Die gelungene Adaption von Literatur auf die Kinoleinwand ist ein Kunststück, das den jeweiligen Drehbuch-Autor bei jedem Versuch vor eine neue Herausforderung stellt, denn die faktische Unmöglichkeit, einen Roman in all seinen Facetten und vor allem in seiner dramaturgisch wesentlich freieren Struktur in einen Film zu zwängen, wirft stets die Frage auf, wo man für die Filmversion Abstriche macht, wo neue Akzente setzt und wo mit künstlerischer Freiheit variieren kann. Weil Romanadaptionen daher oft nur noch wenig mit ihrer Vorlage zu tun haben, fühlen sich viele Buchautoren dazu berufen, die Leinwand-Umsetzung ihrer Stoffe versuchsweise selbst in Angriff zu nehmen. Dass das nicht immer eine gute Idee ist, beweist der Anlauf von Pullitzer-Preisträger Michael Cunningham, dessen Episoden-Roman "The Hours" vor zwei Jahren meisterhaft für die Leinwand adaptiert wurde. Nun steht mit "Ein Zuhause am Ende der Welt" die nächste Cunningham-Verfilmung an, der es - im Gegensatz zu "The Hours" - jedoch an Kraft und Dramatik mangelt. Und das ist hier durchaus auch die Schuld vom Drehbuch- und Romanautor in Personalunion.
Bobby Morrow heißt der eigentümliche Held von "Ein
Zuhause am Ende der Welt". Bobby bekommt im Alter von neun
Jahren von seinem Hippie-Bruder seinen ersten LSD-Trip verpasst,
und auch wenn er anschließend den tragischen Unfalltod seines
Bruders verschuldet: Dessen chillige, naive "Love & Peace"-Philosophie
wird von nun an zu Bobbys Lebensmantra, was ihm auch hilft, den
in den nächsten Jahren folgenden Tod seiner beiden Elternteile
zu überstehen. Die Familie von Bobbys Schulfreund Jonathan
Glover nimmt den Teenager bei sich auf, und das neue Familienmitglied
sorgt erst mal für entspannte Atmosphäre, indem er Jonathan
und seine Mutter Alice (Sissy Spacek, wie immer großartig)
in die schöne beruhigende Welt des Marihuana einführt
- und mit Jonathan erste unschuldige sexuelle Erfahrungen sammelt.
Acht
Jahre später ist Bobby (nun gespielt von Colin Farrell) ein
junger Mann, der immer noch bei seinen Ersatzeltern wohnt. Deren
gesundheitsbedingter Umzug vom kalten Cleveland ins warme Arizona
zwingt auch Bobby, in die Welt hinaus zu gehen - und seine erste
Anlaufadresse ist natürlich Jonathan, der vor Jahren nach New
York gezogen ist und dort seine Homosexualität offen auslebt.
Bobby wird kurzerhand mit einquartiert in die Wohngemeinschaft mit
der schrillen Clare (Robin Wright Penn), und auch sie kann dem merkwürdigen
Charme von Bobby nicht lange widerstehen. Was recht bald zu einer
ganz besonderen Variante einer Ménage a trois führt.
Das es sich hier um verfilmte Literatur handelt, ist bei "Ein
Zuhause am Ende der Welt" überdeutlich - im positiven
wie im negativen Sinne. Positiv: Facettenreiche, hochinteressante
Charaktere abseits der üblichen Hollywood-Holzschnitte, und
ein Handlungsverlauf, der tiefgründige Aussagen über leicht
verdauliche Moralhäppchen stellt. Negativ: Ein zu sprunghafter
und zusammengedrückter Plot und eine Erzählweise, die
vor lauter subtilen Andeutungen es nicht schafft, dramatische Highlights
zu setzen. Bestes Beispiel eine zentrale Szene, in der das Trio
Jonathan, Clare und Bobby endlich all die Dinge zur Sprache bringt,
die seit langem unausgesprochen zwischen ihnen stehen. Da denkt
man als Zuschauer für einen kurzen Augenblick "Jetzt geht's
endlich mal rund", doch da hat man sich Sekunden später
schon wieder vertragen, und weiter geht's mit den vielsagenden Blicken
und den unterschwelligen Andeutungen.
In dieser Art gelingt Michael Cunningham zwar eine adäquate
Adaption des Romanstoffs in Filmform, jedoch nicht wirklich ein
gelungener Film. Denn das visuelle Medium lebt von Konflikt und
Anspannung, verlangt nach Spannungskurven, die Cunninghams Geschichte
nicht liefert und auch nicht liefern will. So fließt die Handlung
hübsch gleichmäßig dahin, ohne wahre Höhepunkte
zu erreichen. Das ist durchgehend ganz nett anzusehen, aber halt
auch zu keinem Zeitpunkt so richtig interessant. Etwas verwunderlich
ist auch die recht sprunghafte Handlung, der man anmerkt, dass sie
in kräftigen Sätzen durch den Plot des Romans hüpft,
um alles unterzubringen. Da der Film aber bei einer recht schlanken
Laufzeit von 96 Minuten bleibt, fragt man sich ernsthaft, ob ein
bisschen mehr hier und da nicht besser gewesen wäre. So hinterlässt
"Ein Zuhause am Ende der Welt" nämlich gerade am
Ende ein etwas schales Gefühl von Nicht-fertig-erzählt
und hinterlässt sein Publikum einigermaßen unbefriedigt.
Das
ist alles ziemlich schade hinsichtlich der Tatsache, dass man hier
eine ganz bemerkenswerte Vorstellung von Colin Farrell serviert
bekommt. Der rast ja nun schon seit ein paar Jahren in Sieben-Meilen-Stiefeln
die Karriereleiter zum Superstar hinauf und war dabei bisher abonniert
auf starke Männerrollen aus der Alphatier-Kategorie (z.B. in
"SWAT" oder "Tigerland").
Umso erstaunlicher ist sein Auftritt hier als entschieden unmännlicher
Bobby, eine friedvolle Natur von fast meditativer Ruhe und Ausgeglichenheit,
der einfach alles und jeden lieb hat und für den selbst das
Etikett "bisexuell" irgendwie zu kategorisch klingt -
wie eine Schublade für einen Charakter, der die grundsätzliche
Existenzberechtigung von Schubladen in Frage stellt. Farrells Darstellung
von Bobby als ein einerseits unendlich weiser Geist, der andererseits
ein ewig naives Kind bleibt, ist in ihrer zerbrechlichen Sanftheit
berührend wie beeindruckend und der bis dato größte
Wendepunkt in Farrells Karriere - hier beweist er endgültig
seine tatsächliche Vielseitigkeit und seinen Anspruch als ambitionierter
Charakterdarsteller.
Mit Farrells Jenseits-aller-Schubladen-Vorstellung gewinnt auch
das Portrait der eigenwilligen Beziehung von Bobby und Jonathan,
die sich irgendwo im undefinierbaren Niemandsland zwischen Freunden,
Brüdern und Liebhabern bewegt und ähnlich wie Bobby selbst
als wunderbar, aber nicht kategorisierbar in Erinnerung bleibt.
Besondere Figuren in einer besonderen Geschichte - die Basis von "Ein Zuhause am Ende der Welt" ist wirklich mehr als gut. Dass die Verfilmung allenfalls noch gut ist, beweist ein weiteres Mal die Problematik, große Literatur großartig auf die Leinwand zu bekommen. Trotz der grandiosen Vorstellungen von Farrell und Sissy Spacek empfehlen wir daher doch: Lieber das Buch lesen.
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