In Amerika sagt man, es gebe nichts Neues unter der Sonne. Auf Film angewandt, könnte man sagen: Es gibt nichts Neues unter dem Blutmond des Horrorfilms, dem wohl abgeschmacktesten und unkreativsten aller Filmgenres. Umso schöner ist es, dass in diesem Frühjahr gleich mehrere Filme dieses oftmals zu Recht verunglimpften Genres sich daran machen, das Gegenteil zu beweisen. In ein paar Wochen folgt der grandiose „It Follows“, erst einmal darf aber der Babadook einen das Fürchten lehren. Aber wer oder was ist ein Babadook? Der Babadook ist die Hauptfigur eines Kinderbuchs, das eines Tages mysteriös auf dem Buchregal des jungen Samuel (Noah Wiseman) landet. Es könnte zu keinem schlechteren Zeitpunkt kommen, denn Samuel ist ein schwieriges Kind und der Stress als alleinerziehende Mutter eines solchen Kindes setzt Amelia (Essie Davis) enorm zu. Samuel droht der Verweis von der Schule, der seltsame Junge stapft mit selbstgebauten Waffen durchs Haus auf der Jagd nach imaginären Monstern – ja, und dann taucht zu allem Überfluss noch der Babadook auf. Als Samuel eines Abends die Gutenachtgeschichte aussuchen darf, holt er ein merkwürdiges Buch vom Buchregal, dass seine Mutter noch nie gesehen hat. „Mister Babadook“ ist ein krudes Pop-Up-Buch, das in denkbar kinderunwürdiger Weise vor seiner Hauptfigur warnt, die den Lesern des Buches erst das Fürchten beibringen und dann nach dem Leben trachten wird. Die Lektüre hat katastrophale Folgen für den ohnehin schon an Monster glaubenden Samuel und bald fragt sich auch die zunehmend labile Amelia, ob es den Babadook vielleicht wirklich gibt...
Was diese Mini-Welle an neuen, originellen Horrorfilmen auszeichnet, ist vor allem, wie diese Filme aus winzigen Budgets das Meiste herausholen, ohne auf die Spar-Tricks der billig produzierten found footage-Filme zurückzugreifen. Wie auch „It Follows“ ist „Der Babadook“ hervorragend gefilmt und holt in seiner traditionellen Arbeit mit Licht und Schatten und Bildausschnitten, in denen im Hintergrund oder an den Rändern dessen, was wir und Amelia und Samuel sehen können, etwas Unheimliches und Bedrohliches lauert, das Optimum aus seinen begrenzten Möglichkeiten heraus. Und so wie die jungen Darsteller von „It Follows“ jenen Film erfreulich frei von Teenie-Klischees halten, so ist „Der Babadook“ vor allem eine schauspielerische Bravourleistung von Hauptdarstellerin Essie Davis. Dies ist ihr Film, vor allem da „Der Babadook“ neben einer Horrorgeschichte über ein Monster aus einem Kinderbuch vor allem eins ist: das Porträt einer von allen Seiten belagerten Mutter am Rande des Nervenzusammenbruchs.
Der Horror hier ist vorrangig psychologischer Art und nicht nur ein wenig inspiriert von den realistischen Horrordramen des jungen Roman Polanski wie „Ekel“ und „Rosemarys Baby“. Dementsprechend spielt „Der Babadook“ hauptsächlich mit der Frage, ob und wieviel der gruseligen Attacken des titelgebenden Monsters eventuell nur in der Einbildung einer überforderten Mutter am Ende ihrer geistigen Kräfte stattfinden. Und dies muss man Regisseurin und Drehbuchautorin Jennifer Kent lassen: Während andere ähnlich gelagerte Filme die Katze schon früh aus dem Sack lassen und dem Publikum ziemlich deutlich zeigen, dass das Monster doch echt ist, lässt einen „Der Babadook“ über sehr lange Zeit im Ungewissen und das Drehbuch hat mit seinem Hinweis auf den Babadook als innere Gefahr in den Versen des Kinderbuchs seinen Teil dazu beigetragen. Über die längste Zeit kann man als Zuschauer nicht sicher sein, ob die Gefahr nun wirklich von etwas Übernatürlichem kommt – oder etwas viel Menschlicherem. Und auch das Ende lädt sicherlich zur Interpretation ein.
„Der Babadook“ bedient sich auch mal klassicher Horrofilmmotive wie der Alptraumsequenz, lotet ansonsten aber geschickt diese Schnittstelle zwischen Realität und Irrealität immer wieder aus. Ein perfektes Beispiel ist Amelias Besuch in der Polizeistation. Gestresste Frau mit Verfolgungswahn oder getriebenes Opfer böser Mächte? Seltsam aufgehängte Hut und Kleidung oder Machwerk des Babadook? Verwahrloste Fingernägel oder Zeichen des Bösen? Diese Fragen muss der Zuschauer selbst für sich beantworten.
Die Mischung aus traditionellem Horror und knallhartem Psychodrama sorgt allerdings dafür, dass sich die Zuschauer darauf einstellen müssen, dass angesichts der Subtilität, die Kent hier an den Tag legt, der Film zweifellos seine langsamen und weniger horror-affinen Passagen hat. Wie auch „It Follows“ ist dies ein bisschen eine love-it-or-hate-it-Angelegenheit. Für manche Zuschauer war dies der langweiligste Horrorfilm überhaupt, auch wenn dieses Urteil dem Rezensenten schon deshalb schleierhaft bleibt, weil die immer wieder geschickt gesetzten Spannungsspitzen zweifellos funktionieren. Jedenfalls erheblich mehr als die alten „jemand springt ins Bild mit lautem Geräusch dazu“.
Eventuell hängt der Erfolg von „Der Babadook“ auch von Alter und Situation der Zuschauer ab, denn dies ist eindeutig kein Film für ein Teenager- oder sehr junges Publikum. Ein älteres Publikum wird dagegen nicht nur die altmodische Machart und Referenzen an klassische fantastische Filme (von Mélies zu deutschen Expressionisten) zu schätzen wissen, sondern auch den allegorischen Aspekt der Geschichte. Denn wer selbst Kinder hat, kann Amelias Situation schon eher nachvollziehen und wird von den hier teilweise brutalen Sequenzen zwischen Mutter und Sohn am Ehesten getroffen. Wenn etwa die durch Schlafentzug und Stress völlig am Ende scheinende Amelia dem nach Essen jammerndem Samuel ein schockierendes „Friss Scheiße!“ entgegenschreit, ist dies der wohl Angsteinflößendste Moment dieses Films, und das ganz ohne Monster. Oder mit Monster, je nach Sichtweise.
„Der Babadook“ ist ein ausgesprochen gelungener Mix aus klassischem Monsterhorror und psychologischem Drama, aber – man hat es verstanden – nicht für jedermann. Als gelungenes Beispiel dafür, wozu das Horrorgenre (noch) fähig ist, taugt dieser Film aber allemal.
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