MOH (123): 14. Oscars 1942 - "Die Spur des Falken"
In unserer Serie "Matthias' Oscar History" (MOH) bespricht Matthias in jeder Folge jeweils einen der zwischen den Jahren 1929 und 2000 nominierten Oscar-Beiträge aus der Kategorie "Bester Film".
In unserer letzten Folge hatte unsere Hauptfigur dem Tod gerade noch so von der Schippe springen können, im Klassiker "Die Spur des Falken" ist das für manche unsere Figuren ebenfalls eine Alltagsbeschäftigung.
Die Spur des Falken (MOH)
Film-Genres entstehen nicht einfach über Nacht. Oft wird John Hustons "Die Spur des Falken" (hier in unserer Gold-Rubrik ja schon einmal besprochen) zwar als Geburtsstunde des Film noir betitelt, doch so eine Geburt benötigt meist eine ordentliche Zeit an Vorlauf. Viele der später für das Genre so typischen Stilmittel hatten sich so schon früher in anderen Werken blicken lassen – in unserer Oscar-Reihe schön am Beispiel "Das Geheimnis von Malampur" zu sehen. Mit "Die Spur des Falken" bringt Regisseur John Huston ("Moby Dick") aber all jene Elemente zum ersten Mal wirklich durchdacht zusammen: die von harten Schatten durchzogene, moralisch brüchige Welt, den abgeklärten, zynischen Privatdetektiv, die rätselhafte Femme Fatale. Dass dies ausgerechnet einem Regieneuling unter nicht gerade idealen Produktionsbedingungen gelang, ist dabei ein kleines Wunder und einer von vielen bemerkenswerten Aspekten dieses Films. Doch bei all der Begeisterung über die hocheffiziente Erzählweise, einen großartigen Humphrey Bogart und die unglaublich souveräne Inszenierung wird es hier am Ende nicht ganz für die Höchstwertung reichen, weil dieses wundervolle Stück Rohdiamant gerade visuell noch einen Tick zu ungeschliffen daherkommt.
Mit jeder Menge Ecken und Kanten kommt auf jeden Fall der Privatdetektiv Sam Spade (Humphrey Bogart, "Sackgasse", "Opfer einer großen Liebe") daher, der gemeinsam mit seinem Partner Miles Archer (Jerome Cowan) ein Detektivbüro in San Francisco betreibt. Gerne erledigt Spade dabei auch mal die Drecksarbeit – vorausgesetzt natürlich, die Bezahlung stimmt. Eines Tages taucht die geheimnisvolle Ruth Wonderly (Mary Astor, "Zeit der Liebe, Zeit des Abschieds") auf, die um Hilfe bei der Suche nach ihrer verschwundenen Schwester bittet. So ganz glaubwürdig wirkt die junge Dame zwar nicht, aber Kohle ist nun mal Kohle. Als bei den ersten Ermittlungen jedoch gleich Spades Partner ermordet wird, schwant diesem, dass der Auftrag wohl deutlich gefährlicher werden könnte als zunächst gedacht. Diese Ahnung bestätigt sich, als kurz darauf der windige Joel Cairo (Peter Lorre, "M - Eine Stadt sucht einen Mörder", "Casablanca") mit einer Waffe in Spades Büro auftaucht. Und das soll nicht die letzte Überraschung in einem Fall sein, der sich schon bald als die mit harten Bandagen geführte Jagd nach einer wertvollen Statue entpuppt.
Diese Statue, der Maltese Falcon, ist natürlich ein klassischer MacGuffin und gilt in der Filmgeschichte heute als eines der berühmtesten Exemplare dieser Art. So geht es in "Die Spur des Falken" weniger darum, wer nachher die Statue in den Händen halten darf, sondern vor allem um den Weg dorthin. Diesen geht man als Zuschauer gleich zusammen mit einem ganzen Haufen faszinierender und undurchschaubarer Figuren, deren nächste Schritte meist im Dunkeln liegen. Denn Vertrauen und Ehrlichkeit sind in dieser Welt der harten Privatdetektive, korrupten Cops, windigen Gangster und undurchschaubaren femmes fatales nun mal Mangelware.
