Die 42. Straße

MOH (36): 6. Oscars 1934 - "Die 42. Straße"

In unserer Serie "Matthias' Oscar History" (MOH) bespricht Matthias in jeder Folge jeweils einen der zwischen den Jahren 1929 und 2000 nominierten Oscar-Beiträge aus der Kategorie "Bester Film".

von Matthias Kastl / 16. Januar 2024

Nach der ordentlichen Portion Melodrama der letzten Folge, kommen wir heute wieder ganz leichtfüßig daher. Zu verdanken ist dies vor allem dem legendären Choreographen Busby Berkeley, der sich vor allem gegen Ende des 1934 für den Oscar nominierten "Die 42. Straße" so richtig kreativ austoben darf und dabei nebenbei das Musical-Genre wiederbelebte.

Die 42. Straße

Originaltitel
42nd Street
Land
Jahr
1933
Laufzeit
89 min
Genre
Regie
Release Date
Oscar
Nominiert "Outstanding Production"
Bewertung
7
7/10

Einer der schönsten Aspekte dieser kleinen Reihe ist ja, dass man miterlebt wie sich die Filmsprache Hollywoods in der Frühzeit mit jedem Jahr wieder etwas weiterentwickelt. Vor kurzem waren wir hier noch Zeuge, wie die Einführung des Tonfilms die Branche vor deutliche technische Schwierigkeiten stellte und gerade die in dieser Zeit so häufig eingesetzten Musik- und Tanzdarbietungen oft sehr gezwungen und uninspiriert daherkamen. Das merkte auch das damalige Publikum und so befand sich das Genre des Filmmusicals schon kurz darauf wieder auf einem absteigenden Ast. Bühne frei für “Die 42. Straße“, das dank der Kreativität seines Regisseurs Lloyd Bacon und dem Choreographen Busby Berkeley dem Genre neues Leben einhauchte.

Frische Energie benötigt im Film auch der begnadete aber kurz vor der Pleite stehende Regisseur Julian Marsh (Warner Baxter, "In Old Arizona"). Für sein letztes großes Projekt, dem Musical “Pretty Lady“, fordert dieser darum schon bei den Proben von seinem großen Star Dorothy (Bebe Daniels) und selbst der Newcomerin Peggy (Ruby Keeler) einiges ein. Die beiden versuchen den Druck hinter der Bühne mit etwas Romantik auszugleichen, doch während Peggy offen mit Co-Star Billy (Dick Powell) flirten darf, muss Dorothy ihre Beziehung mit Pat (George Brent) geheim halten. Der Geldgeber des Theaterstücks Abner Dillon (Guy Kibbee) hat ihr die Hauptrolle nämlich nicht ohne “romantische“ Hintergedanken besorgt und sollte lieber nicht verärgert werden.


Zugegeben, inhaltlich kommt “Die 42. Straße“ schon eher dünn daher. Bei seinem Blick hinter die Kulissen des Musicals springt der Film oft zwischen eher mäßig interessant gezeichneten Figuren und vorhersehbaren Entwicklungen hin und her. Meist wird einfach nur mit spitzer Zunge flapsig das Geschehen kommentiert, wobei das nur manchmal sitzt und öfters eher ein müdes als ein breites Lächeln erntet. Wie öfters in dieser Zeit zeigen interessanterweise wenn überhaupt die Frauenrollen etwas Vielschichtigkeit. Ruby Keeler entwickelt so zumindest ein wenig Charme in der Rolle des naiv-verträumten Mädchens und Bebe Daniels Darstellung der reiferen und toughen Dorothy wirkt durchaus modern und überzeugend. Die Männer dagegen wirken fast alle ziemlich austauschbar und nur Warner Baxter entwickelt ein paar Ecken und Kanten, spielt aber auch häufig einfach eine Spur zu übertrieben theatralisch.

Das diese Belanglosigkeiten irgendwie möglichst bunt überstrichen werden müssen, um das Publikum zu unterhalten, begreift aber glücklicherweise Regisseur Lloyd Bacon. Der war eigentlich gar nicht die erste Wahl für den Film, lässt sich davon aber nicht beirren. In keinem anderen Film unserer kleinen Reihe war die Kamera bisher soviel in Bewegung wie hier. Der Schwung und die Cleverness mit der hier Kamerafahrten eingesetzt werden ist schlicht beeindruckend für die Zeit und das so generierte Energielevel vieler Szenen schon fast ansteckend. Das macht das schwächelnde Drehbuch zwar nicht besser aber auf jeden Fall deutlich erträglicher. Das gilt ebenfalls für den Schnitt. Der Film schneidet oft sehr schnell zwischen Szenen und Schauplätzen hin und her, was zwar zur Oberflächlichkeit des Geschehens beiträgt, aber eben auch nie so richtig Langeweile aufkommen lässt.


Und am Ende hat man dann noch ein ganz großes Ass im Ärmel. Der Weg dahin ist allerdings wieder etwas steinig beziehungsweise inhaltlich schwach auf der Brust, da man sich den Pfad zum (vorhersehbaren) Höhepunkt schon sehr unglaubwürdig zusammenkonstruiert. Aber da haben die Macher gefühlt sowieso schon eingesehen, dass das Schicksal ihrer Figuren am Ende sowieso zweitrangig ist und entscheiden sich darum für die letzten 20 Minuten im Wesentlichen nur mehrere aneinandergereihte Aufnahmen von Shownummern zu präsentieren. Das ist aber eine sehr weise Entscheidung, denn was Choreograph Busby Berkeley nun auf die Bühne zaubert ist auch heute noch teils spektakulär.

Ob ein kompletter Zug, der sich auf der Bühne auf einmal aus dem Nichts aufbaut oder das große Finish auf der namensgebenden 42. Straße, das Duo Berkeley und Bacon liefert hier eine Glanzleistung ab. Für Berkeley war es dabei der große Durchbruch als Choreograph. Seine Vorliebe eine große Anzahl Tänzer und Tänzerinnen für komplexe geometrische Figuren einzusetzen, für die er noch heute so berühmt ist, darf schon hier bewundert werden. Da die Lieder auch ganz schmissig und unterhaltsam sind ist das Finish nicht nur für die Augen sondern auch die Ohren ein kreatives Freudenfest.

Und so ist es auch nicht überraschend, dass “Die 42. Straße“ ein Kassenerfolg wurde, das schon fast an die Wand gefahrene Musicalgenre neu belebte und heute als Wegbereiter für dessen moderne Nachfolger gilt. Bei aller Freude über diese dringend nötige Kreativ- und Energiespritze für das Genre darf man aber trotzdem nicht vergessen, dass man sich in dem Film auch lange Zeit durch eine ziemlich belanglose Story kämpfen muss, bevor einem die große Kreativperle am Schluss präsentiert wird. Lohnen tut sich das Warten aber auf alle Fälle.

"Die 42. Straße" ist aktuell als DVD auf Amazon in Deutschland verfügbar.

 

Ein kleiner Blick auf eine typische Busby Berkeley Nummer aus dem Film, die klein startet um dann... aber seht selbst.


Ausblick
In unserer nächsten Folge halten wir das Gute-Laune-Feeling weiter hoch und lernen was es bedeutet, wenn ein Film "Capraesque" daherkommt.

Bilder: Copyright

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