Der die Tollkirsche ausgräbt

Originaltitel
Der die Tollkirsche ausgräbt
Jahr
2006
Laufzeit
43 min
Genre
Release Date
Bewertung
6
6/10
von Moritz Piehler / 14. Februar 2011

 

Ein heller kreisrunder Mond hängt über dem Herrenhaus, bleich geschminkte Figuren stolpern zur Orchestermusik die Treppen herunter. Durch die Nebelschwaden bahnt sich eine Frau im wehenden weißen Kleid den Weg durchs Gebüsch. Was sich in der Beschreibung anhört wie ein Gothic-Treffen, ist tatsächlich Franka Potentes Regiedebüt. Es gibt für Schauspieler kaum etwas Schlimmeres, als ewig festgenagelt zu sein auf eine bestimmte Rolle. Für Franka Potente ist das die ewig rennende Lola, mit der sie bekannt geworden ist und die ihr immerhin zu einigen Hollywood-Rollen verholfen hat. Aber irgendwann will man ein Image loswerden, und dafür macht man am Besten etwas völlig anderes als bisher.
Sollte das Franka Potentes Ziel gewesen sein, so hat sie es mit "Der die Tollkirsche ausgräbt" erreicht. Denn sie wechselt für den langen Kurzfilm nicht nur zum ersten Mal hinter die Kamera, sondern bewegt sich mit dem Schwarz-Weiß-Stummfilm auch in einem Genre, bei dem die Kinobetreiber nicht gerade mit dicht gedrängten Kassenschlangen zu kämpfen haben.
Die Geschichte des passenderweise 1918 spielenden Films ist angelehnt an den klassischen Stummfilm. Tochter aus reichem Haus soll nach Willen des gierigen Vaters reichen Mann heiraten, will aber nicht, Alternativprinz kommt, Liebe, Schluss. Potente, die auch das Buch geschrieben hat, mischt in die in den Schlusswirren des Kaiserreiches spielende Geschichte noch eine Portion Mystik und Märchen und schafft so einen kleinen Ausflug in die surreale Welt des Expressionismus. Da werden Zaubersprüche angewandt und Dämonen tauchen auf, und natürlich kommt auch die titelgebende Tollkirsche zu ihrem Auftritt als Zaubertrank. Außerdem vermischt sich das historische Setting mit einer modernen Komponente, denn die Rettung aus der Misere verspricht ausgerechnet ein aus der Zukunft angereister Punker. Der kann sogar richtig laut sprechen, was aber zu Kommunikationsschwierigkeiten mit den Stummfilmcharakteren führt.
Diese Verbindung in heutige Zeiten bleibt aber auch die einzige, denn der Film versteht sich von den Kameraeinstellungen bis zur Filmmusik als Hommage an die großen Stummfilmer und Expressionisten wie Ernst Lubitsch oder Luis Bunuel. Dafür erweist es sich als Glücksgriff, mit Frank Griebe einen renommierten Kameramann an der Seite zu haben, der mit Verstand die klassischen Techniken wie Stopptrick und Kreisblende einsetzt. Dazu sorgt der Soundtrack von Matthias Petsche und dem Filmorchester Babelsberg für eine passende Stummfilmumgebung.
Zwischen Slapstick-Komödie und düsterem Märchen bewegt sich der Kurzfilm, was den Schauspielern alle Möglichkeiten lässt, die sie dann auch genüsslich ausnutzen. Besonders die mit Franka Potente befreundete Fotografin Emilia Sparagna, in ihrer ersten Rolle als Tochter Cecilie, passt mit ihrem übertriebenen Mienenspiel perfekt zur Rolle. Und auch Justus von Dohnányi als kaisertreuer Vater, der in dem Punk den nächsten Monarchen zu erkennen glaubt, und Max Urlacher als reicher Anwärter Alfred haben sichtlich Spaß am Stummschauspielern.

Es ist schon ein außergewöhnliches Regiedebüt, vor allem für die heutigen Sehgewohnheiten. Aber so richtig kann sich Potente nicht für die Richtung entscheiden, die der Film nehmen soll. Von allem ist ein bisschen drin, so dass man "Der die Tollkirsche ausgräbt" eher als persönliches Spielzimmer zum Austoben für Regisseurin und Schauspieler betrachten kann. Das geschieht allerdings mit Liebe zum Detail und einigen komischen Einfällen - "komisch" sowohl im Sinne von "seltsam" wie auch im Sinne von "witzig".


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