Ein Zuhause am Ende der Welt

Originaltitel
A home at the end of the world
Land
Jahr
2004
Laufzeit
96 min
Genre
Release Date
Bewertung
6
6/10
von Frank-Michael Helmke / 23. Dezember 2010

Die gelungene Adaption von Literatur auf die Kinoleinwand ist ein Kunststück, das den jeweiligen Drehbuch-Autor bei jedem Versuch vor eine neue Herausforderung stellt, denn die faktische Unmöglichkeit, einen Roman in all seinen Facetten und vor allem in seiner dramaturgisch wesentlich freieren Struktur in einen Film zu zwängen, wirft stets die Frage auf, wo man für die Filmversion Abstriche macht, wo neue Akzente setzt und wo mit künstlerischer Freiheit variieren kann. Weil Romanadaptionen daher oft nur noch wenig mit ihrer Vorlage zu tun haben, fühlen sich viele Buchautoren dazu berufen, die Leinwand-Umsetzung ihrer Stoffe versuchsweise selbst in Angriff zu nehmen. Dass das nicht immer eine gute Idee ist, beweist der Anlauf von Pullitzer-Preisträger Michael Cunningham, dessen Episoden-Roman "The Hours" vor zwei Jahren meisterhaft für die Leinwand adaptiert wurde. Nun steht mit "Ein Zuhause am Ende der Welt" die nächste Cunningham-Verfilmung an, der es - im Gegensatz zu "The Hours" - jedoch an Kraft und Dramatik mangelt. Und das ist hier durchaus auch die Schuld vom Drehbuch- und Romanautor in Personalunion.

Bobby Morrow heißt der eigentümliche Held von "Ein Zuhause am Ende der Welt". Bobby bekommt im Alter von neun Jahren von seinem Hippie-Bruder seinen ersten LSD-Trip verpasst, und auch wenn er anschließend den tragischen Unfalltod seines Bruders verschuldet: Dessen chillige, naive "Love & Peace"-Philosophie wird von nun an zu Bobbys Lebensmantra, was ihm auch hilft, den in den nächsten Jahren folgenden Tod seiner beiden Elternteile zu überstehen. Die Familie von Bobbys Schulfreund Jonathan Glover nimmt den Teenager bei sich auf, und das neue Familienmitglied sorgt erst mal für entspannte Atmosphäre, indem er Jonathan und seine Mutter Alice (Sissy Spacek, wie immer großartig) in die schöne beruhigende Welt des Marihuana einführt - und mit Jonathan erste unschuldige sexuelle Erfahrungen sammelt.
Acht Jahre später ist Bobby (nun gespielt von Colin Farrell) ein junger Mann, der immer noch bei seinen Ersatzeltern wohnt. Deren gesundheitsbedingter Umzug vom kalten Cleveland ins warme Arizona zwingt auch Bobby, in die Welt hinaus zu gehen - und seine erste Anlaufadresse ist natürlich Jonathan, der vor Jahren nach New York gezogen ist und dort seine Homosexualität offen auslebt. Bobby wird kurzerhand mit einquartiert in die Wohngemeinschaft mit der schrillen Clare (Robin Wright Penn), und auch sie kann dem merkwürdigen Charme von Bobby nicht lange widerstehen. Was recht bald zu einer ganz besonderen Variante einer Ménage a trois führt.

Das es sich hier um verfilmte Literatur handelt, ist bei "Ein Zuhause am Ende der Welt" überdeutlich - im positiven wie im negativen Sinne. Positiv: Facettenreiche, hochinteressante Charaktere abseits der üblichen Hollywood-Holzschnitte, und ein Handlungsverlauf, der tiefgründige Aussagen über leicht verdauliche Moralhäppchen stellt. Negativ: Ein zu sprunghafter und zusammengedrückter Plot und eine Erzählweise, die vor lauter subtilen Andeutungen es nicht schafft, dramatische Highlights zu setzen. Bestes Beispiel eine zentrale Szene, in der das Trio Jonathan, Clare und Bobby endlich all die Dinge zur Sprache bringt, die seit langem unausgesprochen zwischen ihnen stehen. Da denkt man als Zuschauer für einen kurzen Augenblick "Jetzt geht's endlich mal rund", doch da hat man sich Sekunden später schon wieder vertragen, und weiter geht's mit den vielsagenden Blicken und den unterschwelligen Andeutungen.
In dieser Art gelingt Michael Cunningham zwar eine adäquate Adaption des Romanstoffs in Filmform, jedoch nicht wirklich ein gelungener Film. Denn das visuelle Medium lebt von Konflikt und Anspannung, verlangt nach Spannungskurven, die Cunninghams Geschichte nicht liefert und auch nicht liefern will. So fließt die Handlung hübsch gleichmäßig dahin, ohne wahre Höhepunkte zu erreichen. Das ist durchgehend ganz nett anzusehen, aber halt auch zu keinem Zeitpunkt so richtig interessant. Etwas verwunderlich ist auch die recht sprunghafte Handlung, der man anmerkt, dass sie in kräftigen Sätzen durch den Plot des Romans hüpft, um alles unterzubringen. Da der Film aber bei einer recht schlanken Laufzeit von 96 Minuten bleibt, fragt man sich ernsthaft, ob ein bisschen mehr hier und da nicht besser gewesen wäre. So hinterlässt "Ein Zuhause am Ende der Welt" nämlich gerade am Ende ein etwas schales Gefühl von Nicht-fertig-erzählt und hinterlässt sein Publikum einigermaßen unbefriedigt.

Das ist alles ziemlich schade hinsichtlich der Tatsache, dass man hier eine ganz bemerkenswerte Vorstellung von Colin Farrell serviert bekommt. Der rast ja nun schon seit ein paar Jahren in Sieben-Meilen-Stiefeln die Karriereleiter zum Superstar hinauf und war dabei bisher abonniert auf starke Männerrollen aus der Alphatier-Kategorie (z.B. in "SWAT" oder "Tigerland"). Umso erstaunlicher ist sein Auftritt hier als entschieden unmännlicher Bobby, eine friedvolle Natur von fast meditativer Ruhe und Ausgeglichenheit, der einfach alles und jeden lieb hat und für den selbst das Etikett "bisexuell" irgendwie zu kategorisch klingt - wie eine Schublade für einen Charakter, der die grundsätzliche Existenzberechtigung von Schubladen in Frage stellt. Farrells Darstellung von Bobby als ein einerseits unendlich weiser Geist, der andererseits ein ewig naives Kind bleibt, ist in ihrer zerbrechlichen Sanftheit berührend wie beeindruckend und der bis dato größte Wendepunkt in Farrells Karriere - hier beweist er endgültig seine tatsächliche Vielseitigkeit und seinen Anspruch als ambitionierter Charakterdarsteller.
Mit Farrells Jenseits-aller-Schubladen-Vorstellung gewinnt auch das Portrait der eigenwilligen Beziehung von Bobby und Jonathan, die sich irgendwo im undefinierbaren Niemandsland zwischen Freunden, Brüdern und Liebhabern bewegt und ähnlich wie Bobby selbst als wunderbar, aber nicht kategorisierbar in Erinnerung bleibt.

Besondere Figuren in einer besonderen Geschichte - die Basis von "Ein Zuhause am Ende der Welt" ist wirklich mehr als gut. Dass die Verfilmung allenfalls noch gut ist, beweist ein weiteres Mal die Problematik, große Literatur großartig auf die Leinwand zu bekommen. Trotz der grandiosen Vorstellungen von Farrell und Sissy Spacek empfehlen wir daher doch: Lieber das Buch lesen.


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