Die Idee, William H. Macys in Filmen wie "Fargo" oder "Magnolia" perfektionierte Verliererfigur noch mal zu erhöhen, um sie dann Macy maßgenau auf den Leib zu schneidern, das ist schon fast genial. Denn Macys ‚Cooler' im gleichnamigen Film ist der König der Verlierer - ein Mensch, der das Pech so sehr anzieht, dass er anderen davon noch massig abgeben kann. Und genau dafür ist Bernie Lootz (Macy) im "Golden Shangri-La", dem Vegas-Kasino von Shelly Kaplov (Alec Baldwin) angestellt. Seine Aufgabe als ‚Cooler' ist es, die Gewinnsträhnen der Besucher "abzukühlen". Dazu genügt es schon, dass Bernie sich an denselben Spieltisch stellt oder den Glückspilz nur kurz berührt - und schon hat der plötzlich das Pech an sich kleben. Und so fristet der Mann, dessen Katze wegläuft, dessen Pflanzen verdorren und für den nie Kondensmilch zum Kaffee da ist, ein trauriges Leben. Bis sich die Kellnerin Nathalie (Maria Bello) für Lootz zu interessieren beginnt. Er verliebt sich, und auf einmal drehen sich die Verhältnisse. Bernies Liebesglück bringt den anderen Menschen plötzlich Glück im Spiel - und Shelly verliert Millionen. Da ihm zusätzlich Larry Sokolov (Ron Livingston) im Nacken sitzt, der das "Golden Shangri-La" zum modernen Vergnügungstempel umbauen lassen will, braucht Shelly seinen alten ‚Cooler' zurück, notfalls mit Gewalt.
"The Cooler" zeigt, was am Independent-Kino tatsächlich, na ja, cool ist. Dass man nämlich sehr wohl einen Film mit klassischen, sogar stereotypen Charakteren füllen kann, ohne dass er zu formelhafter Flachsinnsunterhaltung verkommt. Die Figurenkonstellation ist im Grunde genommen wohl bekannt: Bernie ist der nette Verlierer, Shelly der Hartgesottene mit sentimentalem Gemüt. Aber diese Figuren werden durch ihre genialen Darsteller zu wahrhaftigem Leben erweckt und dass intelligente Drehbuch schafft es, gleichzeitig Aschenbrödelgeschichte, schwarze Komödie, Freundschaftsdrama und Thriller zu sein, ohne dass das Ganze irgendwie albern oder übertrieben daherkommt. Ganz im Gegenteil, "The Cooler" hat einen Fuß fest in der Realität und zeigt unbarmherzig den Schmutz und bröckelnden Putz hinter der Glitzerfassade von Las Vegas. So verblüfft der Film dann auch mit in ihrer Plötzlichkeit schockierenden, unzimperlichen Gewaltszenen und zeigt auch sonst keine falsche Scheu: Die Sexszenen zwischen Macy und Bello gehören in all ihrer Unsicherheit, Tollpatschigkeit und Verschwitztheit zum Realistischsten, was das Kino in dem Bereich bisher so abgeliefert hat. Die vom prüden Amerika (Nipplegate!) gefürchtete full frontal nudity gibt's hier übrigens auch, weswegen "The Cooler" in den USA auch zensiert wurde. Über Sinn und Unsinn des Zulassens der exzessivsten Gewaltorgien, aber dem Herausschneiden jedes winzigsten Schamhaars brauchen wir hier wohl nicht noch mal diskutieren. Macy behauptet übrigens, sich für solche Szenen dreißig Jahre fit gehalten zu haben. Und nun ist sein Auftritt als Sexgott (na ja, mehr oder weniger) endlich da. Besser spät als nie.
Zwar ist Macy dabei in seiner Paraderolle gewohnt großartig und Bello eine mehr als adäquate Partnerin, aber "The Cooler" gehört einzig und allein Alec Baldwin. Dass sich der über die Jahre nur durch immer mehr zunehmende Leibesfülle (wie alle Baldwinbrüder, muss man mal drauf achten!) aufmerksam machende Altstar tatsächlich noch einmal zu einem veritablen Comeback aufraffen würde - Respekt, Respekt. Gut, die glorreichen leading man-Zeiten sind vorbei und das weiß er auch, aber über gehaltvolle Filmnebenrollen und Charakterparts in hochkarätigen TV-Filmen hat sich der zwischenzeitlich komplett abgemeldete Baldwin tatsächlich wieder zurückgespielt. Und sein Shelly Kaplov ist wirklich Baldwins beste Leistung seit vielen Jahren, vielleicht sogar die beste Leistung seiner Karriere. Seine Darstellung lässt sich, ohne sich zu sehr aus dem Fenster zu lehnen, mit der eines Robert de Niro (welcher auch schon wesentlich bessere Zeiten gesehen hat) in Höchstform vergleichen. Gar nicht mal in der Art des Spiels oder wegen äußerer Parallelen der Charaktere (obwohl de Niros Figur aus "Casino" und Baldwins Charakter hier sich deutlich gleichen), sondern in der Art, wie er Shelly als ein sympathisches Monstrum spielt, wie es de Niro in "Es war einmal in Amerika" oder "Wie ein wilder Stier" vorgemacht hat. Shelly Kaplov ist so faszinierend wie furchteinflößend, vom alten Schlage im guten wie im schlechten Sinne. So bedeuten für ihn Tradition, Ehre und Loyalität alles, gleichzeitig löst er Probleme auf althergebrachte Art: mit Baseballschläger und Schaufeln in Nevadas Wüste. Diese Ambivalenz ist besonders in Kaplovs Emotionswelt deutlich: Seine Zuneigungsbekundungen sind wie anderer Leute Drohungen, und bei seinen ‚guten' Taten brechen schon mal Knochen. Wie Baldwin diese unterschiedlichen Facetten seiner Figur in Einklang bringt und vollkommen glaubwürdig macht, das ist schon Sonderklasse. Da wäre der Nebenrollen-Oscar mehr als verdient.
Alles in allem gelingt dem Regiedebütant Wayne Kramer so eine wunderbare, bittersüße Verliererballade zwischen Glamour und Gosse, zwischen Märchen und Realismus, zwischen himmelhochjauchzend und zu Tode betrübt. Ein kleines, nicht zu verachtendes Rettungsboot im Meer der Dutzendware.
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