Eine Welt, die vom Autor der Buchvorlage sozusagen mitbegründet wurde. Dashiell Hammett etablierte mit seinen Geschichten rund um Sam Spade Anfang der 1930er eine neue Art des amerikanischen Kriminalromans mit dem Privatdetektiv als Antihelden. Er hatte beim Publikum damit so viel Erfolg, dass Hollywood natürlich direkt auf den Zug aufspringen wollte. Schon 1931 sicherte sich darum Warner Brothers die Rechte an dem Stoff und ließ die Geschichte von Regisseur Roy Del Ruth ("Broadway-Melodie 1936") direkt auf Zelluloid bannen. Die eher unspektakulär umgesetzte Version war 1931 zwar ein moderater, aber kein großer Erfolg. Als sich dann die Verfilmung von Dashiell Hammetts eher augenzwinkerndem Detektivroman "Der dünne Mann" 1934 an der Kinokasse als Hit erwies, gab man dem Stoff eine neue Chance und versuchte, diesen kurzerhand zur Komödie umzuschreiben. Das als Starvehikel für die aufstrebende Bette Davis ("Die kleinen Füchse") gedachte Werk mit dem Titel "Satan Met a Lady" floppte aber 1936 böse an der Kinokasse. So landete das Buch erst mal im Giftschrank, bis sich schließlich John Huston 1941 zum dritten Mal an einer Filmumsetzung versuchen durfte.
Dass dies so kam, ist erst mal erklärungsbedürftig, war für den Erfolg des Films aber mitentscheidend. John war der Sohn des berühmten Schauspielers Walter Huston ("Zeit der Liebe, Zeit des Abschieds"), womit ihm eigentlich eine Filmkarriere in die Wiege gelegt war. Die kann man aber auch leicht dort wieder rauskicken – vor allem, wenn man sich als trinkfreudiger Hallodri entpuppt. Seine erste Chance auf eine große Karriere vermasselte sich Huston, der in seiner Anfangszeit in Hollywood immerhin Drehbücher für Regisseur William Wyler schrieb, mit einem tragischen Unfall. Mit seinem Auto (und vermutlich angetrunken) überfuhr und tötete er die brasilianische Schauspielerin und Tänzerin Tosca Roulien. Die nächsten Jahre war Huston daraufhin erst mal Persona non grata in Hollywood und verließ die Traumfabrik. Einige Jahre später kehrte er zurück und wurde zwar zuerst skeptisch beäugt, machte aber mit Drehbüchern zu so erfolgreichen Filmen wie "Jezebel – Die boshafte Lady" und "Sergeant York" schnell wieder auf sich aufmerksam.
Den großen Traum von der eigenen Regie vor Augen unterbreitete Huston daraufhin Warner Brothers ein Angebot. Er würde seinen Vertrag verlängern und weitere Drehbücher liefern, wenn man ihn denn einmal nur Regie führen lassen würde. Warner Brothers schlug ein, minimierte angesichts der etwas überraschenden Stoffwahl von Huston und dessen Unerfahrenheit aber das Risiko. So stellte man Huston kaum Geld und erst recht keine große Starpower zur Verfügung. Womit "Die Spur des Falken" am Ende eher eine klassische B-Movie-Produktion als ein prestigereiches Studioprodukt war. Dass daraus schließlich ein Filmklassiker werden sollte, liegt daran, dass ein Mangel an Ressourcen eben gerne auch mal die Kreativität fördert. Und der Tatsache, dass Huston aus dieser großen Chance alles rausholen wollte und im Vorfeld darum wie besessen jeden Shot minutiös bis ins Detail plante und probte.
