Vanessa Jopp gilt seit ihrem Debütfilm "Vergiss Amerika" als Hoffnungsträgerin. Mit "Engel & Joe" wird sie diesem Anspruch spielend gerecht und schenkt uns eine rasante, mitreißende Liebesgeschichte mit umwerfenden Hauptdarstellern.
Engel (Robert Stadlober) ist 17, lebt auf der Straße und bezeichnet sich als Punk. Er lebt mit seinen Kumpels in einem Abbruchhaus. Sein Leben findet statt zwischen Undergroundkonzerten in ausrangierten Lagerhallen und dem Abhängen und Schnorren auf der Kölner Domplatte. Joe (Jana Pallaske) ist 15, hat eine tablettensüchtige, egomane Mutter und die Schnauze gestrichen voll. Sie schnappt sich ihren Hund und flieht. Als die beiden nach wenigen Minuten Film aufeinandertreffen, fliegen die Funken. Joe schließt sich zunächst vorsichtig den Punks an und verbringt die Nacht mit Engel. Die beiden erleben ihre erste große Liebe, verrückt, leidenschaftlich und verwirrend. Am nächsten Tag wollen sie sich wiedertreffen. Als Joe sich um ihre Mutter kümmern muss und nicht auftaucht, bricht für Engel eine Welt zusammen.
Dies ist der Auftakt zu einer Liebesgeschichte, wie man sie intensiver und bedingungsloser selten miterleben durfte. Engel und Joe müssen sich immer wieder von den äußeren Bedingungen befreien, um kurz durchatmen zu können, bevor die nächste Bewährungsprobe ansteht. Der Grad an Toleranz, Leidensfähigkeit und Durchhaltevermögen, der den beiden abverlangt wird, lässt sie immer tiefer ins Elend stolpern. So grau und kalt der Beton ist, auf dem die beiden erschöpft einschlafen, so abweisend und feindlich reagiert die Umwelt auf die ungewollte Romanze. Auch wenn ihnen wenig bleibt: Ihre Lebensenergie und ihre Träume kann ihnen niemand wegnehmen.
Vanessa Jopp und ihrem Drehbuchautor Kai Hermann ist ein durch und durch bemerkenswerter Film gelungen. Weitab von Hollywoodklischees und deutschem Sozialdrama entwickeln die beiden eine Geschichte, die unter die Haut geht. Das liegt an der Authentizität, die der Film an jeder Stelle beweist; man vertraut sich den Erzählern an und ist offen für die Emotionen, die die Schauspieler vermitteln. Robert Stadlober als Engel ist brillant. Hinter seiner Verzweiflung steht die Unmöglichkeit des Befreiungsschlages gegen eine Gesellschaft, die das Andersartige längst wie eine Amöbe absorbiert hat, um es zu pervertieren und schließlich auszuschlachten.
Die eigentliche Heldin des Films ist jedoch Joe. Von der Erwachsenenwelt alleingelassen, muss sie sich ganz alleine selbst finden und dabei noch genügend Kraft aufbringen, um ihren Freund zu beschützen. Jana Pallaske meistert diese Aufgabe scheinbar mühelos und liefert eine der bewegendsten Schauspielleistungen der jüngsten Vergangenheit. Wie sie die Verletzlichkeit eines 15-jährigen Mädchens und kurz darauf die enorme Stärke darstellt, die ihr die Kraft dieser bedingungslosen Liebe verleiht; wie sie mit einem kurzen Zögern und einem scheuen Blick die ganze Ambivalenz dieser Figur auf den Punkt bringt, das ist atemberaubend und aufregend. Vanessa Jopp findet für diese Geschichte immer die richtigen Bilder, hat den Riecher für die passende Musik und bewegt sich traumwandlerisch sicher durch komplexe Schnittfolgen. Fazit: An diesem Film kann man einfach nichts Schlechtes finden.
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