckt,
als sie sie nicht mehr ertragen kann. Auf dem Filmfestival in Venedig
wurde sie 2004 nach diesem Film für ihr Lebenswerk als Schauspielerin
mit einem Löwen ausgezeichnet, den sie wahrlich verdient hat.
"Gabrielle" spielt auch mit den Formen des Kinos; schwarz-weiße und farbige Szenen wechseln sich ab, sogar Zwischentitel werden wie im Stummfilm eingeblendet. Chéreau will fast schon zu sehr stilisieren, so dass er damit den Zuschauer nicht mehr nur konfrontiert, sondern förmlich mit dem cineastischen Knüppel niederprügelt. Was schon von Dialog und Spiel her schwere Kost ist, wird so fast unverdaulich. Chéreau ist für genau diese Arbeiten bekannt und berühmt geworden. Wenn er nicht verstören kann, dann kann er vielleicht zu wenig berühren. Wer solche Filme macht, der will den Körper nicht anrühren, sondern ihn fest packen und durchschütteln. Die verbale Gewalt wird durch die distanzierte und stilisierte Form auf den Zuschauer übertragen. Das ist brutal, aber Kunst darf durchaus auch brutal sein. Eine schonungslose Ehrlichkeit kann den Zuschauer hier ebenso verstören wie die Genital-Aufnahmen aus "Intimacy", denn Sätze wie "Mir war der Gedanke an Ihr Sperma in meinem Körper unerträglich" sind wohl das Brutalste, was man nach zehn Jahren Ehe dem Partner sagen kann.
"Gabrielle" ist zwar großes französisches Kino, doch zu formalisiert und gewaltig, um noch verdaulich zu bleiben. Dadurch wird der Zuschauer zwar zuerst vor den Kopf gestoßen sein angesichts dieses so gemeinen Ehekriegs, doch dann vielleicht begreifen, wie modern diese Geschichte gerade wegen dieser harten Auseinandersetzung ist: Was es heißt sein Leben miteinander zu verbringen, wenn man verschiedene Dinge will und diese doch nie ausspricht.
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