Diesen Perfektionsgeist merkt man dem Film an. "Die Spur des Falken“ wirkt wie eine perfekt geölte Maschine und präsentiert uns eine Story, die ohne ein Gramm Fett daherkommt. Jede Szene treibt hier entweder die Geschichte oder die Charakterentwicklung weiter voran, was den Film wirklich unglaublich kurzweilig macht – auch wenn der Anfang gefühlt schon fast ein wenig zu flott wirkt. Um das Erfolgsrezept von "Die Spur des Falken“ zu verstehen, lohnt sich ein Blick auf die erste Verfilmung aus dem Jahr 1931. Beide Filme halten sich relativ nah an die Buchvorlage, was zu zahlreichen ähnlichen Szenen führt. Ironischerweise war sogar der Art Director (Robert Haas) bei beiden Filmen derselbe. Und doch fällt die Wirkung der Szenen komplett anders aus (sehr schön zu sehen anhand von zwei Videobeispielen, die weiter unten folgen). Interessantere Kameraeinstellungen, ein um Längen besseres Schauspielensemble, die einfallsreichere Regie – es sind viele Stellschrauben, die richtig gedreht hier am Ende zu einem komplett anderen Filmerlebnis führen.
Das beginnt bei der gerade für einen "Frischling“ unglaublich souveränen Inszenierung von Huston. Gerade wenn mehrere Figuren im Bild sind, was vor allem in der zweiten Hälfte oft der Fall ist, nutzt Huston geschickt deren Positionierung für cleveren Spannungsaufbau. Dazu spielt er immer wieder mit interessanten Kameraeinstellungen, so gleich mehrmals in einer längeren Sequenz, bei der Spade auf den zwielichtigen Kasper Gutman trifft. Gerade wie Huston aus wenigen Locations möglichst viel Abwechslung und Spannung herausholt, ist schon eindrucksvoll.
Das entscheidende Trumpf-Ass des Films sind aber seine Figuren. Da kann man sich natürlich bei der Buchvorlage bedanken, die uns gleich mehrere archetypische, aber nie klischeehaft wirkende Protagonisten serviert. Der gönnerhaft auftretende Gangsterboss, der windige Kleinkriminelle, der leicht provozierbare Jungspund, die undurchschaubare Femme Fatale – und mittendrin unser cooler Privatdetektiv. Dieses Gerüst funktioniert hier großartig, vor allem dann, wenn all diese Figuren sich in einem Raum aufhalten. Konfliktpotenzial en masse, was Huston immer wieder auf wundervolle Weise nutzt, um die Spannungsschraube weiter anzuziehen. Glücklicherweise kann er sich dabei auch noch auf ein tolles Schauspielensemble verlassen, das die Figuren sehr gut zum Leben erweckt.
So sind Peter Lorre und Sidney Greenstreet perfekt in ihren Rollen und versprühen, jeder auf seine eigene Art, den perfiden Charme der Skrupellosigkeit kombiniert mit einem Hauch Exzentrik (mit Bogart würden beide schon ein Jahr später in "Casablanca" gleich nochmal Filmgeschichte schreiben). In der Mitte von allen thront aber Humphrey Bogart, dem diese Rolle auf den Leib geschrieben ist. Huston hatte kurz davor das Drehbuch zu Bogarts erster Hauptrolle in "Entscheidung in der Sierra“ beigesteuert und sich auf der Basis für den bis dato etwas glücklosen Schauspieler entschieden. Das Ergebnis ist wohl eines der passgenauesten Castings der Filmgeschichte, denn Bogart bringt genau die richtige Mischung aus kühlem Zynismus, verschmitztem Charme und einer ganz leichten Prise Verletzlichkeit für die Rolle mit. Das verleiht Sam Spade eine Art überlebensgroße charismatische Härte, die einfach nur faszinierend ist. Wobei man den Einfluss der Rolle von Lee Patrick als Spades treue Sekretärin dabei nicht unterschätzen sollte – deren gemeinsamer immer mal wieder aufflackernder lockerer Smalltalk hat gehörigen Anteil daran, dass Spade nicht ins Unsympathische abrutscht. Und die Tatsache, dass Spade der Einzige ist, der hier zumindest noch einen Anflug von moralischem Kompass zeigt.
