Gold-Kollege "L.A. Confidential" mag über 20 Jahre später noch einmal ein ähnliches Kunststück vollbracht haben, aber die erste und beste moderne Wiederbelebung des Film Noir im Retrostil bleibt "Chinatown". Wäre dieser Film nicht in Farbe und mit bekannten Gesichtern des 1970er Jahre-Kinos besetzt, man könnte (ähnlich wie auch im Falle von "L.A. Confidential) denken, er stamme aus der Periode, die diese Filme hervorbrachte. So perfekt sind die Produktionsdetails dieses fabulös ausgestatteten und gefilmten Streifens, dass man sich tatsächlich ins Los Angeles der 1940er Jahre zurückversetzt fühlt. Selten hat ein Film eine ähnliche visuelle Eleganz ausgestrahlt, ohne dabei im erlesenen Design zu ersaufen. Dazu kommt eine vertrackte, geschickt gesponnene Geschichte aus der Feder des zum Entstehungszeitpunkt bestbezahlten Hollywoodautors Robert Towne, welche allerdings von Polanski in mühevoller Kleinarbeit überarbeitet wurde. Dass Film Noir mehr heißt als nur bestimmte visuelle Muster zu befolgen, verdeutlicht "Chinatown" so gut wie kaum ein anderer Film neben seinem direkten Vorgänger in Sachen düsterste Detektivgeschichte, "Rattennest". Beide Filme entgehen nämlich insofern der Typisierung als reine Anschauungsobjekte für Noir-Stilmittel, indem ein Großteil der Szenen tagsüber in gleißendem Sonnenlicht spielt. In "Chinatown" ist dies auch wichtiger Teil des Plots und der Atmosphäre, denn die Geschichte um Korruption wegen des Rohstoffs Wasser würde nur halb so gut wirken, wenn nicht die sonnenumfluteten Bilder auch dem Zuschauer die Wichtigkeit des flüssigen Nass ständig vor Augen führen würden. Wie nah aber "Chinatown" dem Geiste des Film Noir trotz der weitgehenden Abwesenheit der üblichen Stilmerkmale steht, sieht man an seinem Ende. Film Noir war ja nicht nur Stil, es war vor allem Attitüde. Existenzialistisch und fatalistisch taumelten die Protagonisten im Film Noir ihrem Schicksal entgegen, und "Chinatown" ist da keine Ausnahme. Seine Hauptfigur J.J. Gittes ist das beste Beispiel dafür. Ein Schnüffler mit durchaus beachtenswerten detektivischen Fähigkeiten und dem Chandlerschen ritterlichen Durst nach Gerechtigkeit, ist Gittes wie so viele seiner Noir-Kollegen ein Mann ohne Chance aufs Gewinnen. Er ist dazu verdammt, sein früheres Versagen während des Polizeidienstes in Chinatown zu wiederholen. Anzeichen dafür gibt es schon vorher: In einer Schlüsselszene schlitzt ausgerechnet der Regisseur selbst in einem Cameo als kleinwüchsiger, aber gefährlicher Gauner Gittes die Nase auf, damit er aufhört "herumzuschnüffeln" - eine symbolische Kastration, die Gittes' Machtlosigkeit am Ende des Films schon vorwegnimmt. "Chinatown" ist wie seine Genrevorgänger, etwa der notorisch undurchschaubare "Tote schlafen fest", ein Film mit reichlich verzwicktem Plot, im Gegensatz zum eben Genannten löst sich hier aber alles logisch auf. Und wer aufmerksam zugeschaut hat, darf dann die Eleganz und Präzision bewundern, mit der Townes Script seine Geschichte spinnt, kleine Details einbaut, die später noch Bedeutung haben, und alles in allem eine nicht nur spannende, sondern auch psychologisch facettenreiche Geschichte entwirft. Über Jack Nicholson ist ja schon soviel gesagt worden, aber dieses eine muss man über seine Darstellung hier loswerden: So zurückhaltend und nuanciert wurde sein Spiel danach nur noch selten. "Chinatown" stand kurz vor Ende seiner ersten großen Phase, die mit "Easy Rider" begann und danach Klasseleistungen in "Five Easy Pieces" und "The Last Detail" abwarf, bevor sie dann mit "Einer flog über das Kuckucksnest" zuende ging. Danach waren das typische Jack-Grinsen und die Manierismen dann schon nicht mehr wegzudenken, was denn doch oft zugunsten der Sensibilität und Subtilität der Stoffe ging. Solche Scharmützel sind mittlerweile vergessen - und zusammen dürfen sich die Beteiligten darüber freuen, dass ihnen trotz oder gerade wegen der sich in Machtkämpfen entladenen unterschiedlichen Ideen ein Meisterwerk gelungen ist, dass sowohl zeitlos als auch Zeitzeuge ist. Zeitlos nicht nur, weil sich der Film seitdem schadlos gehalten hat, sondern auch durch seine technisch und inhaltlich perfekte Reproduktion der klassischen Film Noir-Ära. Und Zeitzeuge, weil er nochmals aufzeigt, wie großartig dass amerikanische Kino in den 1970er Jahren war, als es die Meisterwerke wie am Fließband zu produzieren schien. |
Originaltitel
Chinatown
Land
Jahr
1974
Laufzeit
125 min
Genre
Regie
Bewertung
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