
Harry Potter, was nun? Über eine Dekade war Daniel Radcliffe der Welt liebster Zauberlehrling und wuchs unter den Augen von Milliarden von Zuschauern vom pausbäckigen Vorteenager zum jungen Mann heran. Die Antwort auf die Frage, mit welchem Nachfolgeprojekt Radcliffe nun die Post-Potter-Ära beginnt, trägt schwarz und kommt in gruseligen Nebelschwaden und mit dem Geräusch von knarrenden Türen daher.
So ganz kann Radcliffe offenbar nicht vom Übersinnlichen lassen, denn auch als der junge Anwalt Arthur Kipps muss er sich nun mit Dingen beschäftigen, die nicht (mehr) von dieser Welt stammen, wie die titelgebende Frau in Schwarz. In dem in den 1910er Jahren spielenden Film ist Kipps eigentlich auf einer reinen Routinemission unterwegs, die für ihn trotzdem überlebenswichtig ist. Denn seit dem Tod seiner Frau bei der Geburt ihres Sohnes ist Kipps nur noch ein Schatten seiner selbst und es droht ihm der Rauswurf. Seine letzte Chance: ein unpopulärer Trip ins abgelegenste Nordostengland, um dort einen Nachlass zu klären. Schon bei der Ankunft in dem kleinen Ort Crythin Gifford muss Kipps feststellen, dass diese Arbeit nicht ganz so einfach ist. Die Dorfbewohner geben sich seltsam feindselig gegenüber dem Fremden, einzig der im Zug getroffene Sam Daily (Ciaran Hinds) bietet Unterstützung an. Und als sich Kipps dann in dem alten viktorianischen Haus, das durch die Flut stundenlang von der Außenwelt abgeschnitten ist, zu Arbeitszwecken einrichtet, merkt er bald, das er dort nicht ganz so allein ist wie er glaubte. Er sieht eine ominöse in Schwarz gekleidete Frau und alsbald beginnen die unerklärlichen Ereignisse um ihn herum rasant zuzunehmen…
Susan Hills „Die Frau in Schwarz“ ist seit seinem Erscheinen 1983 so etwas wie ein moderner Klassiker des distinktiv britischen Schauerromans geworden und hat es nun nach einer Adaption fürs Theater (die seit 1987 ununterbrochen [!] im Londoner West End läuft) und einer Fernsehverfilmung endlich auf die Kinoleinwände geschafft. Und das noch unter einem Banner, das wie kein Zweites für englischen Leinwandhorror steht: Die Filme der Hammer-Studios machten schließlich Christopher Lee und Peter Cushing zu Stars, belebten ab Mitte der 1950er Jahre die marode englische Filmindustrie und sorgten durch ihre modernisierten Versionen klassischer Gruselstoffe – besonders des von Lee dargestellten Dracula – für ein wichtiges Bindeglied zwischen den klassischen Monsterfilmen aus dem Hause Universal der 1930er Jahre und dem modernen Horrorfilm.
Dem Augenschein nach passt hier also alles zusammen, um Genrefans einen stimmungsvollen Klassiker zu präsentieren. Aber das wiederbelebte „Hammer“ ist 2012 natürlich hauptsächlich ein Markenname, dessen bis dato einzig erwähnenswerter Genrebeitrag immerhin das ausgesprochen gelungene Remake „Let Me In“ war. Und so sehr Hills Geschichte auch selbst ein kleiner Klassiker ist, so sehr bedient sie sich bei den Stereotypen des Schauerromans, was sich dann zwangsläufig auch in der Verfilmung von James Watkins niederschlägt.
Der hat die Kinder-als-Täter seines Erstlings „Eden Lake“ nun gegen Kinder-als-Opfer eingetauscht, bleibt aber angesichts seines Willens, einen klassischen Gruselfilm alter Schule zu inszenieren, bei den üblichen Ingredienzien und „Buh!“-Effekten hängen. Da gucken dann die Dorfbewohner gewohnt grimmig, ständig ziehen Nebelschwaden übers unwirtliche Küstenland, Türen gehen grundsätzlich nur mit Knarren auf und dann und wann huscht dann eben auch die Frau in Schwarz durchs Bild oder taucht als Spiegelbild irgendwo auf, um den Zuschauer zusammenzucken zu lassen.
So zumindest die Theorie, denn in der Praxis ist das alles doch eine ziemlich öde Geisterbahn, die hier vollzogen wird. Keine Frage, atmosphärisch stimmig ist das zwar und nach all den im Musikvideostil gedrehten Folterhorrorstreifen sind der behutsame Aufbau und die klassischen Schrecktaktiken für manchen sicherlich Balsam. Aber die gut abgehangenen Tricks sind eben genau das und schaffen es nur in den seltensten Momenten, tatsächlich Erschrecken, Bedrohung oder die gute alte Gänsehaut zu erzeugen. Und es gibt eben auch keinen besonderen Grund, warum man nun im Jahre 2012 noch eine vollkommen klassisch geschriebene und umgesetzte Geistergeschichte sehen muss, die so auch vor 50 Jahren zur Blütezeit des „Hammer Horror“ hätte entstehen können.
Ergebnis ist, dass sich dieser gerade mal anderthalb Stunden lange Film in der ersten Stunde zieht wie ein Kaugummi, da alle klassischen Stationen ohne größere Effektivität abgearbeitet werden und die simple Geschichte einigen Anlauf braucht, um überhaupt ein bisschen in Schwung zu kommen. Und dann geht’s eigentlich auch schon auf zu einem einigermaßen enttäuschenden Finale, denn auch hier gibt es keine nennenswerte Überraschung, was wiederum selbst erwähnenswert ist: Während andere klassische Schauergeschichten der letzten Jahre wie „The Others“ dann ja zumindest noch mit einer verblüffenden Schlusswendung daherkamen, wartet man bei „Die Frau in Schwarz“ bis zum Abspann vergeblich darauf, dass da jetzt noch etwas einigermaßen Beeindruckendes kommt.
Gerade das Ende des Films leidet darunter, dass Arthurs Aktionen, um den Fluch der Frau in Schwarz zu beenden, nachträglich relativ sinnlos dastehen. Immerhin darf man mal kurz darüber diskutieren, ob man die letzte Einstellung des Films jetzt als die Variante eines Happy Ends lesen kann, so wie es einem der Film suggeriert, oder ob es sich dabei auch um faulen Zauber handelt.
Aber ein wenig enttäuscht darf man schon sein, dass aus manchen Elementen hier nicht mehr gemacht wird. So wird in einer beeindruckenden Sequenz gezeigt, wie abgelegen und isoliert das Haus durch den Rhythmus der Gezeiten wirklich liegt, Relevanz hat das für die Geschichte aber letztlich keine. Was hätte man aus dieser Situation machen können! Jedenfalls wesentlich mehr, als es der Film dann tut. Ähnliches gilt auch für die Figur des Daily, der man allein schon ein wenig misstraut, weil sie von Ciaran Hinds gespielt wird. Und so erwartet man, dass dieser Charakter für die Enthüllungen der Geschichte noch mal relevant wird und ihn ein eigenes Geheimnis mit der Frau in Schwarz verbindet – eine Erwartung, die ebenfalls ziemlich enttäuscht wird.
Und so bleibt „Die Frau in Schwarz“ dann wirklich nicht mehr als eine atmosphärische Fingerübung ohne besondere Relevanz, Tiefe oder Wirkung. Solide inszeniert und – gerade von Radcliffe, der hier quasi eine Einmann-Show abliefert – genauso solide gespielt, aber solide ist ja nur der etwa hübschere Stiefbruder von langweilig und überflüssig.
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