Mit Bogarts Sam Spade hat der Film so den perfekten Anker für sein meist so wundervoll unberechenbar agierendes Figurenkarussell gefunden. Das Ergebnis ist ein verdammt unterhaltsamer Film, der 1941 zum gefeierten Kassenschlager avancierte und den Startpunkt für die legendären Karrieren von Huston und Bogart markieren sollte. Und doch, wenn man den Film heute sieht, droht die Gefahr, dass man angesichts der vielen Vorschusslorbeeren auch etwas enttäuscht ist. Damit meinen wir aber nicht die deutsche Version des Films, deren neu eingespielter frivoler Jazz-Soundtrack dem Film eine komplett andere, irritierende Grundstimmung verleiht (zur allgemeinen Belustigung/Entsetzen folgt weiter unten dazu ein Video mit einem Musikvergleich).
Nein, "Die Spur des Falken“ dürfte ironischerweise gerade diejenigen enttäuschen, die schon einmal andere Film-noir-Filme gesehen haben. Es stimmt zwar, dass "Die Spur des Falken" zum ersten Mal viele der typischen Film-noir-Elemente wirklich abgestimmt aufeinander kombiniert. Doch im Vergleich zu späteren Werken des Genres kommt "Die Spur des Falken“ fast ein bisschen zu brav und glatt daher. Das liegt auch daran, dass der Film zur Hochzeit des Hays Code produziert wurde und viele „gewagtere“ Passagen des Buches hier entschärft sind. Der heftige Alkoholkonsum von Spade wird nur angedeutet, sexuelle Anzüglichkeiten unterdrückt und zum Beispiel die Homosexualität einer Figur lediglich angedeutet (da war die 1931-Version schon deutlich progressiver). Auch das Ende – das liegt aber an der Buchvorlage – fällt für das Genre etwas handzahm aus. Vor allem aber kommt "Die Spur des Falken“ visuell ein wenig flach daher – zumindest, wenn man es eben mit späteren Werken des Film noir vergleicht. Die haben deutlich mehr und spannender mit Licht und Schatten gespielt und noch stärker dem expressionistischen Look des deutschen Stummfilms gehuldigt. "Die Spur des Falken“ wirkt visuell da im Vergleich deutlich weniger künstlerisch und markiert sozusagen den Übergang zwischen klassischer Studioästhetik und genre-spezifischer Bildsprache.
Angesichts der Tatsache, dass Huston mit seinem Film so eine wundervolle Vorlage für das Genre lieferte, ist diese Kritik natürlich irgendwie unfair. Aber doch auch berechtigt. Für eine wirklich intensive Dosis Film-noir sollte man sich also eher spätere Werke des Genres anschauen. Was trotzdem bleibt, ist ein faszinierendes Regiedebüt, die Geburt einer Schauspielikone und einfach ein verdammt kurzweiliger Film. Und das ist auch über 80 Jahre später ja noch echt Grund zur Freude.
"Die Spur des Falken" ist aktuell als DVD, Blu-ray sowie digital auf Amazon in Deutschland verfügbar.
Trailer des Films.
Moderner Trailer für die 4K-Version.
Szene: Sam (Humphrey Bogart) erhält Besuch (Peter Lorre)
Szene: Die gleiche Szene wie oben, aber diesmal aus der 1931 Version. Der Text ist fast identisch, die Wirkung aber eine ganz andere.
A propos Wirkung, hier der Musikvergleich zwischen der englischen und der deutschen Version – da soll noch einer sagen, Musik ist nur nebensächlich.
Ausblick
In unserer nächsten Folge widmen wir uns dem "Best Picture"-Gewinner dieses Jahrgangs und damit einer der wohl größten Ungerechtigkeiten der Oscar-Geschichte.
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